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Gärtnerin Rautenbachs englisches Paradies

Steffi Neumann gestaltet mit Leidenschaft den Park einer Unternehmerfamilie im sachsen-anhaltinischen Darlingerode.

Von Julia Bruns 22.10.2018, 01:01

Darlingerode l Wenn Steffi Neumann die Hände in der Erde hat, geht es ihr gut. „Im Frühjahr sind die Wiesen zitronengelb“, sagt sie und zeigt auf die Flächen hinter dem verschlungenen Holzweg, der über das sumpfige Areal vorbei an einer Trauerweide, an Teichen, Chinaschilf, Kunstobjekten und Beeten führt. „Denn im Frühling blühen die Senfdotterblumen.“ Nicht nur die: Auch die 30.000 Tulpenzwiebeln, die die Harzerin in die Erde gebracht hat, die Lkw-weise gebracht werden, sprießen dann aus dem Boden. Ein Paradies für jeden, ein lebendiges Lehrbuch für Gartenfreunde: Weite Flächen und spannende Sichtachsen öffnen sich auf dem Areal in Darlingerode, je weiter man in den Park vordringt. Feuersalamander, Blindschleichen, grüne Frösche und Enten fühlen sich wohl auf diesem Flecken Erde unweit der kleinen Dorfkirche. Eidechsen finden in Steinhaufen Unterschlupf, das Federvieh amüsiert sich in den zwei Teichen, die von Gräsern und Stauden umsäumt sind.

Steffi Neumann hat ihn – den sprichwörtlichen grünen Daumen. In Darlingerode kann sie ihre besondere Gabe auf einem Hektar Land ausleben, der nicht ihr gehört: Es ist das Gelände ihres Arbeitgebers und Mentors Harald Rautenbach. Seit 1993 besitzt er das Grundstück samt Wohnhaus. Der 82-Jährige kann heute auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Erholung und Ruhe fand er stets im Garten. Wie ist er dazu gekommen? „Meine Mutter war unheimlich gartenverbunden“, erinnert sich der Unternehmer, der in Solingen geboren wurde und in Wernigerode aufwuchs. Die Familie flüchtete nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Harz vor den Russen. „In der Bundesrepublik habe ich schnell angefangen, mir Literatur zu besorgen, Seminare zu besuchen und Kontakt zu Landschaftsgärtnern aufzunehmen“, berichtet er. Gerne wäre er Förster oder Landschaftsgärtner geworden. Doch dieser Wunsch bleibt ihm verwehrt. Harald Rautenbach nimmt 1966 nach dem Tod seines Vaters den ihm angedachten Platz im Familienunternehmen ein.

Gegründet hatte es sein Großvater Rudolf im bergischen Land. Schon um 1900 hatten die Rautenbachs in Solingen Motorenteile in Aluminiumguss gefertigt. 1935 errichtete die Firma in Wernigerode eine der größten Leichtmetall-Gießereien Europas, vornehmlich für die Luftfahrt-industrie. 1992 übernahm Harald Rautenbach die Rautenbach-Guss Wernigerode AG von der Treuhand, investierte bis 2004 über 100 Millionen Euro. Die Firma produzierte in Wernigerode Zylinderköpfe für fast alle großen deutschen Autohersteller. 500 feste Mitarbeiter sowie 130 bis 150 Zeitarbeiter arbeiten für ihn. Doch dann verkaufte Harald Rautenbach den Familienbetrieb an den mexikanischen Weltmarktführer Nemak. Seine große Leidenschaft sei in dieser bewegenden Vergangenheit immer das Gärtnern gewesen. „Das befriedigt mich einfach: Die Gestaltungsmöglichkeiten, die es im Garten gibt, gibt es weder in der Oper, noch in der Literatur. Ständig kann man sich etwas Neues einfallen lassen“, sagt er. Mal sei er vier Wochen, mal nur eine Woche nicht in Darlingerode. Deshalb habe er Steffi Neumann mit der Pflege der Grünanlagen betraut. „Als junger Mann habe ich noch jede Staude selbst gepflanzt. Aber ich bin jetzt 82 Jahre alt.“

Noch nie sei ihm so jemand wie Steffi Neumann untergekommen, sagt er ganz ernst. „Sie hat sagenhafte Kenntniss.“ Vor allem Stauden seien ihre Spezialität. Ob Rispenhortensien, die in voller Blütenpracht stehen, japanische Strauchpfingstrosen, Funkien, Sonnenhüte, Fackellilien, die champagnerfarbene Iris oder der weiße Phlox – keine Pflanze in dem Garten steht rein zufällig an ihrem Platz. Alles ist nach den Prinzipien des englischen Landschaftsgartens angelegt.

Gelernt hat Steffi Neumann die Kunst des Gärtnerns schon vor vielen Jahren in einem Produktionsgartenbaubetrieb in Wernigerode. Während der Landesgartenschau 2006 in Wernigerode lernt sie ihren Förderer Harald Rautenbach kennen. Sie kümmert sich um den Metallgarten, den der Unternehmer im Bürgerpark anlegen ließ – und überzeugt ihn mit ihrem Können. Heute ist die zarte Frau mit den kräftigen Händen für das Grundstück in Darlingerode und einen weiteren Garten Rautenbachs in Solingen verantwortlich. Dort hat der Wahlharzer einen sechs Hektar großen japanischen Ziergarten. Steffi Neumann bildet sich ständig weiter. Die Floriade in Holland, dreisprachige Seminare und Reisen nach England, wo sie bereits den Chef-Gärtner von Prinz Charles kennenlernen konnte, gehören zum Bildungsprogramm, das ihr der gartenbegeisterte Industrielle bietet. Die Besonderheiten des Gartens in Darlingerode aufzuzählen, würde den Rahmen des Artikels sprengen – vom mit Sukkulenten und Moosen bepflanzten grünen Tisch bis hin zum Knotenbeet aus Buchsbaum. Hohes Chinagras als Dekoelement strukturiert die Flächen, bevor der Park im hinteren Teil in die naturbelassene Landschaft übergeht. Ganz fließend.

„Manche Besucher verstehen nicht, wieso wir nicht den gesamten Garten mit Stauden bepflanzt haben“, berichtet die Expertin. „Der Park wird stark von der Auenlandschaft geprägt.“ Bestimmte Baumarten wie der Amberbaum, dessen Blattwerk sich im Herbst herrlich rot färbt, seien typisch für die Auenlandschaft. Die Naturwiesen würden bei Regen geflutet, das Wasser kann über sie ablaufen.

Harald Rautenbach und Steffi Neumann verfolgen das Prinzip der offenen Gartenpforte: Der Garten darf auch ohne Voranmeldung von jedermann besichtigt werden. „In einer Holzbank liegt ein Buch versteckt, in das sich die Besucher eintragen dürfen“, sagt Steffi Neumann. „Jedes Jahr zu seinem Geburtstag am 16. September erhält er das Buch.“