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Europawahl Das Klima und den Eierlikör retten

Als Nachrücker aus Sachsen-Anhalts Provinz angetreten, hat Arne Lietz (SPD) nach seiner Wahl 2014 schnell Fuß gefasst im Europaparlament.

Von Steffen Honig 24.04.2019, 01:01

Magdeburg l Die Erinnerung an den 13. Dezember 1981 sitzt bei Arne Lietz tief. Es war der Tag, als Bundeskanzler Helmut Schmidt mit DDR-Partei- und -Staatschef Erich Honecker das von der Stasi abgeriegelte Güstrow besuchte. Heiko Lietz, Vater von Arne, war damals Jugendpfarrer in der mecklenburgischen Stadt. Der damals fünfjährige Sohn erlebt konspirantive Kontakte zu Journalisten vom „Stern“ und von der „Zeit“ und berichtet, dass sein Vater die Stasileute damit beschäftigt habe, eimerweise Kohlen für die Heizung der Kirche heranzuschaffen. Resümee des SPD-Europaabgeordneten Lietz: „Das Leben in einer Oppositionsfamilie hat mich geprägt.“

Nach der Wende machte er sich zum Lernen und Arbeiten auf in die Welt. Um dann wieder in Deutschland zu landen, als Referent in der Stadtverwaltung Wittenberg. Der Verzicht der Kandidatin Victoria Orioli stieß für den Sozialdemokraten bei der Europawahl 2014 ein neues Fenster auf. Der 42-Jährige schaffte es als SPD-Ersatzmann ins Europaparlament.

Fortan düst Lietz im Namen der Menschenrechte und der europäischen Außenpolitik durch Europa, die Nachbarschaft und bis nach Amerika und Afrika. Den entsprechenden Ausschüssen will er neue Impulse geben.

Er sprüht vor Aktivität. Heute trifft er einen EU-Kommissar, morgen einen UN-Beamten, übermorgen NGO-Vertreter. Und wird vom phlippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte aus dem Land geworfen, als er mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen droht, falls sich die Menschenrechtslage im Inselreich nicht bessere.

Man kann Lietz zu beinahe jedem europäischen Thema anrufen – um ein Statement ist der selbstbewusste SPD-Politiker nie verlegen. Dass er einiges bewegt hat, davon ist Lietz überzeugt: „Ich habe die Klimadiplomatie im Europaparlament implementiert. Durch einen Bericht. Diesen haben ich dann in Genf, London und bei der Münchner Sicherheitskonferenz vertreten.“

Zum Zweiten hebt er hervor , die deutsche Linie einer fairen Lieferkette für den Textilbereich in den „europäischen Fokus“ gesetzt zu haben. Lietz stellt aber nüchtern fest: „Da sind wir nicht durchgekommen, weil die Kommission blockiert hat.“

Die Thematik solle aber nun während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 aufgenommen werden. „Beim Zusammenhang von Menschenrechten und Wirtschaft habe ich den Boden bereitet, damit das Thema nicht nur am Laufen gehalten, sondern verstärkt wird.“ Der SPD-Parlamentarier erwähnt zudem den erfolgreichen Kampf um die Freilassung des syrischen Journalisten Mazen Darwish, der mit dem Preis der Lutherstädte ausgezeichnet worden war.

Aus der weiten Welt landet er schließlich noch im heimatlichen Sachsen-Anhalt. Bei einer gehaltvollen Sache: Eierlikör. Lietz hatte 2017 von den Sorgen des Geflügelhofes Braune aus Altenweddigen mit dem alkoholischen Produkt erfahren. Dieses dürfe laut EU-Regeln keine Milchzusätze enthalten, die dem Getränk aus der Börde seine besondere Note geben. Ein Brandenburger Konkurrent hatte geklagt und vor dem Europäischen Gerichtshof gewonnen. Der Geflügelhof dachte aber nicht daran, sein Likör-Rezept zu ändern.

Das muss er wohl auch nicht: Arne Lietz machte sich im Parlament dafür stark, in der nun aktualisierten europäischen Spirituosenverordnung die Verfeinerung von Eierlikör durch Milch und Sahne zu erlauben. Nur der EU-Ministerrat muss noch sein Plazet geben. Nach dem Ausflug in die Börde Rückkehr in die bedeutsamen politischen Höhen: Aktuell bringe er sich in die Diskussion über Rüstungsexporte und die deutsch-französische Zusammenarbeit dabei ein, hält Lietz fest: „Da werde ich jetzt viel gehört und viel vom Bundestag angefragt.“ Europäische Rüstungsgüter dürften nur in Länder, geliefert werden, die damit kein Schindluder treiben. „Das will ich verbrieft haben. Die Franzosen schummeln, ebenso wie die Spanier und die Briten, wo die Deutschen konsequent bleiben“, bekundet Lietz.

Was er von sich aus nicht erwähnt, ist alles, was mit den Verwerfungen durch die Migration in der vergangenen Legislaturperiode zusammenhängt. Dabei war es zu Beginn der Zeit im Parlament für ihn der absolut dominierende Komplex.

Der Wittenberger Europaabgeordnete unterstützte von Anfang an den 2015 in Berlin gegründeten Verein „SOS Mediterranee“ . Dieser hatte ein ehemaliges Fischerei-Schutzboot gechartert und für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer umgerüstet. Auf der „Aquarius“ fanden bei den Einsätzen 200 bis 500 Menschen Platz.

Lietz rief einen Parlamentarier-Freundeskreis ins Leben, um den auf Spenden angewiesenen Verein bei seinen Rettungseinsätzen zu unterstützen. Diese sind inzwischen nicht mehr möglich. Die europäischen Mittelmeerländer haben ihre Häfen für Schiffe mit Migranten dichtgemacht.

„Das Thema ist leider hinten runtergefallen vor dem Hintergrund des Brexit“, stellt Lietz ernüchtert fest. „Wir müssen erreichen, dass die Seenotrettung und das internationale Seerrecht erhalten bleiben.“

Zur noch immer heiß um- strittenen Flüchtlingsaufnahme in Europa sagt der 42-Jährige: „Wir müssen endlich zu einer europäischen Regelung kommen, wo sich kein Land mehr sperrt. Das wird schwieriger werden, weil wir viele Nationalisten haben.“

In Italien sei am besten zu sehen, wie sich das Land gedreht habe. „Italien ist auch das Land, das am meisten verraten wurde von den europäischen Staaten, vor allem in den 1990er und in den 2000er Jahren.“ Das Parlament habe geliefert, die Mitgliedstaaten seien dran, doch die zögerten.

Lietz hatte sich der Volksstimme gegenüber stets für offene Grenzen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der Europäischen Union ausgesprochen. Jetzt präzisiert er wie folgt: „Die Grenzen sind ja nicht offen, es kommt keiner rein. Generell brauchen wir eine organisierte Migrations-und Flüchtlingspolitik – auch eine Einwanderungspolitik – nach Europa. Dazu stehe ich.“

Die Aussicht einer Wiederwahl ist für den SPD-Parlamentarier gering. Was dann passiert, lässt Lietz offen: „Das weiß ich nicht.“ Er hoffe, dass er seine langjährigen Erfahrungen für Sachsen-Anhalt einbringen könne. „Dann werde ich sehen, ob es eine Verwendung gibt.“