Wahlplakate Feigheit und Ratlosigkeit
Selten war die öffentliche Stimmung so politisiert wie aktuell. Die Wahlwerbung der großen Parteien nimmt darauf kaum Bezug.
Magdeburg l Das Großflächenplakat der Linken steht prominent an einer Magdeburger Bushaltestelle: Das aufgesprühte Hakenkreuz und den Schriftzug „Sieg Heil“ würdigen die Passanten kaum eines Blickes. Solche Anfeindungen sind im Landtagswahlkampf 2016 schon fast normal. Der Linken-Wahlkampfchef Achim Bittrich spricht von inzwischen knapp 200 Anzeigen allein in Magdeburg wegen Plakatbeschädigungen gegen alle Parteien. „Schmierereien gegen die Linke haben erheblich zugenommen. Das hat sicherlich auch mit dem Aufruf zur ,Solidarität‘ zu tun.“
Das Reizwort „Solidarität“ auf den Wahlplakaten der Linken ist eines der wenigen politischen Statements, die einer Aussage pro Flüchtlinge zumindest nahe kommen. Ansonsten bleibt das Thema wie ein heißes Eisen von den etablierten Parteien unberührt. Selbst die AfD nimmt die Problematik kaum direkt in Wahlkampfslogans auf. „Warum auch? Aus deren Sicht ist das doch ein Selbstläufer“, sagt Thomas Kliche, Politologe und Sozialwissenschaftler an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Stattdessen preisen die Rechtskonservativen die „Heimat“ in den deutschen Farben und heißen Kinder ausdrücklich „willkommen“.
Die Slogans der CDU, „Klare Verhältnisse“ und „Keine Experimente“ bieten zwar Interpretationsspielraum auch in Richtung Flüchtlingskrise. Grundsätzlich findet Kliche aber kaum programmatische Aussagen in der CDU-Werbung. Stattdessen gebe es eine „Wahlverwandtschaft“ der Christdemokraten und der Linken, die ihre Spitzenkandidaten als Landesväter in Szene setzen und für Kontinuität werben.
„Haseloff soll für Verbindlichkeit stehen und Vertrautheit gewähren. Er verkörpert das Bekannte. Die Botschaft ist: Ihr kriegt, was ihr habt“, so der Politologe. Die Kampagne der Linken sei ganz ähnlich auf Gallert zugeschnitten. Die Hoffnung zu Beginn des Wahlkampfes sei gewesen, dass eine rot-rote Koalition die bestehende Regierung ablösen könnte.
Aber wie passt dazu die Inszenierung des Linken-Chefs als „Frauenversteher“ und die etwas lächerlich anmutende Pose des weitblickenden Anführers verbunden mit dem Slogan „Ich kann. Ich will. Ich werde.“? Ist da nicht bereits die Grenze zur Politsatire überschritten? „Keineswegs“, findet Kliche: „Das war sehr schlau. Denn es ist die Spiegelung des CDU-Wahlkampfes mit ironischen Mitteln.“ Die Aussage, die dahinter steht, laute: Wir können die Macht übernehmen, aber unser Stil ist ein gänzlich anderer. „Es wäre mit Blick auf die autoritären Altlinken in der Wählerschaft auch aktuell unklug gewesen, mehr als allgemeine Werte zu vermitteln.“ Inzwischen scheint allerdings die Möglichkeit einer rot-roten Machtübernahme zu schwinden. Die SPD kam mit ihrer Spitzenkandidatin Katrin Budde bei der jüngsten Umfrage zur Landtagswahl (Insa) nur noch auf 16 Prozent. „Die SPD schrumpft langsam von einer Volks- auf eine Weltanschauungspartei zusammen. Auch ihre Wahlkampf-Kampagne spricht für eine gewisse Verzweiflung“, findet der Politologe.
Als einzige der großen Parteien sei die SPD bemüht, tatsächlich Sachthemen auf ihren Plakaten zu vermitteln. Ein aktuelles Motiv zeigt Budde in der Arbeitswelt beim Gespräch mit einer Frau. „Es ist Zeit für gleiche Chancen“, lautet der Slogan. Kliche: „Da muss sich doch der Betrachter zwangsläufig fragen, warum es erst jetzt Zeit ist. Was hat die SPD denn in Regierungsverantwortung in den vergangenen fünf Jahren getan?“ Auch wirke das Motiv der mächtigen Politikerin, die herabsteigt zum Volk und Erkundigungen einholt, etwas sehr altbacken. Gänzlich frei von programmatischen Aussagen scheinen auch die Plakate der Grünen zu sein. Ein Großplakat zeigt unter dem Slogan „Grün für Mutter Natur“ ein Blümchen, eine kleine Biene und ein lachendes Smiley-Gesicht.
Was hätten wohl die Umweltaktivisten der 1980er Jahre zu einer so niedlichen Kampagne gesagt? Selbst auf einem Plakat gegen Nazis erinnert ein durchgestrichener Hitler-Kopf eher an ein Legomännchen als an Figuren, die Asylantenheime anzünden.
„Was sollen sie denn auf ihre Plakate schreiben? Dass sie gegen den A-14-Autobahnbau sind? Nein, die Plakate sind konfliktfrei, nett und ähnlich diszipliniert, wie die der anderen Parteien auch.“ Es sei im Übrigen völlig egal, was auf einem grünen Wahlplakat stehe, glaubt Kliche. „Die Grünen sind ein Generationsprojekt mit stabiler Stammwählerschaft. Die Plakate sind eigentlich nur eine Erinnerung an den Wahltermin für grüne Sympathisanten.“
Eine Partei, die aktuell nicht im Landtag vertreten ist, aber wieder hinein will, sind die Freien Demokraten. Entsprechend unbekannt ist in großen Teilen der Bevölkerung der FDP-Spitzenkandidat Frank Sitta. Und trotzdem stellt die FDP ihren Spitzenmann visuell in den Mittelpunkt der Kampagne. Und was für eine Optik: samtbraune Augen, hohe Stirn, Dreitagebart: ein – richtiger – Frauenversteher. Dazu der Slogan: „Rechtsstaat statt Rechtsruck.“ Und ein Farbmix von Schriften in Pink, Hellblau und Gelb – knallig-schrill wie ein Kinderzimmer.
Sieht aus wie die Neufassung vom Guidomobil-Wahlkampf mit bunten Mitteln. Kliche findet das nicht. „Ich sehe einen dynamischen Typ und lese eine Botschaft, mit der ich etwas anfangen kann. Ich finde die Kampagne von der Gestaltung her sehr gelungen.“ Der bunte Farbstil der Schriften sei ein bewusster Bruch mit dem traditionellen politischen Farbcode rot-weiß-blau.
Aber auch die FDP hat auf eine Frage nicht wirklich eine Antwort: Wie sieht die Perspektive von Sachsen-Anhalt aus? „Das ist ein riesiges Tabu. Auf diese wichtige Frage bekommen die Bürger von keiner Partei eine Antwort“, so der Politologe.
Dem Wirtschaftswachstum in Deutschland steht die Stagnation in Sachsen-Anhalt gegenüber. Das Bruttoinlandsprodukt lag 2015 an letzter Stelle aller deutschen Bundesländer. „Das letzte große Ding war die Solarindustrie. Danach kam nichts mehr.“ Kliche spricht von einer Mischung aus Feigheit und Ratlosigkeit aller Parteien, wirklich fassbare Ideen für die Zukunft zu formulieren.
Was wird aus diesem Land? „Als Antwort liefern die Parteien die vage Aussicht auf ein Rundumsorglospaket, das mit Begriffen wie Verlässlichkeit, Vertrauen, Sicherheit, Familie, Heimat und Solidarität umschrieben wird.“ Und das geschehe auf Plakaten, auf denen die Parteilogos immer kleiner abgebildet werden, weil sie unwichtig sind. Auf dem Großplakat von Reiner Haseloff im Magdeburger Stadtzentrum wurde der Zusatz „CDU“ gänzlich weggelassen. Kliche: „Es geht eigentlich nur noch um Personen und nicht mehr um politische Entwürfe, die sich von anderen Parteien abgrenzen.“
Der Widerspruch zwischen der Realität Sachsen-Anhalts und einer professionell gestalteten Politiker-Idylle wird auf einem Großflächenplakat von CDU-Innenminister Holger Stahlknecht besonders deutlich. Der Minister mit Frau, zwei Söhnen und Hund auf einer schattigen Bank am Feldrand. Die Familie inszeniert als Lebensideal. Ein helles Dreieck fällt wie ein Lichtkegel hinab auf das Haupt des jüngsten Sohnes. „Fast schon eine religiöse Anmutung wie bei den Mormonen“, findet Thomas Kliche schmunzelnd.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Laut statistischem Landesamt stieg die Zahl der außerehelichen Geburten in Sachsen-Anhalt von 35 Prozent zur Wende auf aktuell 64 Prozent. Das heißt, zwei von drei Kindern werden nicht in Familien mit verheirateten Eltern geboren. Und der Anteil christlich gebundener Menschen ist mit etwa 15 Prozent hierzulande so niedrig wie sonst nirgendwo in Deutschland.