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Zerstörung Magdeburgs 1945 "Es war die Hölle"

Am kommenden Freitag jährt sich die Zerstörung der Innenstadt am Ende des Zweiten Weltkrieges zum 70. Mal. Der Haldensleber Hörbuchverlag Marvin steuert als Erinnerung und Mahnung eine CD mit vertonten Zeitzeugenberichten bei.

Von Katja Tessnow 10.01.2015, 02:12

Magdeburg/Haldensleben l Einem frisch verliebten Paar wird die Schusseligkeit des männlichen Parts zum lebensrettenden Zufall. Er - verletzt auf Heimaturlaub - versäumt die verabredete Beschaffung der Karten für den geplanten Kinobesuch. Das Kino in der Innenstadt liegt Stunden später in Schutt und Asche; viele Besucher können nur noch tot geborgen werden.

Eine andere Magdeburgerin, 1945 erst 16 Jahre jung und Lehrling in einem Kaufhaus am Breiten Weg, tauscht ihren Spätdienst und überlebt im Keller ihres Wohnhauses den Bombenhagel. Die Kollegin, die den Dienst übernahm, kommt im Inferno um. Die Überlebende enttrümmert und steigt dafür über verkohlte Leichen, von denen sie kaum glauben kann, dass es einmal Menschen waren - auf 50 Zentimeter zusammengeschrumpft; verkohlte Bündel. Ein Heranwachsender hält sie sämtlich für tote Kinder und wird vom Vater aufgeklärt.

Tabea Wollner, Matthias Engel und die beiden Schüler Lara Wrono und Timon Christ verlesen die Zeitzeugenberichte in überwiegend sachlichem Ton, ohne übergroßes Pathos. Das brauchen sie nicht; sie beeindrucken Wort für Wort.

Es kommen zehn Magdeburger - Frauen, Männer und solche, die 1945 fast noch Kinder waren - zu Wort, um das Grauen, "die Hölle", das Inferno zu schildern, das am 16. Januar vor 70 Jahren über die Magdeburger Innenstadt hereinbrach. Jedoch die Berichte beeindrucken nicht ausschließlich wegen der detaillierten Beschreibung der brennenden Stadt, in der nach heutigen Schätzungen zwischen 2000 und 2500 Menschen - fast ausschließlich Zivilisten - ihr Leben ließen. Die Protokolle machen auch klar, wie scheinbar normal das Leben bis zu diesem Tag an der Elbe verlief, während deutsche Truppen über weite Teile der Welt und auch über Teile der Bevölkerung dieser Stadt bereits Leid und Vernichtung gebracht hatten. Viele Magdeburger wähnten sich sicher und wurden auf schreckliche Weise vom Gegenteil und am Ende vom Wert des Friedens auf der Welt belehrt.

Der Hörbuchverlag Marvin versteht seine Produktion als Dokument der Erinnerung und Mahnung und wendet sich ausdrücklich gegen jede Art nationalsozialistischer Verklärung der Ereignisse. Für das Hörbuch arbeitete Projektleiter Jörg Hampel, zugleich "Marvin"-Geschäftsführer, mit dem Verein Miteinander, der Landeszentrale für politische Bildung, dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek zusammen. Bibliotheksmitarbeiter Maik Hattenhorst hat das Vorwort zum Hörbuch verfasst und verweist im Kontext der verarbeiteten Zeitzeugenberichte auf andere Überlieferungen, zum Beispiel von jenen, die in KZ-Außenstellen, z. B. in der Rüstungsfirma Polte, um ihr Leben schufteten. Ihnen war der Zugang zu Schutzräumen verwehrt und doch sahen sie in den Luftangriffen die Vorboten der ersehnten Befreiung.