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Wenn Übersetzer nach den richtigen Worten suchen und Richter sie nicht immer verstehen Gerichtsdolmetscher: Recht in allen Sprachen

Jedes Wort muss exakt übersetzt werden. Höchste Konzentration ist
gefragt. In Strafverfahren hören sich Gerichtsdolmetscher oft Schlimmes
an und müssen dennoch unparteiisch bleiben. Mehr als 200 Übersetzer
stehen in Sachsen-Anhalt bereit. Nicht immer werden sie verstanden.

Von Matthias Fricke 15.11.2013, 02:06

Magdeburg. Die drei Angeklagten aus dem Benin werden in Handschellen in den Verhandlungssaal geführt. Erst am Platz nimmt der Justiz-Wachtmeister diese ab. Mittendrin sitzt Gabriele Fiebig. Die 57-jährige Magdeburgerin ist Übersetzerin für Englisch und Französisch. Letztere Sprache soll sie in diesem Verfahren für zwei der mutmaßlichen Drogenhändler dolmetschen.

Jeder Angeklagte hat in Deutschland schließlich das Recht seine Verhandlung in der Muttersprache verfolgen zu können. Die zwei Männer entschieden sich für die offizielle Amtssprache Französisch, ein weiterer kann nur Yoruba sprechen. Es ist eine von 53 Landessprachen im Benin.

Kein Wunder, dass das Magdeburger Landgericht so seine Schwierigkeiten bei der bundesweiten Suche nach einem entsprechenden Dolmetscher hatte. Es gibt dafür nur drei beeidigte Übersetzer in Deutschland, alle nicht verfügbar. So muss in diesem Fall neben Gabriele Fiebig der 34-jährige Prince Gbadebo aus Aachen einspringen. Der aus Nigeria stammende Student lebt seit 14 Jahren in Deutschland und übersetzt nebenberuflich. Extra für diese Gerichtsverhandlung vor dem Magdeburger Gericht wird er gesondert beeidigt. Er schwört, dass er "treu und gewissenhaft übertragen werde". Dann geht es los.

Noch ist es beim Verlesen der Anklageschrift einfach, diese liegt schriftlich vor. Doch später muss jedes Wort der deutschsprechenden Richter, Anklagevertreter, Rechtsanwälte und Zeugen möglichst genau übersetzt werden. Das mündet zwangsläufig im allgemeinen Gemurmel, weil neben dem Yoruba-Dolmetscher auch Gabriele Fiebig für ihre beiden Angeklagten gleichzeitig ins Französische übersetzen muss. Der Vorsitzende Richter zeigt sich geduldig, ermahnt aber auch hin und wieder die Dolmetscher nichts hinzuzufügen.

Doch das wortwörtliche Übersetzen ist einfacher gesagt als getan. Denn oft gibt es für deutsche Formulierungen in der jeweiligen Landessprache keine entsprechenden Begriffe. "Sie müssen erklärt werden, damit der Angeklagte überhaupt versteht, was gemeint ist", sagt die Übersetzerin, die seit 1993 für die Justiz dolmetscht und seitdem beeidigt ist. "Das Wort Falschbeurkundung ist schon im Deutschen schwer zu verstehen. In der Fremdsprache erst gar nicht", so Fiebig.

Gerade die Zeugen oder Angeklagten aus den afrikanischen Ländern haben dazu noch ein ganz anderes Verständnis vom Rechtssystem. Andere Kulturen, andere Erfahrungen.

Dies müsse aber berücksichtigt werden. "Viele verstehen zum Beispiel gar nicht, was Bewährung überhaupt bedeutet. Sie interessiert nur, muss ich nun ins Gefängnis oder nicht?", sagt die Dolmetscherin. Andere glauben sogar, wer einen Rechtsanwalt hat, gewinnt ohnehin den Prozess. Weil sich in ihren Heimatländern so etwas eben nur Reiche leisten können.

Auch angesichts dieser höchst unterschiedlichen Welten muss die Übersetzerin deshalb nicht nur alles wortgetreu wiedergeben, was in der Verhandlung gesagt wird, sondern auch für Verständnis sorgen. Fiebig: "Das ist nun mal der hohe Anspruch eines Gerichtsdolmetschers."

Deshalb gehört auch Einfühlungsvermögen zum "Verstehen" dazu. Man muss ein gewisses Vertrauensverhältnis aufbauen, um alles richtig übersetzen zu können.

Nicht immer gelingt dies. Die Dolmetscher bekommen hin und wieder von beiden Seiten auch mal den Schwarzen Peter zugeschoben. Manch Angeklagter meint, dass er zu Unrecht verurteilt wurde, weil er nicht richtig übersetzt wurde. Manchmal beschweren sich Richter oder Anwälte darüber, dass die Übersetzung länger ist als der deutsche Satz. Sie glauben dann, der Dolmetscher würde etwas hinzufügen. "Dabei sind längere Übersetzungen in einer Fremdsprache normal", sagt die Magdeburgerin.

Richter Christian Löffler vom Magdeburger Landgericht kennt auch die andere Seite der Medaille. "Ich habe eine Zivilverhandlung schon abbrechen müssen, weil ein Übersetzer für Vietnamesisch kaum deutsch sprach."

In einem Strafverfahren vor einigen Jahren waren die Verteidiger durch eine Zeugin im Zuschauerraum darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Russischdolmetscherin nicht korrekt übersetzt. Das Schwurgericht orderte daraufhin eine Dolmetscherin aus Berlin an, die das Übersetzen überwachen sollte. Tatsächlich ergaben sich erhebliche Ungenauigkeiten.

In Sachsen-Anhalt wird meist konsekutiv gedolmetscht. Das bedeutet, es werden herkömmlich Worte und Textpassagen übersetzt. Für Simultanübersetzungen fehlen oft die Voraussetzungen, wie schalldichte Dolmetschkabinen. Sie müssten zudem mit zwei oder mehr Dolmetschern besetzt sein, die sich angesichts der hohen Anforderungen aus Gründen der Konzentration abwechseln. "Diese Möglichkeiten fehlen uns leider", erklärt Richter Löffler.

Sein Kollege vom Stendaler Landgericht, Zivilrichter Michael Steenbuck, bestätigt ebenfalls, dass es auch bei ihm keine Dolmetscherkabinen gibt. "Wir haben Listen mit beeidigten Dolmetschern, mit denen wir gute Erfahrungen haben", sagt er. Allerdings habe auch ihn schon manch extrem kurze Übersetzung für einen doch recht langen Text verwundert.

Steenbuck: "Natürlich kann man nie ausschließen, dass Textpassagen nicht richtig übersetzt werden. Aber wir Richter müssen uns auf die Dolmetscher wie auch auf andere Sachverständige verlassen können."

Um dies professionell zu ermöglichen, gibt es seit 1999 an der Hochschule Magdeburg-Stendal den Bachelor-Studiengang "Fachdolmetschen für Behörden und Gerichte" und ein berufsbegleitendes Weiterbildungsangebot.

Geleitet wird beides von Professorin Ingrid Fehlauer-Lenz. Die 47-jährige Argentinierin kam vor 13 Jahren nach Sachsen-Anhalt. Das Handwerk des juristischen Dolmetschens erlernte sie an der Universität Buenos Aires.

Seit Mai 2011 ist sie in Magdeburg zur Professorin für Fachdolmetschen berufen worden. Sie sagt: "Die Sprachkenntnisse allein befähigen noch lange nicht zum Dolmetschen. Wenn man zwei Hände hat, heißt das ja auch noch lange nicht, dass man Klavier spielen kann."

Man benötige für das Dolmetschen vor Gericht auch juristische Grundkenntnisse, Verschwiegenheit und Loyalität. Unterschiedliche Techniken des Übersetzens lernen die Studenten bei dem deutschlandweit einzigen Bachelor-Studiengang, der speziell für Behörden ausbildet. Im Jahr gibt es etwa ein Dutzend Abschlüsse in den Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch.

Seit 2003 kann in Magdeburg auch berufsbegleitend für wenig verbreitete Sprachen ausgebildet werden.

Fehlauer-Lenz: "Die größten Schwierigkeiten sind tatsächlich die Begriffe, die es in anderen Kulturen gar nicht gibt. So gibt es die Bezeichnung Amtsgericht zum Beispiel nur in Deutschland." Ein weiteres Problem für Dolmetscher: Man weiß nie, welche Themen gerade in der Verhandlung angesprochen werden. Die Vorbereitung auf alle möglicherweise auftauchenden Facetten sei unmöglich.

In der Verhandlung gegen die drei Männer aus dem Benin vor dem Magdeburger Landgericht stehen zurzeit die Übersetzungen der Abhörprotokolle der Telefonüberwachung an. Für Dolmetscher Prince Gbadebo aus Aachen bedeutet dies in den nächsten Tagen "Hausarbeit". Er muss die Dialoge, geführt zum größten Teil in Yoruba, für die Prozessbeteiligten ins Deutsche übersetzen.