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Erziehung Die alte Angst vor dem Wolf ist zurück

Die Angst vor dem Wolf ist zurück. Im Zentrum der Sorge stehen meist die Kinder. Berechtigt oder nicht? - Ein Stimmungsbild aus zwei Orten.

Von Alexander Walter 23.05.2017, 01:01

Bismark/Haldensleben l Waldprojekte gehören zu den Höhepunkten im Jahreszyklus der Kitas im altmärkischen Bismark. Zu keinem anderen Zeitpunkt kommen die Kinder so eng in Kontakt mit der Natur. Die Rückkehr des Wolfs aber scheint das nun infrage zu stellen. „Die Unbeschwertheit von einst, sie ist verschwunden“, sagt Bürgermeisterin Annegret Schwarz.

Schwarz kann sich noch genau erinnern, wie es begann: Als die Stadt vor kurzem Schauplatz eines Feuerwehrwettkampfes mit Dutzenden Kindern in den Wäldern werden sollte, trat ein Feuerwehrmann an sie heran: ‚Sie wissen aber schon, dass wir Wölfe in den Wäldern haben?‘, fragte der. „Danach ist mir ganz mulmig geworden“, gesteht Schwarz.

Es war keine konkrete Bedrohung, eher ein diffuses Gefühl, und doch änderte es vieles. Sie habe erkannt, dass die Stadt die Gefahr durch Wölfe für Kinder bislang nicht gesehen hatte, sagt Schwarz. „Wir haben zwölf Kindergärten und alle gehen mit Projekten regelmäßig in die Wälder.“ Was über Jahre selbstverständlich war, bereitete der Bürgermeisterin plötzlich Sorgen.

Dabei ist das ländliche Bismark für Waldprojekte geradezu geschaffen. Auf einem Drittel der Fläche Rügens leben hier idyllisch zwischen Wäldern gerademal gut 8000 Menschen. Die Bismarker leben gern mit der Natur, betont die Bürgermeisterin. Seitdem der Wolf aber über Spielplätze und durch Vororte von Städten laufe, will Schwarz Waldprojekte nicht mehr ohne Weiteres verantworten. Die Bürgermeisterin beriet sich deshalb mit den Erzieherinnen ihrer Kindertagesstätten, wie man sich verhalten sollte.

Das Ergebnis: Erzieherinnen sind ab sofort angehalten, ihre Gruppen nur noch in Begleitung von Jägern und Förstern in den Wald zu führen. Die Aufsichtspersonen sollen zudem Hundepfeifen tragen, um Wölfe im Notfall vergrämen zu können. Nicht zuletzt will Schwarz ihre Erzieherinnen im Wolfskompetenzzentrum für den Fall von Begegnungen schulen lassen.

Sie wolle keine Ängste schüren, betont die Bürgermeisterin. Die Kinder sollen von den Schutzmaßnahmen erst gar nichts merken. Sie trage aber Verantwortung für die Sicherheit der Kinder. „Ich muss die Situation ernst nehmen – und ich nehme sie verdammt ernst“, sagt Schwarz.

Die Bismarker Bürgermeisterin ist mit ihrer Sorge nicht allein. Die alte Angst vor dem Wolf, sie erlebt vielerorts ihre Wiedergeburt. Eine Gruppe Erzieherinnen im altmärkischen Osterburg hat sich erst Anfang Mai vom Wolfskompetenzzentrum beraten lassen. Auch hier sei die Verunsicherung über den Räuber der Grund gewesen, sagt der stellvertretende Bürgermeister Detlef Kränzel. Der CDU-Landtagsabgeordnete Uwe Harms berichtet von Joggern in seinem Wahlkreis um Gardelegen und Klötze, die beim Laufen in den Wälder neuerdings ein mulmiges Gefühl beschleicht.

Am hörbarsten machten vor wenigen Wochen Bürger in Zobbenitz bei Haldensleben auf Sorgen um ihre Kinder aufmerksam. In der Nähe des Dorfs, nur wenige Kilometer vom Truppenübungsplatz Altmark entfernt, hatten Wölfe zuletzt im Winter etliche Schafe gerissen. Schon mehrfach haben Anwohner und Jäger Wölfe auf den Feldern rund ums Dorf gesichtet. Eltern sahen sich veranlasst, ihren Kindern das Spielen außerhalb des Ortes zu verbieten.

Eine Mutter forderte gar einen Zaun für den Waldkindergarten ihrer Tochter im Nachbardorf Satuelle. Dort hingegen warnen die Verantwortlichen vor Panikmache. „Wir wollen Kindern hier ja gerade die Möglichkeit geben, ohne Zäune zu spielen“, sagt Leiterin Cornelia Schmidt. Ein Zaun würde dieses Konzept zerstören.

Stattdessen setzt die Kita, in der sich zwei Gruppen das ganze Jahr über im Wald aufhalten auf Aufklärung: Nach Fragen besorgter Eltern lud die Einrichtung bereits zwei Mal, zuletzt im Februar, zu einer Infoveranstaltung mit dem Wolfsbeauftragten des Landes Andreas Berbig ein.

„Ist mein Kind in der Wald-Kita gefährdet?“ und „Wurden hier schon Wölfe gesehen?“, hätten die Eltern vor der Veranstaltung gefragt. Am Ende seien die meisten beruhigt nach Hause gegangen. Eine erhöhte Gefährdungslage gebe es aus ihrer Sicht nicht, sagt Schmidt.

Die Leiterin und ihre Kollegen betonen zugleich, dass sie nicht sorglos mit der Anwesenheit des Räubers umgehen: Die Erzieherinnen seien für das Thema sensibilisiert, die Kinder würden belehrt, sagt Stellvertreterin Susanne Kricheldorf. So lernten die Kinder, wie sie sich beim Kontakt mit Wildtieren verhalten sollen. Und sie wüssten, dass sie sich nicht allein entfernen dürfen.

Am Ende gehöre aber auch ein Mindestmaß an Vertrauen dazu, wenn man sein Kind in den Waldkindergarten gebe. „Es wird ja niemand gezwungen, sein Kind bei uns betreuen zu lassen, sagt Cornelia Schmidt. Bestätigung bekommt sie vom Wolfsbeauftragten Andreas Berbig. Er verstehe die Sorgen, aber: Das Szenario, dass ein Wolf ein Kind im Wald anfällt, halte ich für absolut unrealistisch“, sagt er.

Darauf will Annegret Schwarz sich lieber nicht verlassen: Noch vor wenigen Jahren habe der Wolf als Quelle möglicher Bedrohung keine Rolle gespielt. Das aber sei inzwischen leider anders: „Das Gleichgewicht stimmt nicht mehr“, sagt die Bismarker Bürgermeisterin.