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Flugzeugabsturz Juliane Noacks Vermächtnis

Bei dem Germanwings-Absturz verstarb die Künstlerin Juliane Noack aus Halle. Ein Förderverein unterstützt in ihrem Namen junge Künstler.

Von Juliane Just 30.07.2017, 03:00

Halle l 4U9525. Eine Flugnummer, die tagelang die Schlagzeilen beherrschte. Und vor allem die Nummer, die sich David Nowak ins Gedächtnis gebrannt hat. Es ist der Tag, an dem er seine Freundin verloren hat. Und auch wenn der Absturz heute, über zwei Jahre später, immer noch keinen Sinn ergibt, hat er einen Weg gefunden, der Trauer einen Sinn zu geben.

Vor drei Jahren noch führte er ein anderes Leben. Seine Freundin Juliane Noack, eine junge engagierte Künstlerin, war gerade nach Leipzig gezogen. Nach einem Studium der Plastik im Fachgebiet Schmuck an der Burg Giebichenstein wagte sie ihre ersten Schritte als freischaffende Schmuckkünstlerin. Die Kunden mochten ihre besonderen Werke, erste Ausstellungen waren in Planung, sie fasste Fuß – es lief gut für die 30-Jährige.

Im spanischen Valencia wollte sie im März 2015 neue Inspiration sammeln, dem Leipziger Winterwetter kurz entfliehen, den Kopf sortieren. Im vierten Monat schwanger, würde sie bald eine neue Rolle in ihrem Leben hinzubekommen. Aber sie kehrte nie zurück.

Der Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 sorgte weltweit für Erschütterung. Der psychisch kranke Co-Pilot schloss sich im Cockpit ein, lenkte das Flugzeug in die französischen Alpen. Er beging Suizid und riss 149 Menschen mit in den Tod.

Der Moment, in dem David Nowak realisiert, dass Juliane nicht zurückkommt, hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Am 24. März 2015 ist er zu Hause. Er überfliegt Online-Meldungen, auch die vom Flugzeugunglück, liest sie aber nicht detailliert. Abends will er seine Freundin vom Flughafen Leipzig/Halle abholen. Durch ein Telefonat mit seinem Vater knüpft er die Verbindung zum gerade Gelesenen.

Immer und immer wieder vergleicht er die Flugnummern. Juliane hat sie ihm in einer Mail geschickt, im Internet ist sie in diesen Minuten überall zu lesen. Sie stimmen überein. „Plötzlich stand alles still. Schotten runter, weißes Rauschen, apathisches Hin- und Hergehen“, erinnert sich David Nowak.

Der Schockzustand hielt an. Bei ihm, bei der Familie, bei Freunden. Doch der Kunstmarkt reagierte anders auf das Unglück. Nach dem Flugzeugabsturz häuften sich die Anfragen nach den Werken Juliane Noacks. Ihre Galeristin Katrin Eitner, die auch den Nachlass der Künstlerin betreut, erinnert sich: „Man war noch so mit der Trauer beschäftigt und plötzlich kamen so viele Anfragen.“ Die Eltern entschieden, dass der Nachlass zurückgestellt wird, kein Werk von Juliane Noack mehr verkauft wird. Das ist bis heute so geblieben.

Ein großer, metallener Hasenkopf als Ring. Eine glänzende Ratte in Form eines Armreifs, die scheinbar über den Arm springt. Ein Hummer aus Aluminium, der unübersehbar auf der Schulter getragen wird. Juliane Noack kreierte sogenannten Autorenschmuck – Unikate, die mit künstlerischer Arbeit hergestellt werden.

„Julianes Werke sollten die Kommunikation unter den Menschen anregen“, erklärt Katrin Eitner. Die großen Schmuckstücke sprechen förmlich durch ihren Träger. Vor allem Tiermotive prägen Juliane Noacks kleine und große Kunstwerke.

Diese Schmuckstücke sind das Vermächtnis von Juliane Noack. Doch Familie und Freunde der Hallenserin wollten mehr. Kurze Zeit nach dem Tod von Juliane Noack entstand unter Freunden und Familie eine Spinnerei: ein Förderverein. Diese Idee schlug allmählich Wurzeln in den Köpfen, wie David Nowak beschreibt: „Wir wollten ein würdiges Gedenken für Juliane finden, in ihrem Namen etwas erschaffen, das einen neuen Sinn stiftet und anderen Künstlern helfen kann.“ Im Oktober 2015, ein halbes Jahr nach dem Absturz, wurde der „Förderverein zum Aufbau einer Juliane Noack Künstlerförderung e.V.“ gegründet.

Auch heute noch ist es David Nowaks Arbeit im Förderverein, die ihm über die Trauer um seine Freundin hilft. Bis heute gibt es Momente, in denen er Juliane Noack nahe ist – und die sind ihm viel wert: „Manchmal umschleicht mich schon ein Schmunzeln, ein Kribbeln oder ein Grübeln. Diese Momente sind sehr positiv.“

Ähnlich geht es auch Katrin Eitner: „Ich habe lange darüber nachgedacht, welche Rolle ich als ihre Galeristin in dem Verein einnehmen möchte.“ Sie wurde die Dritte im Bunde des Vereinsvorstands – für sie bis heute die richtige Entscheidung.

Inzwischen wurden mehrere junge Künstler finanziell unterstützt, einige Projekte angeschoben – der Verein feiert Erfolge. Sie fördern vor allem Projekte deutschlandweit. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf Sachsen-Anhalt, Juliane Noacks Wirkstätte. Das Geld erhalten sie durch Spenden.

Derzeit läuft auch die erste, deutschlandweite Ausschreibung des Vereins, die sich an Künstler in den ersten Berufsjahren richtet. Mit 6500 Euro kann der Förderverein mehrere Projekte aus den Bereichen Skulptur, Schmuckkunst und Intervention fördern. Inzwischen steht nicht mehr das Unglück, sondern die Arbeit im Vordergrund.

Und es soll noch mehr daraus werden: Aus dem Verein soll die „Juliane Noack Stiftung“ werden. Diese soll junge Künstler mit Stipendien unterstützen. Falls die Lufthansa, Mutterkonzern von Germanwings, zusätzliches Schmerzensgeld an die Hinterbliebenen zahlen, soll das Geld für die Stiftung zur Verfügung gestellt werden.

Die Fluggesellschaft hatte den Angehörigen pro Familie 85.000 Euro Soforthilfe, Schmerzensgeld und Zahlungen für „unterstellte Gesundheitsschäden“ angeboten. Die Summen fielen bei den Hinterbliebenen unterschiedlich aus. „Mit einem Teil der Zahlungen haben wir unter anderem den Verdienstausfall kompensiert. Ein weiterer Teil floss in den Förderverein“, sagt Frank Noack, Vater von Juliane Noack. Für die Stiftung, in der in Sachsen-Anhalt ein Grundkapital von 50.000 Euro nötig ist, reicht das Geld noch nicht aus.

Doch ein Herzensprojekt konnte bereits realisiert werden. „Ich denke nicht, dass ich darüber sprechen möchte, aber ich kann dir alles zeigen“, schrieb Juliane Noack im Jahr 2010. Heute ist dieses Zitat in einem Katalog zu lesen, der 2016 erschienen ist. „Juliane Noack. Contemporary Jewellery Sculpture & Object Intervention“ nennt sich die Veröffentlichung, in der die Hauptarbeiten der Künstlerin zu sehen sind. Diese wurde vom Förderverein und der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt gefördert.

Im Katalog enthalten ist die Porträtserie „Mit Jule.“. Dafür haben sich Freunde und Familie mit Werken der Hallenserin ablichten lassen. Es sollte darum gehen, Schmerz, Wut, Trauer, aber auch Hoffnung und Mut zu erforschen. Jede Person konnte sich eine Arbeit von Juliane Noack aussuchen. David Nowak wählte den Hummer, Katrin Eitner den Hasen-Ring. Er verbindet damit etwas Persönliches, sie das Kennenlernen mit Juliane Noack.

Der Hase war es auch, der Katrin Eitner mit der jungen Künstlerin zusammenführte. Auf der Website der Burg Giebichenstein entdeckte die Berliner Galeristin den Ring. Ein Lächeln huscht ihr auch heute noch beim Erzählen über die Lippen: „Ich dachte mir: Die Frau möchtest du gern kennenlernen.“ Sie trafen sich 2013 in Halle, redeten lange. Es passte – künstlerisch und menschlich.

Bis heute liegt die Schmuckklasse der Burg Giebichenstein Katrin Eitner am Herzen. Der Förderverein unterstützt die jungen Kunstschaffenden, die wie Juliane Noack einst in den historischen Gewölben studieren. Vor zwei Wochen zeigte die Klasse zur traditionellen Jahresausstellung ihre eigenen Werke. Die Besonderheit: ein Fotoprojekt. Unter den großen Fotografien ist das Symbol des Fördervereins angebracht.

Und obwohl David Nowak als Pädagogik-Student für Geschichte und katholische Religion mit der Künstlerszene nicht viel zu tun hatte, ist auch er an diesem Tag gekommen. Er stand seiner Freundin auf ihrem Weg als Künstlerin zur Seite. „Ich glaube, von ihr wäre noch einiges in der Kunst zu erwarten gewesen“, sagt der 28-Jährige. Bis heute hat er einige Werke, an denen er hängt. An seiner rechten Hand trägt er einen Ring mit einem Dachskopf. Juliane Noack hat dieses Werk für ihn gemacht. Seit dem 24. März 2015 hat er ihn nicht mehr abgelegt.