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Ebert-Stiftung Studie ignoriert Sachsen-Anhalts Speckgürtel

Eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht Sachsen-Anhalts Landkreise in „dauerhafter Strukturkrise“. Aber stimmt das so?

Von Alexander Walter 01.08.2019, 01:01

Magdeburg l Es ist erst wenige Tage her, da freute sich Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) über eine deutlich gestiegene Wirtschaftskraft in Sachsen-Anhalt. In keinem anderen ostdeutschen Flächenland verdienten Arbeitnehmer inzwischen besser als in Sachsen-Anhalt (2595 brutto im Monat). Auch die Lohnlücke zum Westen habe sich verringert.

Weitet man den Blick auf die breitere wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung, trübt sich das Bild ein. Das legen ausgerechnet Daten einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung nahe. Ihr zufolge beschränkt sich der Aufwärtstrend im Land Sachsen-Anhalt allein auf die drei großen Städte – und das nicht nur bei Wirtschaftsfaktoren.

Untersucht wurden im „Sozioökonomischen Disparitätenbericht 2019“ der Stiftung neben Kriterien wie Bruttogehältern auch der Anteil Hochqualifizierter an den Beschäftigten, Breitbandausbau, kommunale Schulden, Wahlbeteiligung oder Lebenserwartung. Die ernüchternde Bilanz: Allein Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau gehören zu den erfolgreichen „dynamischen Groß- und Mittelstädten“ – einer von fünf von den Studienautoren ausgemachten Raumtypen. Der gesamte Rest des Landes zählt dagegen zu den ländlich geprägten Räumen in der „dauerhaften Strukturkrise“. Den Studienautoren zufolge leiden diese massiv unter Abwanderung und Überalterung – vor allem weil gut bezahlte Arbeitsplätze fehlen. Auch an der Infrastruktur mangelt es: Ärzte sind schlechter erreichbar, der Breitbandausbau stockt.

Laut Studie ist längst nicht nur Sachsen-Anhalt betroffen: Der gesamte ländliche Raum im Osten hinke hinterher. Anders als im Westen hätten es die Großstädte hierzulande auch 30 Jahre nach der Wende nicht geschafft, ihre Wirtschaftskraft auf die umliegenden Regionen ausstrahlen zu lassen. Zu einem ganz ähnlichen Befund war schon im Frühjahr eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) Halle gekommen.

Doch stimmt das so? Beim Blick auf manche Mittelstadt in Sachsen-Anhalt mag man die Aussagen nicht so recht glauben. Beispiel Haldensleben – 20 Kilometer von Magdeburg entfernt, und damit laut Studienergebnis bereits mitten im chronisch kriselnden ländlichen Raum.

Die Gewerbegebiete der 20.000-Einwohner-Kreissstadt sind nahezu voll belegt. Rund 14.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt es aktuell in der Stadt. Namhafte Unternehmen wie Hermes, der Autozulieferer Ifa oder Euroglas haben hier große Standorte errichtet. Allein der Hermes-Versand beschäftigt rund 3600 Menschen. „Täglich pendelten zuletzt rund 9000 Menschen ein“, sagte Stadtmarketing-Mitarbeiterin Stefanie Stirnweiß auf Anfrage.

Haldensleben mag besonders erfolgreich sein, ein Einzelfall ist es nicht. Elf der 100 größten Unternehmen des Landes Sachsen-Anhalt sitzen jeweils im Harz- und im Saalekreis, 10 im Salzlandkreis und immer noch sieben jeweils in Bördekreis und Anhalt-Bitterfeld.

Laut Statistischem Landesamt ist nicht etwa eine Großstadt unangefochtener Wirtschaftsmotor im Land, sondern der Saalekreis. Wie ein Gürtel liegt die Region um die Großstadt Halle. Mit gut 75.000 Euro lag das Bruttoinlandsprodukt hier zuletzt gut 14.000 Euro über dem Landesschnitt. Grund ist vor allem auch der boomende Chemiepark Leuna mit seinen zuletzt fast 10.000 Arbeitsplätzen in rund 100 Unternehmen.

Abgehängte Regionen, dauerhafte Strukturkrise? Beim Blick auf die Gemeinden lässt sich dieser Befund so nicht immer aufrechterhalten, räumt dann auch Stefan Siedentop, Mitautor des Disparitätenberichts, auf Volksstimme-Nachfrage ein.

Eine Ursache dafür, dass der ländliche Raum im Osten fast durchgehend krisenhaft rot gefärbt ist, dürfte auch in der Methodik der Studie liegen, sagt er: „Wir haben nur Daten auf Kreisebene verwendet.“ Im Osten aber seien die Landkreise häufig viel größer als im Westen. Die Folge: Die schwache Peripherie großer Flächenkreise im Osten drückt trotz mitunter starker Städte in solchen Kreisen kräftig auf die Gesamtbilanz.

Die Tendenz ist deshalb nicht falsch. Noch immer wirkt sich im Osten die Deindustrialisierung nach der Wende aus, so die Studie. Schlussfolgerung für die Politik müsse sein, die Anstrengungen für gleiche Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu verstärken. Damit weichen die Autoren von Positionen des IWH Halle ab. Das Institut hatte empfohlen, Förderpolitik künftig auf Großstädte zu konzentrieren.