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Gaststätten „Monate der Wahrheit“ kommen

Jeder zehnte Wirt im Land hat signalisiert, sein Lokal zum Jahresende schließen zu müssen. Es könnte sogar jeder achte sein, so die Dehoga.

Von Bernd Kaufholz 26.10.2020, 00:01

Magdeburg l Sebastian Siebers Gemütszustand schwankt zwischen Verzweiflung und Ärger. Verzweiflung, weil er nicht weiß, wie es mit seinem „Waldschlösschen“ in Wangen (Burgenlandkreis) weitergehen soll, Ärger, weil er manche Corona-Entscheidung nicht nachvollziehen kann.

„Hätten Sie mich vor drei Tagen angerufen, hätte ich sofort wieder aufgelegt“, sagt der Gastronom immer noch hörbar angefasst. „Die Situation ist (sucht nach einem Wort) prekär. In den letzten Tagen sind 40 Prozent der Buchungen weggebrochen. Gerade da, als wir wieder etwas Mut geschöpft hatten und die vergangenen zwei, drei Monate im Aufwind waren.“

Er sitze auf „glühenden Kohlen“, sagt er, weil es fast jede Woche neue Hiobsbotschaften für Gaststättenbetreiber gebe. Sieber nennt die unübersichtliche Situation: „Unternehmen zu Grabe tragen.“ Bereits jetzt könne er in seinem 60-Plätze Gastraum nur knapp 40 Stühle anbieten, in der 50-Plätze-Gaststube nur 30.

In den letzten Jahren habe sich der Raum um Nebra herum im Tourismus weiter aufgestellt und sich nicht zuletzt durch die „Himmelsscheiben“-Arche zum Tourismusmagneten entwickelt. Nun sei man dabei, das alles infrage zu stellen. „Der Gastronomie wird die Existenzgrundlage entzogen. Besonders mit Blick auf das Beherbergungsverbot.“

Als Beispiel nennt er: „Bei mir hat sich eine Hochzeit angemeldet mit vielen Gästen aus Berlin. Die wollten hier übernachten. Doch das geht nicht. Und was machen die Leute: Sie feiern hier und übernachten danach im fünf Kilometer entfernten Thüringen. Solch unterschiedlichen Verordnungen versteht doch kein Mensch.“

Michael Schmidt, Chef des Dehoga-Landesverbandes, räumt zwar ein, dass Gastronomen und Hoteliers im Sommer ein gutes Geschäft gehabt haben. „Aber lange nicht so gut, um Rücklagen aufzufüllen. Kommen weitere Einschränkungen, können Betriebe nicht mehr wirtschaftlich arbeiten.“

Jeder zehnte Betrieb habe schon signalisiert, dass er zum Jahresende dichtmacht. Im schlimmsten Fall sei es gar jeder achte der rund 800 größeren Gaststätten und Hotels, befürchtet Schmidt. „Und das alles unter der trüben Zukunftsaussicht, dass es zumindest bis Mitte 2021 nicht besser wird.“

Das Hauptproblem sei, dass es weniger Einnahmen bei gleichbleibenden oder gar steigenden Kosten gebe, weiß auch Manfred Hippeli, Chef des 300 Jahre alten Restaurants „Güldene Pfanne“ in Havelberg. „Jetzt kommen die Monate der Wahrheit, weil die Kosten im Winter, zum Beispiel durch die Heizung, höher werden“, sagt der Gastronom.

50 Prozent weniger Einnahmen in der Gastronomie, sieht der Dehoga-Kreisvorsitzende mit Blick auf die Altmark. Bei Discotheken sind es sogar mehr als 90 Prozent.“

Bereits jetzt sei der logistische Aufwand hoch, um alle Vorschriften umzusetzen. „Von Gästegruppe zu Gästegruppe muss neu gedacht werden, wie man die Tische besetzt, um die Abstandsregelung einzuhalten.“

Der Gästeschwund sei eminent. „Eine Hochzeit, die mit 70 Gästen angemeldet war, kommt nun mit 13. Havelberger kommen so gut wie nicht mehr. Vor ein paar Tagen waren seit langem mal wieder drei Gäste aus der Stadt hier.“

„Die staatlichen Unterstützungen, besonders das Kurzarbeitergeld, die reduzierte Mehrwertsteuer und Soforthilfen, haben geholfen“, räumt Dehoga-Präsident Schmidt ein. „Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern konnten einmalig 25 000 Euro beantragen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. „Der Supergau wurde damit vorerst abgewendet.

Er sei mit dem Wirtschaftsministerium im Gespräch, so Schmidt. „Die Gaststätten und Hotels brauchen wenigstens etwas Planungssicherheit – auch über das Jahr hinaus. „Dazu gehört die Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung über den 30. Juni 2021 hinaus.“

Sebastian Sieber vom „Waldschlösschen“ hat trotz der prekären Situation bisher nicht daran gedacht, „seine Tür abzuschließen und den Schlüssel wegzuwerfen“.

„Ich habe gerade eine halbe Million Euro in das Lokal gesteckt. Wenn ich jetzt die Notbremse ziehe, müsste die Generation nach mir noch meine Schulden abzahlen. Das will ich nicht“, sagt der 35-Jährige. An einen zweiten Lockdown wolle er aber gar nicht denken. „So wie im März. Am 15. habe ich mein Café in der ,Arche‘ Nebra geöffnet. Am 17. musste ich wieder schließen.“