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Design-Preis Religiöser Computer betet Apple an

Mathis Hosemann experimentiert, lässt Gegenstände Geschichten erzählen. Was wäre, wenn Computer menschlicher werden?

Von Lan Dinh 22.01.2019, 00:01

Halle l Ein großer schlanker Mann mit Mütze auf dem Kopf und einer blauen Jacke steht vor einem Computer. Mit seinem Outfit sieht er wie ein Handwerker aus. Mathis Hosemann ist allerdings Industriedesigner an der Burg Giebichenstein in Halle. Er sieht sich als Künstler und bastelt für sein Leben gern. Besonders angetan haben es ihm Gegenstände aller Art. Gegenstände, die eine Geschichte erzählen. Die Emotionen auslösen. Und mit denen er Zukunftsfantasien umsetzen kann. 2018 hat er sich für sein Abschlussprojekt für die Maschine entschieden und fragt sich: Was wäre, wenn Computer menschlicher wären? Für seine Arbeit wurde er mit dem GiebichenStein Designpreis in der Kategorie „Beste Idee/Bestes Design“ 2018 ausgezeichnet.

Der Industriedesigner Mathis Hosemann hat für seine Abschlussarbeit „Blind Faith“ ein Programm entwickelt. Mit diesem erschafft der Computer digitale Religionen, die er anbetet. Den Designpreis bekam er, weil die Arbeit sehr kritisch sei und relevante Fragen aufwerfe. Besonders die Frage, ob eine ethische Maschine möglich ist, wird zunehmend im Zuge der Digitalisierung wichtiger. Gestalter müssen hinterfragen, provozieren und Denkanstöße liefern.

Mathis Hosemann wurde 1991 in Nordhorn in Niedersachsen geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in München. Sein Vater ist Kinderarzt, seine Mutter Psychoanalytikerin. Künstlerisch erzogen wurde er nicht. Und doch fesselte ihn, etwas zu erschaffen. „Ich bin schon immer ein Bastler gewesen, aber war auch fasziniert von Produkten“, erzählt der 27-Jährige. Mit dem Werkzeugkasten seines Vaters reparierte er Dinge wie Gitarren.

Er wollte sie verbessern und damit besser verstehen. Eine eigene Werkstatt zu haben, war ein großer Traum für ihn. Dieser erfüllte sich vor fünf Jahren. In Halle fand er ein bezahlbares Atelier und zog kurzerhand dahin. „In München sind Ateliers sehr teuer. In Halle konnte ich mir eins aber leisten“, erklärte Hosemann. An das Atelier schloss sich direkt ein fünfjähriges Studium an der Burg Giebichenstein an. Zehn Semester lang studierte er Industriedesign und hat seit 2018 seinen Bachelor in der Tasche.

Besonders poetisches Design hat es ihm während des Studiums angetan. Der Designer spielt gerne mit Was-wäre-wenn-Szenarien, um darüber zu diskutieren. Das nennt sich „Design for debate (oder design fiction)“. „Es geht um Geschichten und Zukunftszenarien, die ich auf Gegenstände übertrage. Mich interessiert nicht das klassische Verständnis von Design, das viele haben, wie Produkte und Objekte zu entwerfen, die nützlich sind“, sagt der Künstler.

Als Kind haben ihn Produkte und Gegenstände gefesselt, die ein bestimmtes Verlangen oder Emotionen auslösen. Und vor allem Geschichten erzählen. Genau darum geht es ihm auch bei seinem Abschlussprojekt „Blind Faith“. Die Idee dafür kam dem 27-Jährigen im Alltag. Wir sind umgeben von Computern, Handys und Maschinen. Sie sind so selbstverständlich geworden, dass wir sogar mit Sprachassistenten wie Siri und Alexa sprechen.

„Ich habe mich gefragt, ob es möglich wäre, so mit ihnen zusammenzuleben, dass beide gleichberechtigt wären. Was fehlt dem Computer, um menschlicher zu sein? An etwas zu glauben, wäre zum Beispiel eine menschliche Eigenschaft,“ erzählt der Designer.

Ein Computer, der an etwas glaubt oder einen Fehler hat, wird leichter für Menschen zugänglich. „Das ist wie mit einem Stuhl, der kippelt. Der wird dadurch irgendwie niedlich und sympathisch“, erklärt Hosemann. In seiner Abschlussarbeit musste er sich in andere Spezies hineinversetzen. Für Hosemann war es die Maschine. „Es spielt keine Rolle, ob ich für oder gegen Maschinen bin. Ich wollte meine Meinung bewusst heraushalten, nur zur Diskussion anregen“ erklärt Hosemann.

So läuft sein Abschlussprojekt ab: Der Computer betet in einer monotonen Stimme eine Minute lang: „Alah ist absolut wunderbar. Ich glaube daran, dass der Heilige Geist in uns lebt. Ich lebe nach dem Prinzip der Gerechtigkeit.“

Auf dem Computerbildschirm ist dreidimensional eine Götze zu sehen. Sie setzt sich aus zwei einfachen geometrischen Formen zusammen: Ein Balken, der von einem Balken durchdrungen wird und ein Kreuz ergibt. Der Computer spuckt gleichzeitig einen Sticker aus. Darauf steht der Glaube, Lebensregeln und das Ritual. Aus dem Projekt ist außerdem eine Art Kinderbuch entstanden. Es zeigt, wie der Computer menschliche Konzepte versteht. Mit einer Computermaus verbindet der Computer Streicheln, da er ansonsten nicht fühlen kann.

Nach seinem Abschlussprojekt versucht sich Hosemann selbstständig zu machen. Doch die öffentliche Meinung von Designern scheint ihm zu einseitig zu sein. Deswegen verheimlicht er oft, dass er Industriedesign studiert hat. „Ich sehe mich mehr als Künstler, wenn ich mit Geschichten arbeite.“ Mathis Hosemann findet, dass Design und Kunst die gleichen Medien und die gleiche Sprache benutzen.

Design spricht aber die Masse mehr an. Von seinen künstlerischen Projekten kann er noch nicht leben. Darum arbeitet er mit anderen Künstlern zusammen und stellt Möbel sowie Gebrauchsgegenstände her. „Ich habe einen Raum als Werkstatt, in dem ich die Sachen baue. Daneben noch einen sauberen Raum. Dort denke ich nach und recherchiere.“ Für die Zukunft wünscht sich Mathis Hosemann, allein von seiner Arbeit in der Werkstatt oder seinen künstlerischen Projekten leben zu können.