Der Journalist Marco Seliger liest am 23. Februar in Wernigerode aus seinem Afghanistan-Buch Ex-Blankenburger veröffentlicht "Sterben für Kabul": Zahlen bedeuten gar nichts!
Marco Seliger - geboren in Blankenburg, arbeitete von 1991 bis 1993 bei der Volksstimme und war in den vergangenen Jahren Afghanistan-Berichterstatter, unter anderem für die FAZ - hat sein erstes Buch veröffentlicht: "Sterben für Kabul".
Wernigerode l "Die Menschen müssen sehen und hören, was im Einzelnen am Hindukusch geschieht. Weil ihre Vorstellungskraft den allgemeinen Fakten nicht gerecht wird", sagt Marco Seliger - Journalist und seit einigen Wochen Buchautor.
Der gebürtige Blankenburger, der heute in Wiesbaden lebt und in Frankfurt/Main arbeitet, war inzwischen 17-mal in Afghanistan und hat über das Leben und Sterben im Norden des Landes - unter anderem aus Kundus und Baglan - berichtet.
Seine Erfahrungen: "Die Zahlen: Mehr als 60 tote Bundeswehrsoldaten und mehrere hundert Verletzte. Das bedeutet nichts. Das sind leere Zahlen." Aber wenn man den einzelnen Menschen in seiner Vollkommenheit zeige, seine Gefühle und Lebenswelt, seine Hoffnungen und Schwierigkeiten beschreibe und dann zeige, wie er starb, wie er verwundet wurde, "dann brennt sich das vielleicht in das Gedächtnis der Menschen ein". So beschreibt der 39-Jährige seine Herangehensweise an das Thema.
Wahrnehmung verändert
Seliger wendet sich mit seinem Buch an Menschen, die nachvollziehen wollen, wie sich die ISAF-Mission, an der seit 2001 die Bundeswehr beteiligt ist und bei der gegenwärtig mehrere tausend deutsche Soldaten ihren Dienst versehen, entwickelt hat. Es zeigt aber auch auf, wie sich die Wahrnehmung des Einsatzes in Deutschland verändert hat. Zielgruppe der 221 Seiten sind sicherlich politisch und militärisch Interessierte, die diesen Einsatz schon lange im Blick haben, gleichwohl Menschen, die sich mit der Frage herumschlagen: Was tun deutsche Soldaten eingentlich da unten?
Seliger: "Die meisten Menschen wissen, dass die Bundeswehr mit Soldaten in Afghanistan steht - und lehnen dies, den einschlägigen Umfragen der vergangenen Jahre zufolge, ab. Aber eine realistische Vorstellung davon, was unsere Soldaten in einem Krieg machen, was sie erleben und erleiden, haben sie nicht."
Und er skizziert das Anliegen des Buches, das im Verlag E. S. Mittler Sohn (ISBN 978-3-8132-0935-8) erschienen ist: "Die Deutschen sollen und müssen wissen, was Soldaten geschieht, die in ihrem Auftrag in den Krieg geschickt werden." Und das Wissen über Anschläge und Gefechte sowie Soldatenschicksale vermittelt der Autor in sehr drastischer, teilweise gar abschreckender Form.
Marco Seliger hat seine journalistische Laufbahn bei der Volksstimme begonnen. Er volontierte unter anderem in der Sportredaktion und arbeitete als Jungredakteur in den Kreisredaktionen Stendal und Gardelegen.
Heute erscheinen seine Reportagen regelmäßig im sicherheitspolitischen Magazin "loyal" und in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Seine "Aufzeichnungen über einen verdrängten Krieg", die von Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) vorgestellt wurden, erheben den Anspruch, "mit der Unwissenheit über das Geschehen am Hindukusch" Schluss zu machen. Seliger: "Bundesregierung, Verteidigungsministerium, selbst die Bundeswehrführung haben in in der ersten Zeit stets die zivile Komponente herausgehoben. So, als wenn es sich bei den Soldaten um bewaffnete Brunnenbohrer handele."
Nach diesem Bild seien die Einsatzkräfte dann auch ausgerüstet und mental geprägt worden. "Um so erschrockener waren manche Soldaten, vor allem aber Politiker und mit ihnen die Menschen im Lande, als die Sache immer mehr außer Kontrolle geriet und Särge nach Hause kamen."
Die Bundeswehr, die zuerst zur Unterstützung von Präsident Hamid Karsai und zur Stabilisierung der humanitäre Lage nach Afghanistan ging, stehe heute zwischen den innenpolitischen Fronten des Landes und in einem verhängnisvollen Abnutzungskampf.
Marco Seliger liest am 23. Februar ab 18.30 Uhr in der "Remise" des Wernigeröder Kunst- und Kulturvereins e. V., Marktstraße 1.