Konferenz über neue Ideen für das Lernen an Ganztagsschulen / Erziehungswissenschaftlerin Sabine Schweder: "Der Frontalunterricht ist von gestern und funktioniert nicht mehr"
Magdeburg. Eine Konferenz über Lernkultur an Ganztagsschulen hat am Mittwoch in Magdeburg stattgefunden. Mehr als 200 Besucher gingen in Workshops Fragen nach: Wie gelingt es, eine motivierende Lernatmosphäre mit interessanten Aufgaben zu gestalten, an denen Schüler wachsen können? Wie organisieren wir individuelle Lernzeiten? Welche Rolle spielt Bewegung im Unterricht? Lernen Jungen anders als Mädchen? Wie bereichern Partner aus Wirtschaft, Kultur und dem kommunalen Umfeld den schulischen Alltag?
Warum solche Fragen beantwortet werden müssen, machte die Greifswalder Erziehungswissenschaftlerin Sabine Schweder in ihren Vorträgen klar. Im ersten erklärte sie beispielsweise: "Der traditionelle Frontalunterricht ist von gestern. Er funktioniert heute einfach nicht mehr." Dies mag vielen Erwachsenen befremdlich erscheinen, hat doch der Frontalunterricht zu ihrer Jugendzeit noch gut funktioniert. Vergessen wird in diesem Zusammenhang, dass sich die Jugendlichen von heute von denen früherer Zeiten unterscheiden, vor allem aber, dass Umwelt und Einflüsse von außen heute ganz andere als in den vergangenen Jahrzehnten sind.
Handeln, erfahren, reflektieren, übertragen
Sabine Schweder erklärte die Herausforderungen an eine neue Lernkultur: "Wir müssen von den zentralen Fragen ausgehen: Was sollen die Schüler lernen? und: Wie sollen sie lernen?" Im Vordergrund stünde heute mehr als früher die Vermittlung von Fähigkeiten. Rückt damit die Vermittlung von Wissen und Fakten in den Hintergrund? Diese Aussage mochte die Erziehungswissenschaftler nicht im Raum stehen lassen: "Im Wissensvortrag beim Frontalunterricht bleibt erschreckend wenig vom Stoff im Gedächtnis der Schüler hängen."
Als eine Alternative benannte sie die Projektarbeit. Die Schüler würden sich so viel intensiver mit dem Thema auseinandersetzen. "Es geht um mehrere Stufen des Lernens." Zunächst sollen die Schüler selbst handeln – beispielsweise beim Experimentieren, einschließlich der Vorbereitungen zu Experimenten. Sabine Schweder: "Durch das eigene Handeln erfahren die Schüler, was passiert." Nicht unterschätzt werden dürfe der Prozess des Reflektierens. "Die Schüler müssen sich auch nach einem Experiment noch einmal Gedanken darüber machen. Wenn es dann gelingt, dass sie ihre Erfahrungen auf andere Probleme übertragen, kann man tatsächlich von einem Lernerfolg sprechen." Als Beispiel nannte die Referentin die Möglichkeit, dass die Schüler anderen Schülern das von ihnen Erlernte erklären.
Ein weiterer Grund, warum aus Sicht der Wissenschaftlerin der Frontalunterricht am Ende ist, sind die Anforderungen an die künftigen Schulabgänger: "Was sind denn die Lernziele heute?", so Sabine Schweders Frage, die sie selbst beantwortete: "Die Schüler sollen lernen, wie sie selbständig in heterogenen Gruppen arbeiten, wie sie kooperieren und Probleme lösen und wie sie dabei die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen." Auch um diese Ziele zu erreichen, seien neue Formen des Lernens notwendig.
"Eines muss allerdings klar sein: Eine Schule, an der eine solche Form des Lernens funktionieren soll, ist oft auch eine Schule, an der besonders viel Toleranz gefragt ist", erklärte die Wissenschaftlerin und machte dies mit Fotografien deutlich. Für ein Raunen im Publikum sorgte dabei beispielsweise das Bild eines Schülers, der mit dem Handy in der Hand auf einem Stuhl steht. Sabine Schweder: "Auf jeden Fall ist es gelungen, diesen jungen Mann in die Projektarbeit zu integrieren. In anderen Unterrichtsformen gab es viel größere Probleme."
Trotz aller Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Konzepten dennoch die Frage aus dem Auditorium: Wie sollen Lehrer die Vorbereitung auf solch intensiven Unterricht bewältigen, wenn sie laut Plan pro Schulstunde dafür nur zwanzig Minuten haben? Die Antwort aus der Zuhörerschaft: Die Lehrer können sich nicht um alles kümmern, sollten sich in Jahrgangsteams bündeln und kooperieren.
Schulen müssen ihre Wirksamkeit beweisen
Damit war das Stichwort für den zweiten Vortrag von Sabine Schweder gegeben: In diesem ermunterte sie die Lehrkräfte, sich untereinander auszutauschen. Aus der Praxis der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung stellte sie Möglichkeiten erfolgversprechender Kooperationen unter Lehrkräften vor. "Teilen Sie Ihr Wissen stärker! Arbeiten Sie mehr im Team zusammen!", forderte sie die Zuhörerschaft auf.
Thesen, die für jede andere Schule, nicht nur für die besonders ausgestatteten Ganztagsschulen, gelten dürften.
Wie Heiko Hübner berichtet, gibt es in Sachsen-Anhalt derzeit 88 öffentliche Ganztagsschulen. "Damit gehören vier Grundschulen, alle Gesamtschulen, ein Drittel der Sekundarschulen und ein Viertel der Gymnasien dazu", so der Referent für Sekundarschulen, Gesamtschulen und Ganztagsbetreuung des sachsen-anhalti- schen Kultusministeriums. In Zukunft gelte es, die Zusammenarbeit der Ganztagsschulen mit außerschulischen Trägern auszubauen und der personellen Ausstattung mit pädagogischen Mitarbeitern besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
"Im Koalitionsvertrag gibt es auch eine deutliche Aussage zur Ausweitung der Ganztagsschul-Landschaft", so Hübner. Entscheidend sei angesichts der dafür anfallenden Kosten, dass diese Schulform ihre Wirksamkeit beweist. Hübner: "Und es geht um mehr als nur um weniger Schulabbrecher."
Veranstalter der Konferenz waren die Serviceagentur "Ganztägig Lernen" Sachsen-Anhalt der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, das Kultusministerium und der Ganz- tagsschulverband.