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Corona-Sprechstunde Covid-19: Wann sind wir immun?

Corona-Sprechstunde mit Medizinern der Uniklinik Magdeburg - alles dreht sich um die Frage: Wann sind wir immun?

Von Jens Schmidt 02.05.2020, 10:25

Magdeburg l Mehr als 1000 Sachsen-Anhalter haben Covid-19 überstanden. Wie gut sind sie jetzt geschützt? Könnte man aus Antikörpern Genesener ein Medikament gewinnen? Und: Wie können alle ihre Abwehrkräfte stärken? In der heutigen Corona-Sprechstunde sitzen die Uni-Mediziner Professor Achim Kaasch (Mikrobiologie und Hygiene), Professor Hans-Gert Heuft (Transfusionsmedizin), Oberarzt Dr. Jochen Weigt (Infektiologie) und Professor Hans-Jochen Heinze (Ärztlicher Direktor und Neurologie).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt: Wer Covid-19 hatte, ist nicht unbedingt immun. Andere behaupten das Gegenteil. Was stimmt denn nun?
Achim Kaasch: Die WHO hatte wahrscheinlich einen sozialen Gedanken im Hinterkopf: Sie hat davor gewarnt, dass Länder Immun-Ausweise ausstellen und so die Gesellschaft spalten. Wir sind uns ziemlich sicher: Wer Covid-19 überstanden hat, ist immun. Darauf weisen die Daten hin.

Mehr als 1000 Sachsen-Anhalter haben Covid-19 überstanden. Wie lange sind sie vor einer erneuten Infektion geschützt?
Kaasch: Wir erwarten, dass sie in den nächsten zwei, drei Jahren immun gegen das Virus sind. Es gibt keinen vernünftigen Grund, daran nicht zu glauben. Danach dürfte die Abwehr schwächer werden. Allerdings werden dann vermutlich die Symptome schwächer sein.

Bei der Immunität spielen Antikörper eine große Rolle. Gibt es da Unterscheide zwischen Jung und Alt?
Hans-Gert Heuft: Erste Studien zeigen einen für uns überraschenden Befund. Ältere an Covid-19 Erkrankte haben mehr Antikörper gebildet als Jüngere.

Wie ist das gestaffelt?
Jochen Weigt: Bei über 50-Jährigen war die Antikörperbildung am besten; bei den 30- bis 50-Jährigen mittelmäßig und bei den Jüngeren am geringsten.

Sind also Ältere bei einem zweiten Corona-Angriff doch besser geschützt?
Kaasch: So pauschal kann man das leider noch nicht sagen. Denn es gibt Antikörper mit hoher Abwehrkraft und es gibt welche mit mäßiger Wirkung.

Kann man aus Antikörpern ein Mittel gegen Covid-19 herstellen?
Kaasch: Wenn wir Blutspender finden, die viele Antikörper gebildet haben, können wir ein Serum gewinnen. Als Alternative zu einem Impfstoff.

Wo liegt der Unterschied?
Kaasch: Beim Impfstoff werden Teile vom Virus geimpft. Die wiederum regen die Antikörperbildung an. Beim Serum bekommt der Patient direkt Antikörper. Das kann in bedrohlichen Lagen lebensrettend sein.

Wie kommt es überhaupt zu den unterschiedlichen Abwehrkräften bei Jung und Alt?
Heuft: Dazu muss ich fachlich kurz ausholen. Unser Abwehrsystem besteht aus T-Zellen und aus B-Zellen. Beide gehören zu den weißen Blutkörperchen. T-Zellen erkennen, wenn das Virus zum Beispiel Lungenzellen befallen hat. Die sogenannten T-Zellen eilen dann hin und vernichten die erkrankte Lungenzelle und das Virus. Das funktioniert bei jungen Menschen sehr gut. Die B-Zellen hingegen bilden über einen Zwischenschritt Antikörper. Für unsere Abwehr entscheidend sind neutralisierende Antikörper: Nur sie können das Virus ausschalten.

Sollten sich Jüngere vermehrt anstecken, um bald die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen?
Weigt: Ohne Impfstoff hätten wir täglich Zehntausende Neu-Infektionen in Deutschland. Das wäre auch für Jüngere gefährlich. Prozentual zeigen sie zwar seltener einen schweren Verlauf. Doch wenn Millionen Jüngere infiziert sind, sind es dann schnell Tausende, die schwer erkranken und auch sterben.

Es gibt weitere Coronaviren, die Erkältungen auslösen. Wenn Menschen gegen Covid-19 immun sind, sind sie es dann auch gegen andere Corona-Erkrankungen?
Kaasch: Wir erwarten, dass die Antikörper teilweise sowohl das neue Coronavirus als auch andere Coronaviren erfolgreich bekämpfen. Wie gut diese Kreuzimmunität ist, wissen wir aber nicht. Diese könnte eine Erklärung für den milden Verlauf sein.

Möglicherweise gibt es eine hohe Dunkelziffer an Erkrankten. Magdeburg will zusammen mit der Uniklinik einen repräsentativen Antikörpertest unter 2000 Menschen starten, um ein klareres Bild zu bekommen. Wann liegen Ergebnisse vor?
Kaasch: Zwischenergebnisse werden erst in ein paar Monaten verfügbar sein; Endergebnisse in circa zwei Jahren.

Warum dauert das so lange?
Kaasch: Weil schnellere Untersuchungen schnell zu fehlerhaften Ergebnissen führen. Wir haben drei Antikörper-Tests geprüft: Es gibt bei jedem eine gewisse Fehlerrate. Das bedeutet: Man stellt Immunität fest, obwohl die Menschen gar nicht immun sind. Nun haben wir in Magdeburg wie in ganz Sachsen-Anhalt selbst unter der Annahme einer gewissen Dunkelziffer relativ wenige Infektionen. Bei solch kleinen Zahlen wirkt sich eine Fehlerquote stark verfälschend aus.

Heuft: Daher planen wir auch eine serielle Analyse. Das heißt: Wir wollen ausgewählte Menschen etwa alle sechs Monate auf Antikörper testen. So bekommen wir mehr Blutproben und genauere Resultate. Wir hoffen, dass in ein bis anderthalb Jahren ein Impfstoff da ist. Dann können Magdeburger, die keine Antikörper haben, geimpft werden. Und dann können wir gleich zwei Fragen beantworten: Gibt es bis zur Impfung so etwas wie eine breite, natürliche Immunität? Und: Wie gut wirkt der Impfstoff?

Wer immun ist, braucht keine Spritze mehr?
Heuft: Das wäre der zweite Effekt der Untersuchung: Wer Antikörper hat, muss sich nicht impfen lassen.

Leser verweisen auf Schweden, wonach dort schon viele immun sind. Was ist dran?
Kaasch: Viele Länder haben jetzt ihren kleinen Studienskandal - weil Forscher unter hohem öffentlichen Druck stehen. In Schweden hat man nach Lage der Dinge auch Menschen untersucht, bei denen die Infektion schon bekannt war. Klar – dann ist die Immunitätsrate hoch. Doch ein reales Bild bekommen wir nur, wenn wir eine hohe Zahl an Menschen zufällig auswählen und untersuchen. Und das Zwischenergebnis aus dem Kreis Heinsberg lässt sich auch nicht auf Deutschland übertragen. Dort war ein Hotspot mit überdurchschnittlich vielen Erkrankten. Das hatten wir hier nicht.

Eine Leserin fragt, ob es ratsam ist, sein Immunsystem mit Nahrungsergänzungsmitteln wie Zink, Selen und Vitamin D 3 zu stärken?
Weigt: Seine Abwehrkräfte stärkt man am besten mit Bewegung und ausgewogener, vitaminreicher Ernährung. Frische Luft und eine leichte körperliche Belastung sind sicher gut. Spezielle Daten zu Covid-19 liegen noch nicht vor. Es gibt aber Hinweise, dass Vitamin D eine wichtige Rolle bei der Prophylaxe und während der Erkrankung spielen kann. Das oft angesprochene Vitamin C scheint bei Virusinfekten der Atemwege keine besondere Rolle zu spielen. Zumindest hat eine zusätzliche Zufuhr bei normaler Ernährung keinen Extranutzen.

Sollte man sich im Herbst gegen Grippe impfen lassen?
Weigt: Auf jeden Fall. So hätten weniger Menschen die Sorge, eventuell doch an Covid-19 erkrankt zu sein. Die meisten, die in den vergangenen Wochen über Fieber und Kopfschmerzen klagten, hatten ja die Grippe oder eine schwere Erkältung. Haben weniger Menschen Influenza, sind die Praxen und Kliniken weniger voll - und die Mediziner könne sich stärker um andere Patienten kümmern.

Schädigt Covid-19 neben der Lunge noch weitere Organe?
Heinze: Bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten kann es zu einem Nierenversagen kommen. Auch das Nervensystem kann betroffen sein: Ein Drittel der Patienten berichtet zu Beginn der Erkrankungen von Geruchs- und Geschmacksstörungen, die sich später zurückbilden. Tatsächlich gibt es auch einige Fallberichte von infizierten jungen Männern, die einen Schlaganfall erlitten haben. Inwieweit aber hier tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht, bleibt zu untersuchen.