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Nach dem Hochwasser in Fischbeck müssen die Reimanns neu bauen "Es wird nichts mehr so sein wie früher"

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 11.07.2013, 03:16

Fischbeck. Die Fischbecker brauchen jetzt vor allem eins - Geduld. Denn egal, ob sie ihr Haus sanieren oder ganz neu bauen müssen - es vergehen Monate, bis sie wieder ein Zuhause haben.

Kahl und trostlos sieht es rings um das Haus von Elke und Rüdiger Reimann aus. Nichts ist mehr da von der einst grünen Oase, keine üppigen Büsche, blühenden Blumen und lauschigen Ecken. Und bald auch kein Haus mehr. Denn das etwa einen Meter hoch stehende Deichbruchwasser hat in dem rund 100 Jahre alten Gebäude Totalschaden angerichtet. Die verkleideten Lehmwände brechen jetzt schon von allein zusammen. Der Abrissbagger wird leichtes Spiel haben.

Bis er anrollt, ist noch einiges zu tun. "Das Dach haben wir erst vor zwei Jahren zusammen mit den Fenstern erneuert. Die Steine können wir wieder verwenden, die Fenster sind auch zu schade zum Wegschmeißen."

Der 54-jährige Familienvater, der seit 1996 mit Leukämie leben muss, will so viel wie möglich von dem retten, was ihn an die glückliche Zeit vor dem Deichbruch erinnert. Hilfe haben sie bei all der Arbeit von Bekannten und Unbekannten. Und Adoptivsohn Guido, der als Fischbecker Feuerwehrmann auch keine Zeit zum Verschnaufen hatte, packt ebenfalls mit zu.

In den 25 Jahren, in denen Reimanns nun schon in der Kabelitzer Straße wohnen, haben sie sich ein gemütliches Zuhause geschaffen. "Jede Mark und jeden Euro haben wir reingesteckt, uns kaum was gegönnt. Jetzt waren wir endlich fertig mit allem. Und nun fangen wir noch einmal ganz von vorn an."

Den Mut hat Elke Reimann, die bei der Gebäudereinigung der Stadt Stendal arbeitet, noch nicht verloren. Aber es fällt ihr schwer. "Es wird hier nichts mehr sein wie früher. Ein Neubau strahlt nicht die Wärme eines mühsam restaurierten Hauses aus."

Viele der älteren Nachbarn in der Kabelitzer Straße wollen nicht wiederkommen. "Wenn unsere Tochter Antje mit den drei Enkeln nicht hier leben würde, hätten wir uns wohl auch was anderes gesucht."

Traurig stimmt die sonst so lebenslustige Frau, dass neben dem eigentlich ganz guten Zusammenhalt im Ort auch Missgunst aufkommt. Und Gerüchte. "Es heißt, dass wir über einen Fernsehsender ein komplett neues Haus geschenkt bekommen. So ein Quatsch!"

Ein neues Haus bekommen Reimanns - ja! Weil die Versicherung einen Großteil des Schadens begleicht. "Ich hoffe nicht, dass wir Fischbecker uns jetzt gegenseitig das Leben noch schwerer machen. Wir sind doch alle betroffen, die einen mehr, die anderen weniger."

Einen Zeitplan, wie es weitergeht, haben Reimanns nicht. Die Baufirma, die das Haus errichten soll, hat viele Aufträge, kann vielleicht sogar erst nächstes Jahr loslegen. "Auf jeden Fall wollen wir so schnell wie möglich anfangen", denkt Rüdiger Reimann an die Neubauwohnung im Ort, die er und seine Frau vor wenigen Tagen bezogen haben. Es sei dort zwar mit Unterstützung der Familie ganz gemütlich geworden, "aber wir bleiben keinen Tag länger als nötig!" Auch wegen Schäferhündin Aischa.

Nicht alles auf Reimanns Grundstück fällt dem Abrissbagger zum Opfer. Die alte Scheune, die einst eine Backstube war und zuletzt ein gemütlicher Partyraum, hat die Flut besser verkraftet als das Haus. Zwar muss alles raus, "aber das kriegen wir schon wieder hin. Es wird nur eine Zeitlang dauern".

Etwas konkretere Pläne schmieden kann die junge Familie Grünwald, die ihr neu gebautes Häuschen erst vor einem Jahr bezogen hat. "Wir wollen den vierten Geburtstag unseres Sohnes Aik zu Silvester wieder hier feiern." Vorstellbar ist das jetzt kaum, wenn man auf der Baustelle steht. Der Bungalow ist nur noch ein Rohbau, von außen fehlt zur Hälfte die rote Fassade. "Die Wasser- und die Energieleitungen müssen auch noch raus, es bleibt nur die Hülle übrig!"

Tobias Grünwald, 28 Jahre alt, ist Zeitsoldat und freiwilliger Feuerwehrmann in Fischbeck, seine Frau Mandy arbeitet in einem Rathenower Pflegezentrum. Sie hatten vor dem Deichbruch gerade noch das letzte Stück Zaun gesetzt und im Garten reiften die ersten Früchte - das Familienglück war perfekt. Und soll es wieder werden.

"Wir bauen alles so, wie es war. Vielleicht bekommen wir ja noch die gleichen Fliesen und Tapeten." Die und alle Schäden am Haus bezahlt die Gebäudeversicherung. Eine Hausratversicherung hatten die jungen Leute aus Kostengründen aber nicht, "das müssen wir irgendwie alles neu anschaffen. Auch die Küche bezahlt die Versicherung leider nicht", denkt Mandy Grünwald wehmütig auch an diesen mit viel Liebe zum Detail eingerichteten Teil ihres Zuhauses zurück.

Die Eltern sind bemüht, Söhnchen Aik trotz der Katastrophe ein schönes Heim zu bieten. Die vorübergehend genutzte Zweiraumwohnung in Tangermünde ist klein, aber gemütlich. "Aik will jeden Tag mit auf die Baustelle, spricht von ,unserem kaputten Haus\' und fragt immer wieder, wann sein Zimmer fertig ist."

Nicht so viel Zeit wie sonst für ihn zu haben, schmerzt Tobias und Mandy Grünwald. Aber jetzt zählt jeder Tag, das Haus muss komplett entkernt werden. Und dann heißt es, zu warten. Im Mauerwerk sieht man deutlich, bis wohin die Steine nass sind. Und wenn der Wiederaufbau beginnt, kann Tobias Grünwald hoffentlich auch wieder ordentlich zupacken. Denn vor dem Deichbruch hatte er sich den Daumen gebrochen. Die Einschränkung hält den gebürtigen Tangerhütter aber nicht davon ab, für die Feuerwehr da zu sein. Dieser Tage beispielsweise pumpen die Kameraden aus einer Senke in Kabelitz das Wasser ab, damit etwas gegen die extreme Mückenplage unternommen werden kann.

Ab Montag haben Grünwalds zwei Wochen Urlaub. Die einst geplanten großen Ausflüge quer durchs Land fallen aus. "Aber wir wollen mit Aik mal auf einen großen Abenteuerspielplatz fahren und versuchen, dass wir alle drei den Kopf frei bekommen."