1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt ist ausgetrocknet

Dürre Sachsen-Anhalt ist ausgetrocknet

Die Böden in Sachsen-Anhalt sind ausgedorrt, die Weinernte halbiert, erste Trinkwasserversorger alarmiert. Hält dieser Trend an?

Von Jens Schmidt 19.09.2020, 11:16

Magdeburg l Fragt man die Leute, wie der Sommer war, sagen die meisten: Na ja, durchwachsen. Schaut man auf die Zahlen, wird schnell deutlich, dass unser Gefühl trügt. Der 2020er gehört zu den fünf wärmsten Sommern in der 140-jährigen Aufzeichnungsgeschichte. Und der August war sogar der heißeste seit 1881. Das liegt voll im Trend: Die Sommer werden wärmer. In 30 Jahren kletterte die mittlere Temperatur um 1,3 Grad. Das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass die Welt gerade darum ringt, den globalen Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad zu begrenzen.

Seit 1997 war jeder Sommer wärmer als im langjährigen Mittel von 1961 bis 1990. Wir sind mittlerweile so sonnenverwöhnt, dass Rekorde wie im jüngsten August ohne große Notiz an uns vorüberziehen - zumal der Supersommer 2018 alles Nachfolgende in den Schatten stellt.

Anders sieht es beim Regen aus. Hier gibt es einen Trend nach oben. In den vergangenen dreißig Sommern regnete es mehr als zwischen 1961 und 1990. Nur die Jahre 2018, 2019 und 2020 passen gar nicht ins Bild. Ausreißer oder ein neuer Trend? Die Wetterkundler wissen es noch nicht. „Während es bei der Temperatur klar nach oben geht, gibt es bei Niederschlägen eine sehr hohe Variabilität“, sagt Karsten Friedrich vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach der Volksstimme. Klar ist eines: Mit den steigenden Temperaturen verdunstet mehr Wasser. Es ist also mehr feuchte Luft unterwegs als früher. Unklar bleibt, wo es herunterprasselt. 1997 schüttete es an der Oder, 2002, 2006 und 2011 an der Elbe, 2013 dann an Saale und Elbe.

Noch etwas fällt den Wetterkundlern auf: Die Jet-Streams, die starken Höhenwinde aus Westen, haben sich verändert. Das hat zur Folge, dass Wetterlagen in Mitteleuropa länger am Ort verharren. Der wechselhafte, einst typisch deutsche Sommer scheint sich allmählich zu verabschieden. 2018, 2019 und 2020 waren es vor allem Hochs, die sich tagelang festsetzten. Kühlere und feuchte Tiefs prallten daran ab. Nach drei zu trockenen Frühjahren und drei zu trockenen Sommern in Folge sind die Grundwasserspeicher wie ausgesaugt. Im tiefen Boden herrscht seit vielen Monaten extreme Trockenheit, wie der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums Leipzig zeigt. Die Elbe plätschert auch im September zwischen dem nackten Domfelsen entlang – ein Bild, das früher Seltenheitswert hatte. 80 Zentimeter steht auf der Pegelanzeige Magdeburg-Strombrücke. 1,89 Meter wären normal.

Die Dürre bekommt vor allem die Agrarwirtschaft zu spüren. Beispiel Winzer. An Saale und Unstrut werden gerade die Trauben gelesen. „Wir rechnen mit etwa 40 Hektoliter je Hektar“, sagt Hans-Albrecht Zieger, Chef der Winzervereinigung. 40 Hektoliter - das sind 5700 Flaschen. Zum Vergleich: 2017 waren es 12.900 Flaschen je Hektar. Im Jahr darauf 8800, letztes Jahr 6600. Eine halbierte Ernte können die Weinbauern nur durch höhere Preise ausgleichen. „Doch irgendwann ist das ausgereizt“, sagt Zieger. Die Reben bräuchten mehr Wasser. Gesetzlich erlaubt wäre eine künstliche Bewässerung - allein es fehlt an Technik und Geld.

Ähnlich sieht es bei Obstbauern aus. Dort ist der Bedarf noch höher. Ein Hektar Apfelplantage etwa benötigt viermal so viel Wasser wie dieselbe Fläche Wein. Auch beim Getreide verbuchen die Bauern das dritte Jahr in Folge Verluste. Erste Betriebe verkaufen schon Äcker, um finanziell flüssig zu bleiben. Zwar dürfen Bauern die Äcker aus eigenen Brunnen bewässern, doch das ist streng limitiert.

Olaf Feuerborn darf für seinen Betrieb im Landkreis Anhalt-Bitterfeld maximal 160.000 Kubikmeter Brunnenwasser auf die Felder bringen. „Das reicht in normalen Zeiten gerade mal so – in den Jahren seit 2018 aber vorn und hinten nicht“, sagt Feueborn, der auch Präsident des Landesbauernverbandes ist. „Wir bräuchten jetzt drei, vier normale Jahre, damit die Grundwasserspeicher wieder aufgefüllt wären.“

Ob die Natur den Landwirten den Gefallen tut, weiß freilich niemand. Ein möglicher Ausweg: Wasserspeicher. In Südeuropa gehören sie zum Alltag. Hier war das bislang kein großes Thema. Müssen deutsche Landwirte umdenken? „Ja“, sagt Feuerborn. Er spricht über Teiche, Gräben und Kiestagebaue. „Vielleicht könnten ja auch die Talsperren im Harz in Notzeiten mehr Wasser abgeben“, meint er. Doch da geht die rote Kelle hoch. „Die Talsperren brauchen wir für Trinkwasser, das hat absoluten Vorrang“, sagt Burkhard Henning, Chef des zuständigen Landesbetriebs.

Bislang gab es in Sachsen-Anhalt keinen Trinkwassermangel. Doch das muss nicht so bleiben. Beispiel Colbitz-Letzlinger Heide. Dort wird bestes Trinkwasser für den Großraum Magdeburg gewonnen. Gespeist wird die Heide auch vom Flüsschen Ohre. Die Ohre entspringt in Niedersachsen, und dort pumpen die Bauern jetzt wie überall ordentlich Wasser aus dem Boden. Das fehlt dann irgendwann der Ohre und der Heide. Axel Ruhland, Chef des Versorgers TWM in Magdeburg, meint: „Noch sehe ich keinen Grund zur Panik. Aber nichts tun dürfen wir auch nicht.“ Zusammen mit dem Landesbetrieb wird nun eine Wasserbilanz erstellt und nach Auswegen gesucht.

Trockenphasen gab es auch früher. Zu DDR-Zeiten wurde der Mittellandkanal angezapft, um Äcker zu bewässern. „Doch das war heikel“, erinnert sich Henning. Schon wenige Zentimeter reichen, um die Schifffahrt zu gefährden. Eher läuft es wohl darauf hinaus, Teiche anzulegen, Wehre einzubauen oder aber Kiesgruben und ehemalige Tagebaue anzuzapfen. Mit der Goitzsche und dem Geiseltal sind riesige künstliche Seen entstanden. Agrarministerin Claudia Dalbert (Grüne) rät den Bauern, regionale Wasser- und Bodenverbände zu gründen, die vor Ort passende Speicherlösungen finden sollen.

Ohne staatliche Gelder ginge nichts. Noch gibt es kein Programm. Doch das soll sich nach der Landtagswahl 2021 ändern. „Geld ist genug da“, sagt Bernhard Daldrup, Agrarpolitiker der CDU-Landtagsfraktion. Allein im EU-Fördertopf lägen zusätzliche 130 Millionen Euro.

Am Dienstag ist Herbstanfang. „Ab Mittwoch kommt Regen“, sagt Anja Juckeland vom Deutschen Wetterdienst. Ein Wettermodell prognostiziert ausgiebige Niederschläge. Ein zweites Modell ein paar Schauer.