Prozess Diebischer Rentnerin droht Haft
Ein Prozess am Amtsgericht Zerbst gegen eine 77-Jährige Diebin ist vorerst geplatzt. Sie hat sich krank gemeldet. Nächster Anlauf im Januar.
Zerbst l Ursula H. ist nicht nur 77 Jahre alt, sie kennt sich im kleinen Amtsgericht von Zerbst auch bestens aus. Besonders in den Strafabteilungen.
Die „Klau-Uroma“, wie sie in Zerbst und Umgebung nur genannt wird, hatte für gestern schon wieder eine Vorladung bekommen. Nach 2012 bereits die achte. In jedem Falle ging es um den Diebstahl von Dingen von geringem Wert. Diesmal wurde die diebische Rentnerin am 16. beziehungsweise 23. Oktober 2019 von Mitarbeitern der Drogerie Roßmann und von Kaufland erwischt. Auch diesmal war ihre Beute überschaubar: verschiedene Hautcremes – für die „reifere Haut“ – und ein Ausreißer: eine Büchse Erdnusskerne. Schaden elf beziehungsweise 17 Euro.
„Das Gesicht haben hier im Zerbst doch fast alle Verkäuferinnen auf dem Schirm“, kommentierte gestern eine Supermarktmitarbeiterin die Tatsache, dass Ursula H. immer wieder erwischt wird.
Schon sehr früh stand bei den vorangegangenen Prozessen die Frage im Raum, ob die Diebin einen psychischen Knacks hat, der sie immer wieder in die Regale greifen lässt, ohne zu bezahlen. Doch zweimal bescheinigten ihr Gutachter, dass bei ihr keine seelische Störung vorliegt, was ihr Anwalt Markus Brodowski, der sie schon Jahre bei Gericht vertritt, anders sieht.
Der dritte Gutachter, der gestern dem Gericht die Ergebnisse seiner Untersuchung vorlegen sollte, attestiert H. zwar auch, dass sie schuldfähig ist – allerdings eingeschränkt.
Die Angeklagte ist eine „Stress-Diebin“. Das heißt einfach ausgedrückt, Stresssituationen versucht sie durch Diebstähle zu kompensieren. Das sei so gewesen, als ihr Mann starb, ihr geliebter Hund, und im aktuell angeklagten Fall Stress mit dem Sozialamt. Sie war von der Behörde aufgefordert worden, für den Unterhalt ihrer ungeliebten Mutter aufzukommen. Das soll sie so in Aufregung versetzt haben, dass sie schnurstracks ihre Schritte Richtung Drogerie und Supermarkt lenkte.
Die Zerbsterin hatte bei einem Prozess selbst das „Warum?“ formuliert. „Es ist der Kick, der mir guttut. Ich fühle mich sehr gut, wenn ich etwas mitnehme. Aber wenn ich dann draußen vorm Geschäft bin, fühle ich mich schlecht.“
Beginnend mit einem Strafbefehl wegen Diebstahls am 12. März 2012, folgten am 12. Februar 2013, dem 24. Juli 2013 (drei Taten), dem 11. Juni, dem 12 November 2014 (zwei Taten), dem 4. November 2015 sowie 2017 und 2019 Verurteilungen wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs. 2016 war sie sogar vor dem Schöffengericht in Zerbst gelandet. Da hatte sie es nicht nur beim Stehlen belassen, sondern im Januar des Jahres richtig zugelangt, als sie im „Kick“ Babysachen im Werte von 15,96 Euro mitgehen lassen und eine Mitarbeiterin sie stellen wollte, als die Alarmanlage anschlug. Räuberische Erpressung.
Geldprobleme seien es nicht, sagt Strafrichter Thomas Krille, der gestern vergeblich auf H. gewartet hatte. Als Rente erhalte sie mehr als 1800 Euro.
Krille steckt in einem Dilemma. Nach drei Haftstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, müsste die „Klau-Uroma“ eigentlich aufgrund des neuen Diebstahls und der Bewährungswiderrufe ins Gefängnis einziehen. So um die vier Jahre. Doch das hohe Alter ließ alle Richter bisher vor dieser letzten Entscheidung zurückschrecken.
Kaum Erfolg dürfte hingegen die Maßnahme haben, der Diebin im gesamten Zerbst in Geschäften Hausverbot auszusprechen. „Die Familie müsste dann für sie einkaufen“, sagte gestern ein Jurist. Ein Kenner der Familienszene fragte nur süffisant zurück: „Welche Familie?“
Ein neuer Prozesstermin wurde für den 27. Januar 2021 anberaumt.