1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. "Dem Sohne Gutenbergs die allerbeste Tauf!"

Was es mit dem Gautschen auf sich hat "Dem Sohne Gutenbergs die allerbeste Tauf!"

Von Oliver Schlicht 19.08.2010, 07:58

Das "Gautschen" lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Dieses Brauchtum diente dazu, den Druckerlehrling nach bestandener Abschlussprüfung im Rahmen einer Freisprechungszeremonie in den Druckerstand aufzunehmen. Den Begriff "Gautschen" gab es in der Fachsprache der Drucker ursprünglich tatsächlich. Er bezeichnete den ersten Entwässerungsschritt nach dem Schöpfen des Papiers, das Ablegen des frisch geschöpften Papierbogens vom Sieb auf eine Filzunterlage. Mit dem "gegautschten" Lehrling wurde ganz ähnlich verfahren: Er wurde feierlich gewässert.

Das Gautschfest folgt einer genau abgestimmten Reihenfolge. Eine wichtige Rolle spielen dabei die so genannten Packer. Sie müssen nach der Aufforderung durch den Gautschmeister "Packt ihn!" den Lehrling packen und festhalten. Gelingt es dem Lehrling, den Packern und somit dem Gautschen zu entfliehen, muss er das Gautschfest nicht selber bezahlen.

Feuchter Schwamm

Wird er gefangen, wird es feucht. Der Lehrling wird zunächst auf einen Stuhl mit einem feuchten Schwamm gesetzt, dann mit Wasser übergossen und schließlich in eine mit Wasser gefüllte Wanne geworfen. Dies alles sollte der Reinigung dienen – die schlechten Gewohnheiten der Lehrzeit sollten auf diese Weise "abgewaschen" werden. Vielfach wird bis heute für das Wannenbad ein öffentlicher Brunnen zur allgemeinen Belustigung benutzt. Doch dies war bei der Volksstimme lange Zeit nicht möglich. Und das hatte einen Grund. Volker Eckebrecht, langjähriger Ausbildungsleiter der Volksstimme, erinnert sich: "Das Gautschen galt bei der Partei lange Zeit als Überbleibsel des bürgerlichen Brauchtums und war entsprechend verboten." Doch gegautscht wurde trotzdem. "Nicht als öffentliches Fest, sondern heimlich auf den Höfen der Druckereien", so Eckebrecht. Und natürlich bekam auch jeder Lehrling neben seinem Facharbeiterbrief einen "Gautschbrief" überreicht.

Noch zu DDR-Zeiten hat die Partei ihr rigides Vorgehen gegen das Gautschen gelockert – wohl auch, weil es ohnehin nicht zu verhindern war. Eckebrecht: "Zum Magdeburger Pressefest 1981 durften wir unsere Lehrlinge zum ersten Mal öffentlich gautschen. Das war ein riesiger Spaß auch für alle Zuschauer." In den Volksstimme-Betrieben beließ man es nicht dabei, die Drucker zu gautschen. "Da haben wir keinen Unterschied gemacht. Alle Lehrlinge, die in den Druckereien gelernt haben, mussten am Ende ihrer Ausbildung da durch", erinnert sich der ehemalige Ausbildungschef.

Mit Doktorantenhut

Auch er selbst hat sich als Gautschmeister verdient gemacht. Mit Dokorantenhut, Umhang und schwerer Eisenkette wurde in einer Ansprache die "hochwohllöbliche Buchdruckerkunst" gewürdigt. Am Ende folgte der entscheidende Aufruf zur "Einfeuchtung" des Absolventen. Hier der Wortlaut in Auszügen:

"Ithiero gebe ich versammelten Meistern und Gesellen der schwarzen Kunst kund zu wissen, dass ich heute wieder das schwere Amt zu verrichten habe, unseren Kornuten, diese stinkigsten Gestalten, durch die Wassertaufe ad posteriora zu zunftgerechten und ehrbaren Gliedern unseres altehrwürdigen Handwerks zu machen. Leget ab die Manieren der Kornuten, denn sie gereichen Euch nur zur Schande. Fresset nicht, saufet nicht und gehet nicht zu schlechten Weibsbildern, denn sie sind gar teuer und holen euch eure sauer verdienten Füchse aus dem Sack. Und gefährlich ist es auch, denn ihr nehmet Schaden an Leib und Seele und gefährdet den Nervus rerum.

Lasset ab von den Spielkarten und Wirtshäusern, denn dies ist der Anfang allen Lasters und führet zum Delirium Tremens. Lasset sein die Manieren der ledigen Fetzen, gründet eine Sippe und lasset darin schalten und walten die Hausfrau.

Verbannet Leid und Zwietracht, reißet heraus aus dem Herzen das eigene Ich und setzet dafür das Wir. Haltet allzeit in Ehren eure erlernte Hantierung und helfet eurem Gespann und Arschgespann. Ehret eure Meister und habet Ehrfurcht, denn dies geziemet einem Gesellen.

Beherzt meine Worte, werdet echte Jünger der hochwohledlen Schriftsetzerzunft, lernet immer weiter und ihr werdet Befriedigung finden in eurer Arbeit.

Jetzund frage ich Euch: Wollet ihr aufgenommen werden in die wohledle Zunft der Schriftsetzergesellen? So tuet dies mit einem lauten und vernehmlichen "Ja, wir bitten darum" kund. Wohlan, es sei! Packer und Schwammhalter, haltet euch bereit:

Packet an!

Lasst seinen Corpus

posteriorum fallen

auf diesen

nassen Schwamm!

Bis triefen beide Ballen!

Der durst‘gen Seele

gebt ein

Sturzbad obendrauf!

Das ist dem

Sohne Gutenbergs

die allerbeste Tauf!"