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Saalekreis Das Chemielabor Sachsen-Anhalts steht wieder unter Volldampf

Von Jens Schmidt 17.08.2007, 16:31

Der Saalekreis ist das chemische Großlabor Sachsen-Anhalts. Leuna, Buna, Dow Chemical, Addinol, Linde, Total: hier sind die Renommierten der Branche versammelt. Hier wurden Plaste und Elaste erfunden, ebenso Perlon, Kunst-Kautschuk und jenes Benzin, das aus Kohle und nicht aus Öl gemacht ist. Doch es qualmt und dampft nicht nur im Saalekreis. Im ehemaligen Braunkohlerevier Geiseltal wächst Sachsen-Anhalts größter See heran, an dessen Hängen schon der erste Wein wächst.

Bevor die Chemiker Geschichte schrieben, waren es in den Jahrhunderten zuvor die Wettiner. Sie sind das älteste deutsche Fürstengeschlecht, regierten 800 Jahre lang in Sachsen, Thüringen und in Polen, Nachfahren dann auch als Könige in Bulgarien und Belgien. Die Burg Wettin nordwestlich von Halle war die Stammburg. Die Anfänge der Dynastie reichen ins 10. Jahrhundert, als der Ahnherr der Wettiner, Graf Dietrich, die Burg zum Lehen erhielt. Auch der Sachsen-König August der Starke stammt aus diesem Geschlecht, ebenso Prinz Albert, der Gatte der früheren englischen Königin Victoria (1819-1901). Die Burganlage über der heutigen Stadt Wettin kann man besichtigen. 1991 entstand auf dem Gelände das Burg-Gymnasium, in dem Schüler ein Spezial-Abitur in Kunst ablegen.

Ab 1700 wurde südwestlich Merseburgs, im Geiseltal, Braunkohle geschürft. Die Kohle und der Umstand, dass Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts mehr Ammoniak brauchte, brachte Nobelpreisträger und BASF-Stratege Carl Bosch 1916 auf die Idee, beim kleinen Dorf Leuna eine neue Fabrik zu bauen. Ammoniak war der Stoff für Leben und Tod: Aus ihm wird Düngemittel und Sprengstoff hergestellt. 1916 brauchte das kriegführende Reich vor allem letzteres. Außerdem reduzierte die Ammoniaksynthese teure Salpeterimporte. Der Trend, in Deutschland fehlende Naturrohstoffe zu ersetzen, hielt an. Später waren die mitteldeutschen Chemiker in Leuna die ersten, die aus Kohle Benzin machten und künstlichen Kautschuk herzustellen vermochten. Für den Kunststoff brauchte man Butadien und Natrium und für dessen Produktion ein neues Werk, dessen Name bald gefunden war: Buna. Gebaut 1936, nördlich Merseburgs bei Schkopau.

So genial die Erfindungen waren, billig war die Produktion nicht. So war das Kohle-Benzin teurer als das aus Erdöl gewonnene. Doch Hitler-Deutschland kaufte genügend ab und sorgte so für ein profitables Geschäft des weltgrößten Chemiegiganten IG Farben, wozu Leuna und Buna gehörten. Die enge Verstrickung mit den Nazis war für den Konzern tödlich, er wurde nach dem Krieg praktisch aufgelöst. (Der Nachlassverwalter IG Farben existiert aber heute noch.) Leuna und Buna, erst sowjetisch, wurden in den 50er Jahren volkseigen. Buna benutzte weiter die einstigen Markennamen Plaste und Elaste. "Plaste und Elaste aus Schkopau", war einer der wenigen DDR-Reklamen, die auch im Westen bekannt waren. Die westdeutsche Chemie wich auf "Plastik" oder "Kunststoff" aus, was sich bis in den Alltagssprachgebrauch auswirkte. Der Ostdeutsche sagt "Plaste".
1990 brach die enorm umweltbelastende DDR-Chemie zusammen, danach stiegen internationale Konzerne groß ein. Die Branche arbeitet sauberer aber auch effizienter. In Leuna sind derzeit 9000 Menschen beschäftigt, vor 1990 waren es mehr als 40 000.

Im Süden zeigt der Landkreis ein gänzlich anderes, ein neues Gesicht. Im Geiseltal füllt sich ein riesiges Braunkohleloch mit Wasser. In einigen Jahren wird der Geiseltalsee mit 19 Quadratkilometern zum größten See des Landes herangewachsen sein. Größer als die Goitzsche bei Bitterfeld (13 km2) und viermal größer als der altmärkische Arendsee. Die Lichtreflexion und die wärmespeichernde Eigenschaft des Wassers nutzend, hat ein Winzer Rebstöcke an einen Seehang gepflanzt und die ersten Müller-Thurgaus und Weißburgunder gekeltert.

Eine weitere Landmarke bildet der Petersberg, der sich mit 250 Metern Höhe deutlich vom flachen Umland abhebt. Er ist ein beliebtes Ausflugsziel.

Im Saalekreis sind der alte Saalkreis und Merseburg-Querfurt verschmolzen. Die Bewohner im Kreisnorden, dem alten Saalekreis, müssen sich an mindestens zwei Dinge gewöhnen: An das "e" im neuen Kreisnamen und daran, dass sie nach Jahrzehnten eine Kreisstadt und ein Landratsamt auf eigenem Kreisgebiet haben. Der alte Saalkreis wurde kurioserweise von Halle aus regiert, obgleich die Stimmung zwischen Umland und Stadt seit Jahren gereizt ist. Die Stadt will reiche Umlanddörfer eingemeindet wissen, was der Landkreis natürlich ablehnt.