Weltrekordler Chu Tan Cuong fühlt sich seit 30 Jahren wohl hier und wirbt deshalb für seine zweite Heimat. Von Christopher Kissmann Frühaufsteher: "Hier stimmt einfach alles"
Er hält mehr als zehn Guinness- und Weltrekorde, war schon vier Mal bei "Wetten, dass..?", hat eine neue Stilrichtung im Kung-Fu erfunden - und er lebt seit mehr als 30 Jahren in der Nähe von Halle. Nun ist Chu Tan Cuong Teil der neuen Imagekampagne des Landes und sagt: "Hier stimmt einfach alles."
Halle/Magdeburg l Wenn Chu Tan Cuong aufsteht, drehen sich die meisten Sachsen-Anhalter in ihrem Bett noch einmal gemütlich um. Jeden Morgen startet der 49-Jährige 6.10 Uhr in den Tag - gut eine halbe Stunde früher als der durchschnittliche Sachsen-Anhalter (6.39 Uhr). Wenn der Kung-Fu-Großmeister um kurz nach sechs sein Bett verlässt, führt ihn seiner erster Weg jedoch nicht zur Kafffeemaschine. Chu Tan Cuong geht dann raus auf seinen Balkon. Dort atmet er. Ein und aus. Jeden Morgen. Sieben Minuten lang.
Was eintönig klingen mag, hat für Chu Tan Cuong System. Vor vielen Jahren hat er eine eigene Atemtechnik entwickelt, zu der er sich bewegt. "Seitdem ich das jeden Morgen mache, hat mein Leben eine neue Qualität. So wie sich Sportler vor Wettkämpfen erwärmen, bereite ich mich in Ruhe auf meinen Tag vor", sagt der in Vietnam geborene Mann. "Das Konzept hat eine Erfolgsquote von 100 Prozent: Es stellt eine Einheit zwischen Körper und Geist her."
"Wer eine gute Haltung zu seiner Gesundheit oder Arbeit hat, dem geht es besser."
Chu Tan Cuong
Seit 1981 lebt Chu Tan Cuong im Land der Frühaufsteher. "Hier stimmt einfach alles", sagt er und wirbt deshalb seit dieser Woche für seine zweite Heimat. Der 49-Jährige ist Teil der 1,5 Millionen Euro teuren Imagekampagne des Landes "Dafür stehen wir früher auf". Mit dem Schlagwort Haltung werden ab Donnerstag seine Plakate und sein Video im Kino zu sehen sein.
"Haltung ist sehr wichtig im Leben", sagt der Kung-Fu-Großmeister. Wer Haltung habe, sei ausgeglichener. "Das gilt für meine morgendlichen Bewegungen zur Atemtechnik. Das gilt aber genauso in anderen Lebensbereichen, Haltung ist eine Einstellungssache. Wer beispielsweise eine gute Haltung zu seiner Gesundheit oder zu seiner Arbeit hat, dem geht es besser", erklärt er.
Mit seiner Haltung will Chu Tan Cuong anderen Menschen ein Vorbild sein. Seit eineinhalb Jahren arbeitet der Kung-Fu-Großmeister deshalb unter anderem in der Barbarossaklinik in Kelbra, wo er Abhängigkeitspatienten auf ihrem Weg zu einem suchtfreien Leben unterstützt. "Auch mit ihnen trainiere ich die Atemtechnik. Sie hilft ihnen dabei, bewusster und ausgeglichener zu leben." Chefarzt Klaus von Ploetz bestätigt den Erfolg. "Unsere Patienten haben in der Regel oft Rückfälle, weil sie schlecht mit ihren Impulsen umgehen können. Die Techniken von Chu Tan Cuong fördern aber sichtbar den Heilungsverlauf", sagt er.
Die Atemübungen und Bewegungen würden den Suchtkranken dabei helfen, bei der teils sehr emotionalen Therapie besser mit dem eigenen Körper in Kontakt zu kommen. Das sei notwendig - erfolgreiche Suchtbehandlung brauche einen ganzheitlichen Ansatz, erklärt der Chefarzt. "Manche greifen dann nicht gleich wieder zu Alkohol oder Drogen. Sie lernen, ihre Impulse besser zu kontrollieren", lobt von Ploetz den Einsatz des Großmeisters.
Dass Chu Tan Cuong bei den Suchtkranken so viel Anerkennung genießt, liegt auch an seinem Bekanntheitsgrad: In der Kampfsportszene ist er ein Held. Der Großmeister hat nicht nur eine neue Kampfsport-Stilrichtung (Vo-Dao-Vietnam) erfunden - er hält auch zwölf spektakuläre Weltrekorde. Wird er auf der Straße oft darauf angesprochen? "Nicht jeden Tag, aber es kommt regelmäßig vor. Selbst in den USA und Singapur wurde ich um ein Autogramm gebeten", sagt er mit bescheidenem Tonfall.
Einer seiner Rekordversuche fand im Juni 2002 in Magdeburg statt: Auf dem Breiten Weg hat er vor 3000 Schaulustigen eine 19 Tonnen schwere Straßenbahn zehn Meter weit gezogen. Dazu hatte er eine Reisschüssel an seinen unbekleideten Bauch gesetzt und durch Atemtechniken ein Vakuum erzeugt. Ein Seil verband Schüssel und Straßenbahn. Es folgten viele nationale und internationale Fernsehauftritte, allein viermal war er bei "Wetten, dass..???".
Ist Chu Tan Cuong rekordsüchtig? "Nein, das würde ich nicht sagen. Ich habe einfach viele Ideen. Kung-Fu ist ein toller Sport, er ist meine Grundlage", sagt er. Kung-Fu sei vielseitig, Disziplin, Respekt, Geschicklichkeit und Körperbeherrschung stünden im Mittelpunkt, erklärt der Großmeister. "Werte, die auch bei der Erziehung von Kindern vermittelt werden sollten", sagt er. So hat es Chu Tan Cuong auch selbst gehandhabt: Die meisten seiner sechs Kinder sind ebenfalls so sportbegeistert wie ihr Vater. Mit seinem Sohn David tritt der 49-Jährige inzwischen regelmäßig auf.
Die Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt ist stolz, Chu Tan Cuong für die Imagekampagne gewonnen zu haben. "Haltung präsentiert er ja nicht nur in seinem Sport. Für ihn steckt in diesem Wort auch das Thema Integration in Sachsen-Anhalt", sagt Kathleen Dannehl und lobt den Kung-Fu-Großmeister für sein Engagement im Landesintegrationsbeirat. "Er repräsentiert Sachsen-Anhalt als weltoffenes und aufgeschlossenes Land."
Als Chu Tan Cuong 1981 seine Heimat verließ, um in Halle Jura zu studieren, waren weder Vietnam noch die DDR soweit. "Ich wurde zum Studium delegiert, Vietnam war in einer Umbruchszeit", erinnert er sich an den Systemwandel. Jura war der Wunsch seiner Eltern. "Sie haben immer gesagt: Wenn du dann zurückkommst, hast du gute Chancen."
Zurückgegangen ist er nicht. Stattdessen hing er noch ein zweites Studium dran, dann kam die Wende - wieder ein Systemwandel. "Ende der 1980er Jahre habe ich in der DDR ein Buch über Kampfsport geschrieben. Das gab es zu der Zeit nicht. Asiatischer Kampfsport war nicht gern gesehen, die Leute waren aber trotzdem hungrig danach", erklärt der 49-Jährige. Verkauft hat er sein Werk dann bereits in D-Mark.
Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten eröffnete Chu Tan Cuong eine unverhoffte Chance: Er machte sein Hobby zum Beruf. "Das hat einfach gepasst", sagt er. Inzwischen besitzt der Großmeister mehr als 20 Kung-Fu-Schulen in Mitteldeutschland. Anfang der 1990er Jahre hatte er in Wittenberg einst einen sehr prominenten Schüler: Sachsen-Anhalts heutigen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU).
"Im Extremfall würden bestimmte Reaktionen bei einem Angriff sicher noch sitzen."
Ministerpräsident Reiner Haseloff zu seinem Kurs bei Chu Tan Cuong
"Er hat damals einen Selbstverteidigungskurs bei mir besucht", sagt Chu Tan Cuong mit einem Lächeln. Auch Reiner Haseloff erinnert sich noch gut daran. "Wir waren eine muntere gemischte Truppe: Einige Arbeitskollegen, meine Frau, meine beiden Kinder und ich", sagt der Ministerpräsident.
Ist bis heute etwas von den Kenntnissen übriggeblieben? "Im Extremfall würden bestimmte Reaktionen bei einem Angriff sicher noch sitzen. Glücklicherweise ist mir und meiner Frau die Probe aufs Exempel bisher erspart geblieben", sagt Reiner Haseloff. "Chu Tan Cuong war ein prima Lehrer." Heute unterstützt der Großmeister das Land und seine Imagekampagne.
Chu Tan Cuong fühlt sich wohl in Sachsen-Anhalt, seit 1997 ist er Deutscher. Alle seine Kinder wurden hier geboren. "Meine Wurzeln sind in Vietnam, das ist klar", sagt er. Doch in seinem Heimatland gibt es ein Sprichwort. "Ein Vogel bleibt da, wo es friedlich ist. Er ist frei und hält sich dort auf, wo er sich wohl fühlt. Ich bin zwar nicht ganz so frei wie ein Vogel, aber mir geht es hier sehr gut - Sachsen-Anhalt ist meine zweite Heimat geworden."
Die Sachsen-Anhalter hat er schätzen gelernt. "Entscheidend ist für das Miteinander gar nicht so sehr, wie die anderen sind - sondern wie ich bin. Begegne ich den Menschen mit Respekt, bringen sie mir auch Respekt entgegen." Das habe er in Vietnam und gleichermaßen auch in Sachsen-Anhalt so erlebt. Überhaupt seien seine beiden "Heimatländer" gar nicht so verschieden, sagt Chu Tan Cuong. "Die Asiaten sind auch Frühaufsteher."