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Kälte lähmte Ostdeutschland Katastrophenwinter 1978/79: Wie die DDR im Schnee-Chaos stillstand – Zahl der Toten unklar

Der Winter 1978/79 brachte die DDR an ihre Grenzen. Schneemassen und eisige Temperaturen legten den Verkehr lahm und sorgten für Versorgungsengpässe. So erlebte die DDR ihren härtesten Winter.

Aktualisiert: 19.11.2025, 14:58
Der Winter 1978/79 gilt als einer der extremsten in der DDR. Die Kälte lähmte das öffentliche Leben, und selbst die Regierung geriet unter Druck.
Der Winter 1978/79 gilt als einer der extremsten in der DDR. Die Kälte lähmte das öffentliche Leben, und selbst die Regierung geriet unter Druck. (Foto: dpa/Werner Schilling)

Halle (Saale). – Der Winter kehrt allmählich in Sachsen-Anhalt ein, im Harz rieselt langsam der Schnee vom Himmel. Doch vor 46 Jahren sah es zum Jahreswechsel sehr viel schlimmer aus.

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Den Winter 1978/79 in der DDR werden die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, wohl nie vergessen. Sieben Meter hoch türmten sich etwa auf Rügen die Schneewehen. Die Versorgung der Bevölkerung geriet in Gefahr.

Winter 1978/79: Insel Rügen für gut eine Woche abgeschnitten

Innerhalb weniger Stunden fielen die Temperaturen von milden fünf auf minus 20 Grad. Auf der Insel Rügen, auf der rund 3.000 Urlauber ihre Weihnachtsferien verbrachten, erstarrte im Laufe des 29. und 30. Dezember 1978 für rund eine Woche das öffentliche Leben.

Straßen wurden unpassierbar, rund 150 Ortschaften in Nord- und Ostdeutschland waren nicht mehr erreichbar, Telefon- und Stromleitungen brachen unter der Last der Schneemassen.

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Bis zu sieben Meter hohe Schneewehen türmten sich auf den Straßen. Die Bewohner mussten aus der Luft mit Brot und Decken versorgt werden. Wegen des starken Sturms war diese Versorgung aber erst zeitverzögert möglich.

Mit 67 Tagen geschlossener Schneedecke ist der Winter 1978/79 vergleichbar mit dem Nachkriegs-Hungerwinter 1946/47. Er wurde im Norden und Osten Deutschlands zum schlimmsten seit dem Krieg. Die Schäden überstiegen alleine in der damaligen BRD 140 Millionen D-Mark.

Sibirische Kälte im Winter 1978/79: DDR-Industrie kam zum Erliegen

Wie ein Blizzard überzog die Eisfront mit sibirischer Kälte zunächst den Norden und später den gesamten Osten Deutschlands. Züge blieben für Tage im Schnee stecken. Die Braunkohletagebaue um Leipzig, Lebensader der DDR-Industrie, kamen fast vollständig zum Erliegen.

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Unzählige Schweine und Rinder starben in der Kälte. „Dieser Winter damals, der hat uns kalt erwischt“, erinnerte sich ein Bergmann aus dem Braunkohlewerk Röblingen (Landkreis Mansfeld-Südharz) später.

Winter 1978/79: Die DDR versinkt im Schnee-Chaos

Der Abraum war hart wie Beton, in Waggons fror die Kohle sofort wieder fest. Tausende Studenten, Landwirte und Soldaten mussten helfen. Mit Düsentriebwerken wurden Gleise und Waggons aufgetaut.

"Es war ein Wettlauf mit der Zeit", so der Bergmann – und mit der Parteiführung im Nacken, nachdem im Regierungsviertel das Licht ausgegangen war.

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Lokführer Erwin Heger, der im Juli 2016 im Alter von 87 Jahren starb, hatte sich 2011 in einem MZ-Gespräch an den Jahrhundertwinter erinnert. Damals sei er mit seinem Personenzug zwischen Aken und Köthen im Schnee steckengeblieben.

Winter in der DDR: Der "größte Feind des Sozialismus"

"Die Strecke war im Winter sowieso schwierig zu fahren", sagte er. An jenem Tag aber habe sein Zug samt Passagieren drei Stunden festgesessen, bis ihn drei aneinander gekoppelte Loks herausziehen konnten. Der Winter, der "größte Feind des Sozialismus", brachte für Erwin Heger aber auch noch andere Herausforderungen.

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So musste er mit einer Dampflok zwei Tage lang das Krankenhaus in der Dessauer Landstraße in Aken, heute eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt, sowie eine Halle des Magnesitwerkes beheizen. Das Heizhaus war angesichts von minus 20 Grad ausgefallen.

In Halle fuhren im Winter 1978/79 nur 40 Prozent der Busse

In Halle und Umgebung fuhren zeitweise nur 40 Prozent der Busse, weil der Diesel gelierte. Bäckereien standen still, weil ihnen Strom fehlte. Im Kreiskrankenhaus Bernburg mussten Notstromaggregate eingesetzt werden.

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Die Versorgung mit Wasser, Strom und Wärme war quasi überall im heutigen Sachsen-Anhalt unterbrochen. Die "Freiheit" schrieb damals, Anfang Januar 1979: "Zu vorübergehendem Totalausfall der Wasserversorgung kam es im Südteil des Kreises Wittenberg, im Kreis Naumburg, in Teilen der Stadt Quedlinburg sowie in elf Gemeinden des Kreises Nebra."

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Für die Wirtschaft war der Eiswinter 1978/79 ein schwerer Rückschlag. Mindestens fünf Menschen starben in der DDR (17 Tote waren es in der BRD). Wie viele Menschen tatsächlich umgekommen sind, ist bis heute unklar. Die Leiche eines Mannes wurde erst im Mai 1979 nach dem Abtauen der Schneemassen gefunden.

DDR-Führung verkannte das Ausmaß des Katastrophen-Winters 1978/79

Besonders dramatisch: Als viele Rüganer bereits ums Überleben bangten, verkannte die DDR-Führung noch lange das Ausmaß der Katastrophe.

Erst am 3. Januar schickte sie Panzer auf die Insel Rügen, die eine Woche von Bahn-, Schiffs- und Straßenverkehr abgekoppelt war.