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Immer weniger junge Menschen engagieren sich ehrenamtlich Eine 29-Jährige tanzt aus der Reihe

Von Elisa Sowieja 09.05.2013, 20:31

Magdeburg/Burg. In Sachsen-Anhalt engagieren sich weniger Ehrenamtliche als in allen anderen Bundesländern. Besonders mau sieht es bei jungen Menschen aus. Ältere hingegen suchen sich immer häufiger Aufgaben, um anderen Gutes zu tun.

Elisabeth Speerschneider ist eine Exotin. Nicht etwa, weil sie aus einem fernen Land stammt oder fremdartig aussieht. Sondern deshalb, weil sie jeden Donnerstag mit einem Haufen Knirpse den "Tarzan"-Tanz übt - ohne Bezahlung. Die junge Frau aus Magdeburg gehört zu den gerade mal 26 Prozent der Sachsen-Anhalter mit einem Ehrenamt. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 36 Prozent.

Mit ihren 29 Jahren steuert sie zudem einem Alterstrend entgegen. Denn bei jungen Menschen ist der Anteil der Ehrenamtlichen von 2004 bis 2009 eingebrochen. "Über die Gründe können wir nur rätselraten - vor allem, weil es in anderen Ostländern einen Anstieg gibt", sagt Olaf Ebert von der Freiwilligenagentur Sachsen-Anhalt. Sie berät zum Beispiel Bürger, die sich engagieren, und Vereine, die ihre Freiwilligenarbeit verbessern wollen.

Vermutung: Junge Menschen haben wengier Zeit

Ebert vermutet: Junge Menschen haben immer weniger Zeit, da sie durch Schulschließungen weite Wege auf sich nehmen müssen oder in Ausbildung und Studium stärker gefordert sind.

Elisabeth Speerschneider kennt das Zeitproblem nur zu gut. Im Moment ist sie im Babyjahr; doch sonst pendelt sie zwischen Magdeburg und Halle, wo ihr der Landessportbund nach jahrelangem ehrenamtlichen Einsatz im Vorstand und als Referentin einen Job angeboten hat. Dabei ist es mit einer Stunde Tanzkurs pro Woche nicht getan. Zusammen mit fünf weiteren Ehrenamtlichen hält sie seit 2008 einen ganzen Tanz- und Sportverein am Laufen. Er zählt fast 500 Mitglieder. Elisabeth kümmert sich um Mitgliederverwaltung und Öffentlichkeitsarbeit. Rund zehn Stunden pro Woche kostet sie das.

Zeitmanagement ist nicht die einzige Schwierigkeit, die das Ehrenamt für die 29-Jährige mit sich bringt. "Wenn man für Geld und Bauarbeiten rechtlich verantwortlich ist, steht man quasi mit einem Bein im Knast", erzählt sie. Außerdem hätten Freiwillige oft zu wenige Mitgestaltungsmöglichkeiten. "Das war ein Grund, warum wir unseren eigenen Verein gegründet haben."

Letzteres stützt die Erklärung von Olaf Ebert, weshalb es um das Ehrenamt in Sachsen-Anhalt - ganz unabhängig vom Alter - so schlecht steht. "Wir haben keine ausreichend entwickelte Freiwilligenkultur", sagt er. "Viele Einrichtungen sind nicht offen genug gegenüber Ehrenamtlichen." Auch fehle eine einheitliche Strategie, wie man Engagement attraktiver machen könne. Teils rühre das aus mangelnder Erfahrung im Vergleich zu den alten Bundesländern. Denn viele Einrichtungen seien erst nach der Wende entstanden.

Mehr Engament bei den Älteren

Zumindest in einer Altersgruppe ist ein leichter Zuwachs von Ehrenamtlichen zu verzeichnen: bei den Über-60-Jährigen. "Hier scheinen unsere Projekte zu fruchten", sagt Ebert. So gibt es in Sachsen-Anhalt zum Beispiel rund 100 Seniortrainer. Das sind Rentner, die im Rahmen eines Bundesprogramms in Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Co. ausgebildet wurden, um andere, meist ältere Freiwillige zu unterstützen.

Besonders gefragt bei den Freiwilligen über 60 sind Patenschaften: Senioren lesen in Kitas vor oder gehen mit Altenheimbewohnern spazieren. Hier herrscht ein regelrechter Boom, berichtet Ebert.

Walter Gröppler ist solch ein Pate. Der 69-Jährige geht zwei- bis dreimal pro Woche in ein Burger Altenheim. Dann schnappt er sich Karl-Heinz Hauk, einen Bewohner mit geistiger Behinderung, und es geht ab in die Stadt. "Wir beede", sagt Gröppler und winkt lachend ab. Denn bei den Zweien stimmt einfach die Chemie. Zum Schnattern finden sie immer ein Thema - ob den nächsten Fernsehkrimi oder ein abgerissenes Gebäude im Stadtzentrum.

Manchmal zieht der Freiwillige auch mit anderen Bewohnern los, in den Park oder auf den Weihnachtsmarkt zum Beispiel. Und alle vier Wochen schiebt er bei der großen Ausfahrt der Rollstuhlfahrer mit.

"Die Leute wollen doch mal raus"

"Als Rentner habe ich sowieso Zeit", sagt er, als wäre sein Einsatz selbstverständlich. "Und die Leute wollen doch mal raus. Wenn es mir später mal so geht wie ihnen, fände ich es auch schön, wenn jemand ab und zu vorbeikommen würde."

Für die Patenschaft hat sich Walter Gröppler auch entschieden, weil er sich von den Bewohnern gebraucht fühlt. "Sie freuen sich richtig, wenn sie mich sehen", erzählt er.

Das, was von Menschen zurückkommt, denen man Gutes tut, motiviert auch die ehrenamtliche Tanztrainerin Elisabeth Speerschneider - Hürden hin oder her. "Es ist schön, wenn die Kleinen gern zum Training kommen", sagt sie. "Außerdem ist es schon besonders, dass man zum Teil ihrer Kindheit wird."

Wie sehr sie das anspornt, macht sich im Moment besonders bemerkbar. Denn obwohl die junge Frau ihren Sohn Josef erst vor zwei Monaten zur Welt gebracht hat, schlägt sie sich schon seit Wochen wieder jeden Donnerstag eine Stunde für ihre Tanzknirpse frei.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen in Sachsen-Anhalt ist telefonisch zu erreichen unter (0345)2003411. Im Internet findet man sie unter

www.lagfa-lsa.de

Mehr zum demografischen Wandel in Sachsen-Anhalt lesen Sie im Volksstimme-Dossier "Das Land im Wandel".