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Duft und wohlige Wärme im Strohballenhaus

Von Bettina Koch 11.12.2012, 14:20

Strohballenhäuser fristen in Deutschland noch ein Nischendasein. Aber das Interesse wächst. Geringe Heizkosten und gesundes Wohnklima sind Argumente für den natürlichen Baustoff .

Magdeburg ● Es riecht herrlich in Heike Weingärtners Strohballenhaus. Die Wände atmen und als Besucher atmet man ebenfalls kräftig durch. Noch sind die Wände nicht fertig verputzt, aber das stört die Wirtschaftsingenieurin, Fachrichtung Bauwesen, wenig. Im Gegenteil, so können die am Strohhaus interessierten Besucher bei den Führungen und Beratungen noch verschiedene Bauphasen sehen. "Es sind nicht nur die Super-Ökos, die sich das angucken und über das Bauen mit Naturbaustoffen nachdenken", lacht sie.

Im April 2011 ist der erste Spatenstich auf dem Grundstück im Osten Magdeburgs, nahe am Biotop "Großer Cracauer Anger" vollzogen worden. 20 Zentimeter Schaumglas unter der 20 Zentimeter starken Fundamentplatte und ringsherum sind das Geheimnis für warme Füße, berichtet Heike Weingärtner: Die Kälte kriecht nicht nach oben.

Damit die Strohballen beim Bau der Außenwände nicht regennass werden konnten, wurden zunächst das Holzständerwerk und das Dach errichtet. Das Stroh holte sich Heike Weingärtner bei einem Bio-Bauern in der Börde: "Am besten eignet sich Winterweizen, und das Bio- Getreide wird nicht mit einem Halmverkürzer gespritzt. Das ist frei von Schadstoffen, da kann nichts ausdünsten", sagt Heike Weingärtner.

Allerdings hatte sich die Ernte im vergangenen Sommer wegen der häufigen Niederschläge deutlich verzögert. Das Stroh wurde dreifach
gepresst auf 35 Zentimeter Dicke. Ein 50 Zentimeter langer Baustrohballen bringt 11 Kilogramm auf die Waage. Rund 700 Ballen hat Heike Weingärtner mit zwei Helfern gestapelt.

Die Strohballen wurden vor das Ständerwerk versetzt aufgeschichtet, zusammengepresst, mit Holzspießen fixiert und die Wände außen
mit Kalk verputzt. Fünf Zentimeter dick ist die Schicht insgesamt. Es sind keine glatten Wände, Heike Weingärtners Haus ist neu, wirkt aber alt dank der welligen Kalkputzstruktur, dank der grünen Holztüren und Wände sowie wegen der 12 000 historischen Handstrichziegel, die Heike Weingärtner für ihr Dach aufbereitet hat.

Die Wände im Innern wurden mit ungebrannten Lehmsteinen
gemauert. Der fünf Zentimeter dicke Innenputz wird in drei Schichten an den Strohwänden aufgebracht. Anschließend könnte ein heller
Anstrich mit Naturpigmenten folgen. Ein kreisrundes Stück Wand hat Heike Weingärtner ausgespart: Unter einer runden Glasplatte mit Rahmen soll später noch zu sehen sein, dass das Haus aus Stroh besteht.

Vor einem Jahr ist Heike Weingärtner mit ihren Kindern in das Haus eingezogen. Schon im ersten Winter hat sich die Bauweise mit den Naturbaustoffen bewährt: Ein einziger Ofen beheizt das ganze Haus und schaff t es, wohlige Wärme zu erzeugen. Noch steht ein "Bullerjan" in der Stube. Der soll in Zukunft durch einen Lehmgrundofen ersetzt werden, der wiederum den Holzverbrauch deutlich senkt und besonders lange Wärme abstrahlt.

Von Erdgas oder Heizöl ist Familie Weingärtner also unabhängig.
Während die Baukosten für das Strohballenhaus dem eines konventionellen Gebäudes ähnlich sind, werden mit diesem Niedrigenergiehaus deutlich die Heizkosten gesenkt. Hinzu kommt ein ganz besonderes Wohnklima. Das Haus atmet, die Luftfeuchtigkeit
wird reguliert, die Naturbaustoffe dünsten keine Schadstoffe aus.

Anregungen für ihr eigenes Strohballenhaus hatte sich Heike Weingärtner unter anderem bei einem Seminar im Ökodorf Sieben Linden geholt, wo mehrere Strohhäuser stehen. Baubiologe Michael Rohde aus Sanne in der Altmark begleitete das Projekt.

Strohballenhäuser werden vorwiegend auf zwei Arten errichtet: Anders als bei Heike Weingärtner, wo die Strohballenwände vor einen Ständerbau gesetzt wurden, entstand das Strohballenhaus im 600-Seelen- Ort Wünsch (Stadt Mücheln) als Fachwerkgebäude. Das Haus gehört zum Naturlandhof Wünsch mit Dorfbackofen,
Hofladen, Schlachthaus, Räucherkammer, Schumacherwerkstatt,
Obstsaftpresse und Landtechnikausstellung. Dorf- und Vereinsleben sowie Schulprojekte finden dort statt. Das Strohballenhaus komplettiert den Vierseitenhof, es bietet Raum für Chorproben, Fasching, Ausstellungen und andere Veranstaltungen. 310 000 Euro wurden verbaut. Dafür gab es Fördermittel aus dem Leader-Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums.

Das Gebäude strahlt eine besondere Atmosphäre aus

Da dem Haus nicht anzusehen ist, woraus es besteht, wurde auch dort ein Fenster gesetzt, das Stroh und Lehmputzschichten zeigt. Steffen Keller, Bauamtsleiter in Mücheln, schwärmte von der besonderen Atmosphäre, die das Gebäude ausstrahle, zudem müsse kaum geheizt werden.

Bei Veranstaltungen genüge die Wärme, die die Menschen erzeugen. Die eingebaute Fußbodenheizung müsse nur in seltenen Fällen eingesetzt werden, das spare eine Menge Geld. Insgesamt gibt es nach Angaben des Fachverbandes Strohballenbau Deutschland bundesweit rund 100 Strohballenhäuser. Aber das Interesse wächst.

Heike Weingärtner hat daraus eine Geschäftsideee entwickelt und wurde dafür in diesem Jahr in Magdeburg mit einem Gründerpreis augezeichnet. Neben den Seminaren und Beratung zum Bauen mit Naturbaustoffen aus der Region und mit dem regionalen Handwerk
veranstaltet Heike Weingärtner Kreativ-Seminare mit Naturmaterialien. Dafür (und zur Pflege der Grünfläche am Haus) hält Heike Weingärtner zwei Wendsleydale-Schafe, mit deren gelocktem Haar beim Filzen besondere Akzente gesetzt werden können. So kann das Haus aus Naturbaustoffen auch im Innern mit Selbstgemachtem aus natürlichen Rohstoffen gestaltet werden.