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Geschichte MagdeburgDreißigjähriger Krieg: Die erste Vernichtung

Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg. Magdeburg wurde vernichtet. Einige Augenzeugenberichten sind erhalten.

Von Jens Schmidt 14.07.2018, 01:01

Magdeburg l 10. Mai 1631. Sieben Uhr morgens. General Tilly, katholischer Heerführer des Kaisers, steht an der Elbe. Vor ihm liegt Magdeburg. 25.000 Einwohner, Hort der Protestanten, mit 3000 Verteidigern hoffnungslos unterlegen. Doch trotz mehrfacher Aufforderung kapitulieren diese widerborstigen Magdeburger nicht. Tilly verliert die Geduld. Und gibt den Angriffsbefehl.

25 000 Mann erstürmen die Stadt. Von der Magdeburger Neustadt aus schaffen es erste Angreifer über die Mauer der Altstadt, überrumpeln die Wachen. Schnell streben die Soldaten durch die Gassen, öffnen weitere Stadttore. Tausende Landsknechte, Reiter und Musketiere strömen in die Stadt. Die Verteidigung bricht bald zusammen. Die Angreifer haben nun freie Bahn und nur ein Ziel: Holen, was man tragen kann. Drei Tage dürfen sie Beute machen, so hat es ihr General erlaubt. Plündern, Rauben, Lösegeld abpressen: Das ist ihr Sold. So sind die Regeln in diesem Krieg.

Auch Hauptmann Georg Ackermann zieht durch die Gassen. Bettfedern wirbeln durch die Luft wie Schneeflocken. Soldaten schlitzen oben in den Zimmern Kissen auf, in die Bezüge kommt die Beute. Doch Ackermann muss aufpassen; von oben pfeifen auch Kugeln auf die Straße. Einige Magdeburger schießen aus den Fenstern.

Der Hauptmann erreicht den Alten Markt. Hier stehen prächtige Häuser, es „riecht“ nach Geld. Er geht in eines hinein. Eines der Zimmer ist verschlossen. Ein Tritt, die Tür fliegt auf - Ackermann blickt in ein Mündungsfeuer. Der Schuss verfehlt den Hauptmann nur um Haaresbreite. Ackermann feuert zurück, sein Schuss trifft. Der Hausbesitzer sinkt zusammen, seine Flinte fällt auf den Boden. Der Diener des Hauses eilt zitternd herbei und führt Ackermann zur großen Truhe. Silber, Schmuck, Geld. Das hat sich gelohnt.

Ein paar Häuser weiter kauert Familie Friese auf dem Dachboden. Mutter, Vater, die fünf Kinder. Es ist gegen neun. Schon zwei Mal waren Soldaten im Haus. Den ersten gaben sie Geld, ein paar Perlen und Essen. Dann nahm Vater Friese die Axt, zerdrosch Ofen, Möbel und Türen. Das Haus sollte geplündert aussehen. Doch es half nichts. Wieder kam ein Trupp. Mutter Friese gab den besten Mantel ihres Mannes. Den Frieses dämmerte es: Ein dritter Besuch würde tödlich enden. Also verkrochen sie sich mit den Kindern auf dem Dachboden.

Doch der Plan geht nicht auf. Die Nachbarin sucht Zuflucht bei den Frieses, geht über den Hof ins Haus. Ein Soldat verfolgt sie. Bis auf den Dachboden. Der Soldat sieht Vater Friese, zückt den Spitzhammer. Frau und Kinder flehen um Gnade. Der Kleinste, Christian, bietet sein Taschengeld an. Einen Dreier. Das wirkt.

Das Gesicht des Soldaten, eben noch wilde Grimasse, bekommt milde Züge. Er hat selber Söhne. Im Lager vor der Stadt, im Zelt, warten Frau und Kinder. Ihre fränkische Heimat haben sie schon lange verlassen. Nicht selten ziehen Familien mit ihren kämpfenden Männern mit. Oft sind es Bauern, die in ihrem Dorf überfallen wurden. Aus Verzweiflung schlossen sie sich lieber der Truppe an, als wehrlos den nächsten Überfall zu erwarten.

Mutter Friese verspricht dem Soldaten 200 Taler, wenn er die Familie aus der Hölle bringt. Er willigt ein. Der fränkische Soldat und die Magdeburger Familie trotten durch die Straßen. Vorbei an toten Körpern, erdolchten Kindern. Neben einer toten Frau liegt ein Korb. Würste sind herausgerollt. Hunde rangeln um die besten Bissen. Zwei Soldaten streiten sich um eine Frau. Ein Schuss fällt. Ein anderer Soldat ist mit seiner Beute überfordert und wird von wildgewordenen Rindern durch die Straße gezerrt.

Die Frieses kommen im Lager auf der Ostseite der Elbe an. Wenig später bemerken sie drüben in der Altstadt Rauchschwaden. Dann frischt ein heftiger Wind auf. Ein gigantischer Feuersturm verschlingt die Stadt. Noch am Abend sehen sie glutrote Ruinen. Ihre Heimat ist ausgelöscht. Am 13. Mai gelangen sie nach Wolmirstedt, später endet ihre Flucht in Altenburg. Dort notiert der Vater, einst Stadtschreiber in Magdeburg, seine Erlebnisse.

An die 25.000 Menschen lebten vor Tillys Sturm in der Stadt. Danach wurde Magdeburg zum Dorf. 449 Einwohner zählte Ratsherr und Bürgermeister Otto von Guericke. Tausende waren tot oder geflohen. Es dauerte 170 Jahre, ehe die Stadt wieder so groß war wie einst.

Wer das Feuer legte, ist umstritten. Waren es Tillys Truppen, weil widerspenstige Magdeburger aus den Häusern schossen? Waren es die eigenen Verteidiger, um Tilly nur Asche zu hinterlassen?

Johann von Tilly aus Brabant (heute Belgien) war tiefgläubiger Katholik. Er wollte Magdeburg erobern, nicht einäschern. Er war von der Idee getrieben, das Ketzernest in eine katholische Stadt zu wandeln. Sehr zur Freude seines Herrn, dem Kaiser. Sogar Umtauf-Pläne gab es: Aus Magdeburg sollte Marienburg werden. Als die Stadt brannte, schickte Tilly 500 Soldaten zum Löschen ins Domviertel. Doch viel half das nicht. Dom und Kloster blieben stehen, ein paar Kirchenruinen gab es noch, ansonsten war nur Schutt und Asche. Tilly hatte nichts gewonnen. Warum dieser Furor? Die Sache hat eine Vorgeschichte. Sie reicht 100 Jahre zurück.

Im Juni 1524 predigt der Reformator Martin Luther in Magdeburg. Schon bald darauf gibt es an den großen Kirchen evangelische Gottesdienste. Die Bürger hatten die Nase voll von Ablass und bischöflicher Bevormundung. Und gehen auch recht rabiat gegen Katholiken vor. Mönche werden aus der Stadt getrieben, sie müssen ihr 300 Jahre altes Kloster am Breiten Weg aufgeben. Der katholische Kaiser Karl V. verhängt die Reichsacht. Höchststrafe. Die Stadt verliert 15 Jahre lang Marktrechte und Einnahmen. 1550 wird sie sogar ein Jahr militärisch belagert. Doch die Stadt bleibt standhaft.

1618 bricht der Krieg aus. Magdeburg verhält sich als Hansestadt zunächst neutral. 1629 verschärft sich die Lage. Kaiser Ferdinand erlässt ein Edikt: Die Protestanten im ganzen Reich sollen alle Kirchen und Güter an die Katholiken zurückgeben. Der Stand von 1552 sollte wiederhergestellt werden. Eine Rolle rückwärts über 77 Jahre. Viele weigern sich. Auch Magdeburg.

Der Kaiser schickt schließlich seinen besten General an die Elbe. Wallenstein. Er soll die Störrischen bewegen. Doch die bleiben hart. Wallenstein greift dennoch nicht an, weil er die Hanse mit ihren starken Städten nicht gegen sich aufbringen will. Wallenstein rückt ab. Die Magdeburger fühlen sich unbesiegbar.

1630 folgt der nächste Hieb. Der Kaiser setzt den Magdeburgern einen katholischen Bischof und Landesherren vor die Nase. Es ist des Kaisers Sohn, 14 Jahre alt. Ein Bub.

Dann keimt Hoffnung. Im selben Jahr landet Schwedenkönig Gustav Adolf auf deutschem Boden. Der stärkste Heerführer der Protestanten. Vor allem das einfache Volk, angestachelt von radikalen Predigern, fordert ein Bündnis mit den Schweden. Der Rat gibt dem Druck nach. Gustav Adolf schickt seinen Hofmarschall in die Stadt. Dietrich von Falkenberg, gebürtiger Deutscher, baut nun in Magdeburg einen Verteidigungstrupp auf.

Im Frühjahr 1631 rückt der nächste kaiserliche General an. Tilly. Mit 22.600 Soldaten, 3100 Reitern und 86 Geschützen. Magdeburg hat 3000 Mann und Pulvermangel. Falkenberg beschwichtigt: Der Schwedenkönig würde mit seinem Heer bald da sein und Magdeburg retten. Am 24. April bietet Tilly eine friedliche Kapitulation an. Die Stadt fordert protestantische Fürsten als Vermittler. Das lehnt Tilly ab. Er eröffnet das Kanonenfeuer. Pausenlos wird die Stadt beschossen. Vom Schweden-Heer ist nichts zu sehen. Erste Zweifel keimen.Vor allem Kaufleute drängen auf Vermittlung. Sie haben viel zu verlieren.

Am 9. Mai schickt Tilly eine erneute Kapitulationsofferte an die Stadt. Krisensitzung. Lange Debatten. Schließlich votiert der Rat für Verhandlungen. Doch Schweden-Marschall Falkenberg tritt auf die Bremse, man möge sich vertagen.

10. Mai. 4 Uhr morgens. Der Rat tagt. Falkenberg agitiert. Das Schwedenheer werde bald kommen. Was die Magdeburger nicht ahnen: Der Schwedenkönig sitzt zu dieser Stunde weit weg in Potsdam, sein Heer geschwächt vom Kampf in Frankfurt/Oder. Tilly weiß das. Für ihn aber ist Potsdam sehr nah - bald könnten sich die Schweden aufmachen. Seine Geduld endet. Er gibt Befehl zum Angriff.

Und während Falkenberg im Rathaus redet und redet, schleicht sich Truppführer General Pappenheim mit seinen Männern an die Stadtmauer heran. Die Sturmleitern hinauf und los geht es mit Gebrüll. Die verdatterten Wachen sind gerade beim Morgengebet. Leichtes Spiel. Turmbläser geben Alarm. Nun rückt auch Falkenberg mit seinen Männern an, aufhalten können sie den Ansturm nicht. Schüsse fallen. Falkenberg fällt tot zu Boden. Vier Stunden später brennt die ganze Stadt. Tausende ersticken in den Kellern. 8000 Tote lässt Tilly in die Elbe werfen.

Tilly zieht in weitere Schlachten. Ein Jahr nach der Vernichtung Magdeburgs zerschmettert eine Kugel seinen rechten Oberschenkel. Der General stirbt 1632. Der Sarg kommt in den Wallfahrtsort Altötting in Bayern. Tilly hatte der Kirche 6300 Gulden gespendet. Verbunden mit der Bitte, man möge ewig für sein Seelenheil beten. Fortan las ein Geistlicher eine Messe für den General. Jeden Tag. Immer früh um 7 Uhr. 377 Jahre lang. 2009 beendete der Passauer Bischof diese Gebete. Es gab einen trifftigen Grund: Tillys Spende war schließlich längst aufgebraucht.

 

Teil 2 nächsten Sonnabend: Das Dorf Goldberg bei Lödderitz wird vernichtet - und nach 400 Jahren wieder entdeckt. Eine archäologische Sensation.

Teil 3 am 28.7.: Die Schlacht aller Schlachten in Lützen. Ein Museum und ein Massengrab