Bis 2019 wird die Wasserstraße für viel Geld ausgebaut, doch immer weniger Schiffe steuern die Berliner Häfen an Frachtverkehr: Autobahn voll, Kanal halb leer
Magdeburg l Der Ausbau der Wasserstraße nach Berlin zieht sich seit fast 20 Jahren hin. Im Dezember bekommt Magdeburgs Hafen einen perfekten Anschluss. Allerdings mehren sich Zweifel, ob die Pläne ausreichen, damit die Binnenschifffahrt an Fahrt gewinnt. Viele halten einen weiteren Ausbau nach Osten bis an die Oder für nötig.
Am 12. Dezember ist ein großer Tag für den Hafen in der Landeshauptstadt. Dann wird nach sieben Jahren Bauzeit die Niedrigwasserschleuse für den Verkehr freigegeben. Die 43 Millionen Euro teure Stahlbetonkammer beseitigt ein großes Malheur: den Wassermangel. Der Magdeburger Hafen ist zwar bestens an den Mittellandkanal angeschlossen, doch der Hafen liegt eben auch direkt an der Elbe. Und die Elbe ist launisch. Ihr Wasserstand schwankt stark. Nahezu sechs Monate im Jahr bietet der Fluss voll beladenen Großgüterschiffen nicht genügend Wasser unterm Kiel. Herrscht in der Elbe Ebbe, herrscht auch im Hafen Ebbe. Damit ist künftig Schluss. Dank der Schleuse können bald auch schwere Frachter problemfrei vom Kanal an die Kais gelangen.
Berlin hat zwei Drittel Fracht verloren
Das Bauwerk ist Teil des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nummer 17. Magdeburgs Hafen hofft auf steigende Warenumschläge. Die kamen in den letzten Jahren nicht vom Fleck. Darunter leidet aber nicht nur der Hafen in Magdeburg. Auf der gesamten Wasserstraße bis nach Berlin kommt die Schifffahrt nicht wie erhofft in Schwung - obgleich in den letzten 20 Jahren schon 1,6 Milliarden Euro in ihren Ausbau geflossen sind. Dabei könnte allein ein mit 2000 Tonnen beladenes Güterschiff bis zu 100 Laster ersetzen. Doch im Vergleich zur proppenvollen, parallel verlaufenden Autobahn A 2 ist der Kanal ziemlich leer.
Beispiel Schleuse Hohenwarthe: Durch sie hindurch müssen Schiffe von und nach Berlin. Die Frachtzahlen sind ein Maß für den Ost-West-Verkehr. Sie lagen vor zehn Jahren bei etwa 3,5 Millionen Tonnen und liegen es bis heute noch. Oder die Schleuse Rothensee: Durch sie muss der gesamte Verkehr Richtung Magdeburg und weiter elbaufwärts nach Dresden. Die jährliche Frachtmenge pendelt seit mehr als einem Jahrzehnt zwischen 2 und 3 Millionen Tonnen. Von einem Schub ist nichts zu spüren.
Woran liegt\'s?
Binnenschiffer und Verkehrsministerium in Magdeburg verweisen stets darauf, dass das Verkehrsprojekt noch nicht fertig ist. Vor allem im östlichen Abschnitt zwischen Magdeburg und Berlin. Zwei Schleusen sind noch im Bau, Brücken müssen noch angehoben werden, damit Schiffe mit zwei Lagen Containern durchpassen. Zwischen Brandenburg und dem Ziel Berlin-Westhafen sollen bis 2019 überdies noch etliche Kilometer Wasserstraße vertieft werden. Erst dann können die großen Pötte fahren.
Dennoch: Abseits von offiziellen Statements hegen Fachleute Zweifel, ob selbst nach Komplettierung der Strecke es mit den Frachtzahlen deutlich nach oben geht. Der Grund hat einen Namen: Berlin.
Das Verkehrsprojekt soll in der Hauptstadt enden. Doch ist Berlin überhaupt ein attraktives Ziel für die Schifffahrt?
1993 wurden an den Berliner Häfen noch fast 9 Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen.
1998 waren es keine 6 Millionen Tonnen mehr.
Bis 2002 rutschte der Umschlag auf etwa 3 Millionen Tonnen ab. Und daran hat sich - abgesehen von ein paar kleineren Aufs und Abs - seitdem nichts geändert. Letztes Jahr waren es 3,4 Millionen Tonnen.
Die Hauptstadt hat in zwanzig Jahren fast zwei Drittel seiner Schiffsfracht verloren. Obwohl der Wasserweg heute nicht schlechter in Schuss ist als damals - im Gegenteil. Nach Besserung sieht es nicht aus. Schon 2011 sagte der damalige Bundesverkehrs-Staatssekretär Klaus Dieter Scheurle (CSU) der Volksstimme zum Thema Berlin-Verkehr: "Hier ist bis 2025 keine signifikante Steigerung zu erwarten." Warum nicht? "In Berlin gibt es zu wenig schiffsaffine Industrie, die ein Wachstum der Binnenschifffahrt auslösen könnte."
Das sah bei Planstart vor zwei Jahrzehnten anders aus. Vorhergesagt waren für den West-Ost-Verkehr an der Schleuse Hohenwarthe einst 19 Millionen Tonnen. Mittlerweile wurde die Prognose auf knapp 5 Millionen Tonnen gesenkt. Eine genauere Berechnung wird für den neu aufzustellenden Bundesverkehrswegeplan errechnet.
Im Westen können Schiffer mehr verdienen
Fachleute in der Schifffahrtsverwaltung sehen noch mindestens zwei weitere Gründen für die schleppende Entwicklung:
Die Wirtschaft brummt im Westen nach wie vor stärker als im Osten. Beispiel Mittellandkanal: Durch die Schleuse Sülfeld bei Wolfsburg gingen letztes Jahr 9,5 Millionen Tonnen. Dreimal so viel wie durch die Schleusen 100 Kilometer weiter östlich.
Im Westen können die Binnenschiffer mehr Geld verdienen. Hohe Frachtraten bieten etwa die Linien Rhein-Hamburg und Rhein-Rotterdam. Auf den Strecken nach Berlin gibt es oft nur Ladungsaufträge von 800 Tonnen. Da würden Großschiffe halb leer fahren - das ist kein gutes Geschäft.
Aus den Zahlen ziehen die Interessengruppen höchst unterschiedliche Konsequenzen. Der Umweltverband BUND etwa fordert, den Ausbau nach Berlin zu stoppen. Das wird die angehende Koalition aus CDU und SPD nicht tun. Zumal die EU ein transeuropäisches Verkehrsnetz definiert hat. In zwei Korridoren liegen auch Wasserstraßen. Ein Korridor geht vom Rhein über den Main zur Donau. Der andere führt von West nach Ost: Von Rotterdam via Hannover und Magdeburg nach Berlin. Die für Infrastruktur zuständige SPD-Bundestagsabgeordnete Iris Gleicke sagt: "An den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit wird nicht gerüttelt." So sieht das auch der für Ostinvestitionen zuständige CDU-Staatssekretär Christoph Bergner. "Da soll es keine finanziellen Abstriche geben."
Binnenschiffer und Verkehrsfachleute gehen weiter: Sie halten einen Ausbau der Wasserstraßen über Berlin hinaus nach Osten bis an die Oder und weiter nach Polen für dringend nötig, wenn die Schifffahrt in Schwung kommen und sich die Milliardenausgaben wirklich lohnen sollen. Dort liegen nach Überzeugung vieler Fachleute größere Potenziale. Stettin und der Überseehafen Swinemünde wären attraktivere Ziele als allein Berlin. Doch dazu müsste zusätzlich die Havel-Oder-Wasserstraße für moderne Großschiffe ausgebaut werden. Sie führt von Berlin nach Schwedt an die polnische Grenze (siehe Karte unten). In der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wurden dazu vor Jahren schon detaillierte Pläne ausgearbeitet, die aber wegen der hohen Investitionskosten auf Halde landeten.
Binnenschiffer fordern Ost-Erweiterung
Doch ganz ruht das Baugeschehen an der Ost-Erweiterung nicht. Immerhin wird nun an der Wasserstraße in Richtung Polen das alte Schiffshebewerk Niederfinow bis nächstes Jahr durch einen Neubau ersetzt. Hier werden die Schiffe auf dem Weg nach Osten 36 Meter abgesenkt. Der neue, fast 300 Millionen Euro teure Stahlbetonkoloss ist für moderne, voll beladene Großmotorgüterschiffe ausgelegt. Der dazugehörige Kanal aber nicht. Für den Bundesverband der Binnenschiffer wäre es denn nur folgerichtig, auch den Wasserweg für große Schiffe auszubauen. "Wer A sagt, muss auch B sagen", meint der für Nautik und Infrastruktur zuständige Geschäftsführer Jörg Ruche. Zumal der in die Jahre gekommene und hoch übers Land führende Havel-Oder-Kanal ohnehin saniert und abgedichtet werden muss. "Wir müssen aufpassen, dass das Wasser nicht eines Tages den Märkischen Sand flutet", warnt Rusche.
Was sagen die Politiker? Für das Verkehrsressort von Thomas Webel (CDU) ist klar, dass der Ausbau in Richtung Oder kommen muss. "Aus hiesiger Sicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die HOW (Havel-Oder-Wasserstraße) ausgebaut wird", teilt Webels Ministerium mit. Die Koalitionshändler in Berlin sind vorsichtig. Die SPD-Abgeordnete Iris Gleicke sagt, über konkrete Vorhaben werde nicht jetzt, sondern bei der Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans diskutiert. Der Plan soll bis 2015 fertig sein.