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Die abenteuerliche Fahndung nach Sachsen-Anhalts meistgesuchtem Häftling ist zu Ende Ein "Mädchen aus Ost-Berlin" bot dem Verbrecher ein ideales Versteck

Von Matthias Fricke 27.08.2012, 05:36

Die zehntägige Flucht von Sachsen-Anhalts meistgesuchtem Schwerverbrecher endete in Berlin-Marzahn. Der Aschersleber hatte über die Partnerbörse eines Fernsehsenders eine 35-jährige Berlinerin (Mutter von drei Kindern) dazu überredet, mit in deren Wohnung zu übernachten. Bis Freitag war er bei der ahnungslosen Frau untergetaucht.

Aschersleben/Berlin l Es ist Freitag, 14 Uhr, die letzten zwei Stunden der abenteuerlichen Flucht von Sachsen-Anhalts meistgesuchtem Häftling brechen an. Verurteilt bis 2024 mit anschließender Sicherungsverwahrung war er bei einem "bewachten Ausgang" in Aschersleben am 14. August geflüchtet.

Die Einsatzkräfte des "Mobilen Einsatzkommandos" beobachten bereits seit einigen Minuten einen älteren blauen VW-Passat. Er steht auf einem Parkplatz mitten in Marzahn. Die Beamten wissen mittlerweile, dass Titsch dieses Auto von einem Kumpel bekommen hat. Sie sind sich auch sicher, dass sich Silvio Titsch hier in Marzahn in der Wohnung einer 35-jährigen Berlinerin aufhält. Das haben die Ermittlungen ergeben. Laut Einwohnermeldeamt wohnt dort eine Familie mit drei Kindern. Für den "Zugriff" steht auch eine Spezialeinheit der Berliner Polizei bereit. "Doch wir mussten uns sicher sein, keine weiteren Personen zu gefährden", sagt Einsatzleiter Detlef Golz.

Es heißt warten. Dann steigt ein Mann in den Passat. Er hat etwas längere, dunklere Haare als der Gesuchte auf dem Fahndungsbild der Justiz. Außerdem ist er schlanker. Eine Sonnenbrille verdeckt einen Teil des Gesichtes. Ist er es?

"Ich hätte nie gedacht, dass ihr mich so schnell bekommt"

Das Fluchtauto fährt quer durch den Stadtteil, hält immer wieder, gibt dann wieder Gas. Offenbar glaubt der Fahrer, dass er verfolgt wird.

"Da war uns klar, es kann nur Titsch sein", meint Kriminaldirektor Karl-Albert Grewe.

Die Beamten warten, bis der Passat einparkt. Dann setzen sie sich mit ihrem Wagen davor. Die Polizisten packen Titsch, Handschellen klicken. Das erste, was er sagt: "Ich hätte nie gedacht, dass ihr mich so schnell bekommt." Dann sackt Titsch in Handschellen und Fußfesseln auf dem Rücksitz des Einsatzwagens auf dem Weg zum Polizeigewahrsam in Berlin zusammen. Er schläft auf der Stelle ein.

Für die Polizei ist die Arbeit längst nicht zu Ende. Irgendwo im Landkreis Harz bereiten Beamte des Sondereinsatzkommandos (SEK) eine zweite Festnahme vor. Die seines 43-jährigen Fluchthelfers. Der hatte Titsch auch das Auto besorgt. Um 21.04 Uhr stürmt das SEK die Wohnung und nimmt den Verdächtigen fest. Er muss sich nun wegen des Verdachts der Gefangenenbefreiung verantworten. Das Amtsgericht Aschersleben (Salzlandkreis) erlässt am Sonnabend Haftbefehl, setzt diesen aber gegen Meldeauflagen gleich wieder außer Vollzug. Erst weit nach Mitternacht packen die Einsatzstäbe im Landeskriminalamt Magdeburg ihre Sachen zusammen.

Auf einer Pressekonferenz am Sonnabend sagt Ermittlungsleiter Karl-Albert Grewe: "Wir wollten Silvio Titsch bis zu seinem Geburtstag wieder hinter Gitter bringen. Das haben wir geschafft."

Titsch wird morgen 37 Jahre alt. Wann er zurück in seine Zelle nach Burg kommt, soll heute Nachmittag entschieden werden.

Einige Details der Flucht lässt auch die Kriminalisten erstaunen. Zunächst waren die Beamten davon ausgegangen, dass Titsch im Raum Aschersleben oder im benachbarten Landkreis Harz untergetaucht ist. Der Fluchthelfer aus dem Harz hat ihn wohl auch für ein paar Nächte in seiner Wohnung ein Versteck gewährt. Da der Komplize zwar aus Sachsen-Anhalt kommt, aber in Bayern und Baden-Württemberg unterwegs ist, suchten auch dort Spezialeinheiten nach dem Schwerverbrecher. "Es waren auch Polizisten aus Österreich in den Einsatz involviert", erklärt der Einsatzleiter der Spezialkräfte Detlef Golz.

Doch da waren die Beamten auf einer falschen Spur. In seinem Versteck schaute Titsch Fernsehen, zappte auf eine Flirtseite und fand dort die Daten der Berlinerin. Per Handy nahm er am vorigen Sonntag (19. August) Kontakt auf und machte sich auf den Weg. Der vierfache Vater Titsch kam schnell zum Zuge: die alleinerziehende Mutter dreier Kinder war offenbar froh, einen Partner gefunden zu haben - sie ließ ihn gleich bei sich übernachten. Dass Titsch ein verurteilter Vergewaltiger ist, wusste sie nicht. Für ihn war Marzahn ein idealer Unterschlupf. In dem von Plattenbauten dominierten Bezirk im Osten Berlins wohnen 104 000 Menschen, die Anonymität ist groß.

Einige Fragen hat die Kripo noch. Darunter an die Mutter von Titschs sechsjährigem Sohn. Zu dessen nachträglicher Geburtstagsfeier hatte Titsch den bewachten Ausgang - von dort floh er. Der Türschlüssel steckte von außen. Er konnte so seine beiden Bewacher einschließen. Zwei weitere Mütter mit Kindern waren ebenfalls dabei.