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Flüchtlingspolitik Pass-Ersatzpapiere für die Abschiebung

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht zu den Themen Flüchtlingsaufnahme, Fälle der Abschiebung und Integrationshindernisse.

Von Steffen Honig 30.06.2018, 07:26

Magdeburg l Die Flüchtlingszahlen in Sachsen-Anhalt sind zurückgegangen, doch bei 6000 ausreisepflichtigen Migranten stehen bislang 260 Abschiebungen 2018 gegenüber – die Herkunftsländer mauern. Horst Seehofer will die Innenminister unterstützen.

Wie viele Flüchtlinge kommen derzeit monatlich nach Sachsen-Anhalt?
Holger Stahlknecht: Die Zahlen schwanken leicht auf niedrigem Niveau. Den höchsten Wert 2018 hatten wir im Januar mit 290 Zugängen, den niedrigsten im April mit 193. Mitte Juni lebten insgesamt rund 10 .300 Asylbewerber in Sachsen-Anhalt.

Sie wollen in Sachsen-Anhalt kein Ankerzentrum, weil die vorhandenen Einrichtungen diesen Zweck weitgehend erfüllen. Reichen die Aufnahmekapazitäten im Land aus?
Wir haben uns aus gutem Grund für künftig zwei Standorte in Sachsen-Anhalt entschieden. Das eine ist die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Halberstadt. Die zweite Einrichtung entsteht auf einem ehemaligen Bundeswehr-Gelände in Stendal. Wir rechnen damit, dass die Baumaßnahmen dort Mitte/Ende 2020 umgesetzt sind. Mit diesen beiden Standorten reichen unsere Kapazitäten aus. Klietz haben wir inzwischen „vom Netz genommen“, und wenn Stendal zur Verfügung steht, werden wir auch die Unterkunft in der Magdeburger Breitscheidstraße schließen. Damit halte ich auch ein Versprechen, das ich den Bürgerinnen und Bürgern von Magdeburg im Jahr 2015 gegeben habe, dass diese Einrichtung zeitlich befristet ist.

Was ist der Unterschied zu den Seehofer-Plänen?
Für mich ist die Bündelung von Verwaltungsaufgaben entscheidend. Dazu gehören Erstregistrierung, medizinische Untersuchung und die polizeiliche Registrierung. Das läuft gebündelt bei uns in Halberstadt bereits jetzt schon so. Dort soll – so ist es in der Koalition vereinbart – irgendwann auch die Altersfeststellung der unbegleiteten Minderjährigen erfolgen, die dann weiter von den Kreisjugendämtern begleitet werden. Sehr wichtig ist, dass wir uns in der Koalition darin einig sind, die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf 18 Monate zu verlängern. Ausnahmen gelten u. a. für Hilfsbedürftige und Familien mit minderjährigen Kindern. Für uns war diese Einigung mit den Koalitionspartnern wichtiger, als vorschnell in den Pilotprozess bei Ankerzentren einzusteigen.

Bei Abschiebungen wird mehr Konsequenz immer nur angekündigt. Knapp 6000 ausreisepflichtigen Migranten in Sachsen-Anhalt stehen bislang 260 Abschiebungen 2018 gegenüber. Wann ändert sich tatsächlich etwas?
Zunächst gibt es eine Reihe von Herkunftsstaaten, die die Flüchtlinge nicht zurücknehmen. Die Verweigerungshaltung der Herkunftsländer ist der Hauptgrund dafür, dass wir nicht abschieben können. In Sachsen-Anhalt betrifft das 70 Prozent aller Ausreisepflichtigen, im Bundesdurchschnitt sind es 41 Prozent. Zu diesen Ländern gehört unter anderem Indien. Deshalb haben wir auf der jüngsten Innenministerkonferenz auf Antrag Sachsen-Anhalts den Beschluss gefasst, dass auf diese Länder Druck ausgeübt wird. Indem z. B. die Visaerteilung für die Staaten, die mit Deutschland wirtschaftlich zusammenarbeiten wollen, erschwert wird. Auch bei den Ländern, die Entwicklungshilfe von uns beziehen, müssen wir geeignete Maßnahmen anwenden. Man kann beispielsweise die Hilfen kürzen oder es zumindest androhen sowie bei der Rücknahme der Abzuschiebenden eine moderate Erhöhung in Aussicht zu stellen. Entscheidend ist: Wir brauchen mehr Bewegung bei Abschiebungen, hier ist auch der Bund gefordert.

Die Herkunftsländer sind das eine. Wie aber kann von hier aus Abhilfe geschaffen werden?
Horst Seehofer hat uns auf der Innenministerkonferenz angeboten, sich um Passersatzpapiere zu kümmern. Ich habe ihn deshalb im ersten Schritt gebeten, uns für alle Inder, die wir abschieben wollen, die entsprechenden Pässe zu besorgen. Ich gehe davon aus, dass Seehofer sein Versprechen umsetzen wird.

In Sachsen-Anhalt leben rund 500 Flüchtlinge, die anderswo registriert sind – die „Dublin-Fälle“. Sie müssen in einer Frist von sechs Monaten in den zuständigen EU-Staat gebracht werden. Wird das eingehalten?
Wir haben da schon einige Schwierigkeiten. Italien beispielsweise akzeptiert pro Flug nur 25 abzuschiebende Migranten und gibt auch genaue Landezeiten vor. Es ist festzuhalten, dass Dublin gegenwärtig nicht in vollem Umfang funktioniert.

Das Bamf steckt in einer Vertrauenskrise. Gibt es in Sachsen-Anhalt Defizite bei der Behörde?
Uns liegen derzeit keine Erkenntnisse vor, dass es beim Bamf in Sachsen-Anhalt zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.

In anderen EU-Ländern sind die Entscheidungswege verkürzt worden. In Deutschland steht das Gesetz dagegen. Muss das Asylrecht geändert werden?
Wir müssen unser Asylrecht überdenken, weil der Eindruck entsteht, dass wir die besten Bedingungen in Europa bieten. Deutsche Standards haben eine Sogwirkung. Es muss darüber nachgedacht werden, Rechtswege nicht abzuschneiden, aber zu verkürzen. Das muss auf Berliner Ebene besprochen werden. Es steht vielleicht auch in Seehofers Masterplan, den wir noch nicht kennen.

Die Integration der anerkannten Asylbewerber verläuft schleppend. Was ist aus Ihrer Sicht jetzt in der Migrationspolitik im Land vordringlich?
Die Flüchtlinge, die eine Bleibeperspektive haben, müssen Deutsch lernen, damit sie im Berufsleben bestehen können. Daneben sind berufliche Qualifikationen und Ausbildungen erforderlich, um sie auch in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Mit einem Einwanderungsgesetz, das ich auf Grund des Fachkräftemangels nachdrücklich fordere, sind die Fachkräfte zu gewinnen, die gesucht werden. Beim Asyl ist das eher ein Zufallsprodukt, insofern ist Asyl kein geeignetes Instrument für den Arbeitsmarkt. Integration wird weiter mühsam sein. Nicht nur, weil die Migranten unsere Kultur akzeptieren müssen. Sie sind in einer hochtechnisierten Gesellschaft gezwungen, die Fähigkeiten zu erlernen, die wir voraussetzen.