1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Der kleine König von Halle

DDR Der kleine König von Halle

SED-Sekretär Hans-Joachim Böhme führte im Chemiebezirk acht Jahre lang machtversessenes und selbstherrliches Regime.

Von Steffen Honig 03.09.2019, 01:01

Magdeburg/Halle l Was ganz oben in der DDR-Führung üblich war, setzte sich nach unten hin fort – in gemäßigter Form. Unter den 1. Sekretären der SED-Bezirksleitungen gab es bescheidene Leute wie Hans Modrow, der in Dresden in einer Neubauwohnung lebte, oder Werner Eberlein, der in Magdeburg nicht durch ein Luxusleben auffiel.

Im Chemiebezirk Halle hingegen herrschte Hans-Joachim Böhme wie ein kleiner König. 1929 als Arbeitersohn in Bernburg geboren, hatte er sich in der Partei vom Kreis-Funktionär bis zum 1. Sekretär der Bezirksleitung Halle (1981) und zum Politbüromitglied (1986) hochgedient. Böhme war für seinen absolutistischen Führungsstil berüchtigt. Seine Untergebenen sahen ihn am liebsten von hinten. Zudem führte er gerüchteweise einen ausschweifenden Lebensstil.

Das fiel ihm in der Wendezeit schwer auf die Füße. Notgedrungen versuchte sich Böhme im Dialog mit dem Volk. Vergebens. Nach Protesten trat er am 9. November als Politibüromitglied und Bezirkschef zurück.

Am 21. Dezember 1989 vernahm ihn die Bezirksschiedskommission der SED. Böhme: „Ich stelle und bekenne mich voll zu meiner Verantwortung als ehemaliges Mitglied des Politbüros   ...“ Beim SED-Versagen in den Herbstmonaten aber wälzte Böhme die Schuld mit Verweis auf eigene Verpflichtungen im Politbüro auf die nächstuntere Ebene ab: „Meine persönliche Tragik besteht darin, dass gerade in dieser Zeit ... sich das Sekretariat in Halle ohne meine Leitung als unfähig erwies, aktiv zu werden ...“

Und wie war das mit privaten Vorteilen? Böhme gab „bestimmte Privilegien“ zu, erklärte jedoch: „Persönlich bereichert aber habe ich mich nie. Ich besitze weder ein Grundstück, noch ein Auto.“ „Da es Gerüchte gab, ich hätte meinen Urlaub in den USA oder in Finnland verbracht, möchte ich sagen, dass das nicht stimmt.“ Er sei in der Sowjetunion und in Rumänien gewesen. Hobbyjäger Böhme wehrte sich zudem gegen Vorwürfe, einen Jagdsitz, eine Blockhütte und ein Ferienhaus besessen zu haben. Die Kosten für die Nutzung habe er stets beglichen, beteuerte er.

Zwei Prozesse – 1990 und 1993 – wurden gegen Böhme wegen des Vorwurfs der Bereicherung angestrengt. Beide Male wurde er mangels Beweisen freigesprochen. Nicht so elf Jahre später: 2004 verurteilte ihn das Berliner Landgericht wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassen wegen des Schießbefehls und der Todesopfer an der Berliner Mauer zu 15 Monaten Haft auf Bewährung. Böhme lebte bis zu seinem Tode 2012 in Halle-Neustadt.