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Gewässerschutz Unsere Flüsse kränkeln

Auf den Flüssen schwimmen keine Schaumkronen mehr. Dennoch sind Elbe, Saale und Co. in Sachsen-Anhalt längst nicht gesund.

Von Jens Schmidt 05.04.2017, 01:01

Magdeburg l Wasserexperten schauen seit einigen Jahren wesentlich genauer hin, um den Zustand der Flüsse, Bäche, Grundwasserleiter und Seen zu bewerten. Die Maßstäbe setzt eine europäische Norm mit dem sperrigen Namen „Wasser-Rahmenrichtlinie“. Sie bestimmt, was gut ist und was nicht. Fazit: Das meiste ist noch nicht so gut.

Für die Analyse der sachsen-anhaltischen Gewässer zuständig ist der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW). Der aktuelle Zustandsbericht zeigt: Eine „1“ bekommt kein einziges Gewässer in Sachsen-Anhalt. Nur fünf Prozent erreichen einen guten ökologischen Gesamtzustand. Dazu zählen die Bode im Oberlauf, wo kristallklares Quellwasser fließt, oder ein Teil der Ohre im Drömling. Knapp ein Viertel der Gewässer ist in Ordnung und bekommt die Note 3. Mulde, Ehle und Südharzbäche gehören dazu. 43 Prozent der Gewässer befriedigen nicht (Note 4). Ein Viertel ist sogar schlecht (Note 5). Noch in den 90er Jahren klang das alles anders. Da waren Elbe und Saale zwar noch nicht rein – aber immerhin wieder sauber. Alles schien bestens. Das ist vorbei.

Fehlende Schaumkronen und ein guter Lachsfang reichen nicht mehr aus, damit etwa die Elbe gute Noten bekommt. Es geht um viel mehr. Es geht um die Chemie (Welche Schadstoffe sind noch drin?), um die Biologie (Wie gut geht es Fischen und Wasserpflanzen?), um die Durchlässigkeit (Blockieren Wehre den Lachszug?) und auch um die Morphologie - also um den Zustand von Flussbett und Ufer.

Beispiel Elbe: Zwischen Wittenberg und Barby hat sich der Fluss in den vergangenen Jahrzehnten fast zwei Meter eingegraben. Erosion heißt die Malaise. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel, weshalb die ufernahen Auen unter Trockenheit leiden. Das heißt: Selbst wenn in der Elbe reinstes Bergquellwasser flösse, bekommt der Fluss wegen der Erosion dicke Minuspunkte. Die Ursachen sind zwar erkannt, über Auswege wird aber immer noch gebrütet. Da die Tschechen Staustufen gebaut haben, gelangt zu wenig Geröll flussabwärts. Weil die Elbe aber auch im Mittellauf recht schnell fließt, nimmt das Wasser eben jenes Gestein mit, was vor Ort da ist: So frisst sich der Fluss vor allem in der Wittenberger Region immer tiefer ein. Die Tschechen werden ihre Wehre deswegen nicht abreißen. Deutsche Flussplaner überlegen, die Sohle zu stabilisieren und die Erosion zu stoppen. Sie wollen damit auch die Schifffahrt gängiger machen. Bis 2018 will der Bund ein Konzept vorlegen.

Um die Biologie-Note zu verbessern, werden Fischtreppen gebaut, damit Lachse und Störe wieder flussaufwärts wandern können. Beide Fischarten streben aus dem Atlantik in die Oberläufe der Flüsse, um dort im seichteren Wasser zu laichen. Wehre und Staudämme haben das über Jahrzehnte verhindert.

Derzeit wird am Stadt-Wehr Dessau eine Art „Fisch-Umgehung“ gebaut. Für acht Millionen Euro. Fertig ist bereits ein Bypass am Muldestausee. Der Aufwand ist riesig. Um fünf Meter Höhenunterschied zu überwinden, wurden dort 43 Becken errichtet, damit die Tiere allmählich den Aufstieg überwinden. Und um eine moderate, natürliche Strömung zu erzeugen wurden Tausende Steinblöcke in die Becken gesetzt.

Die Schadstoffbelastung ist im Vergleich zu DDR-Zeiten deutlich gesunken. Es schwirren deutlich weniger Nickel, Phosphor, Schwefelsalze, Chlorverbindungen und organische Abfälle durchs Wasser als noch vor 30 Jahren. Das Gebräu aus der alten DDR-Chemie war in den 80er Jahren so heftig, dass immer wieder Schauminseln die Flüsse hinabtrieben. Das ist lange vorbei. Die Elbe etwa bietet doppelt so viel Sauerstoff wie 1990. Fische wie Lachs, Meerforelle oder Flussneunauge sind wieder da. Dennoch gibt es auch in der Chemie nicht nur Bestnoten.

Das spüren vor allem die Saale und ihre Nebenflüsse. Ein Problemstoff sind die Salze. Sie kommen zum Teil aus den Sodafabriken in Bernburg und Staßfurt. „Es gibt Überlegungen, Überlandleitungen zu bauen, um die Abwässer direkt in die Elbe zu leiten, da sie dort stärker verdünnt würden als in der Saale“, sagt Matthias Weiland, der beim Landesbetrieb LHW für die Gewässerkunde zuständig ist. Eine weitere Ursache sind alte Kalihalden in der Region Sangerhausen und Thüringen. Über Regen, Grundwasser und Bäche gelangen Salze in die Unstrut und weiter in die Saale. Am Unterlauf, im Mündungsbereich bei Barby, werden Grenzwerte von 200 Milligramm je Liter überschritten.

Ein Fünftel Gramm: Das ist ein Körnchen. „Dennoch besteht die Gefahr, dass bestimmte Flusslebewesen absterben und sich dafür andere, nicht-einheimische ansiedeln“, erklärt Weiland. Fische sind hingegen gegen diese Kleinstmengen unempfindlich.

Auch einige Metalle wie Zink, Zinn, Arsen oder Kupfer schwirren in den Flüssen noch in deutlich messbaren Mengen herum - vor allem aus Altbergbauzeiten im Mansfelder Land und im Harz, wo jahrhundertelang Kupfer und Silber geschürft worden waren. Belastet ist daher auch der Unterlauf des Harzflüsschens Bode. Für den Menschen sind diese Minimengen nicht gefährlich - für kleinste Lebewesen und das Ökosystem des Flusses aber nicht unerheblich.

Unerwünscht sind ebenfalls zu hohe Nitrat- und Phosphormengen. Kläranlagen filtern diese Stoffe zwar heraus, mit dem Ackerdünger gelangen Nitrate aber wieder ins Grundwasser hinein. Das Leitungswasser ist in Sachsen-Anhalt davon zum Glück nicht betroffen, da das Land mit der Colbitz-Letzlinger Heide, der Rappbodetalsperre im Harz und den Elbe-Brunnen bei Torgau sauberste Trinkwasserquellen hat. Solch feine Brunnen haben viele Regionen in Niedersachsen nicht, die mit sehr teuren Verfahren Nitrate aus dem Trinkwasser herausfiltern müssen.

Probleme hat Sachsen-Anhalt aber außerhalb der streng geschützten Zonen. Denn Grundwasser hat ein langes Gedächtnis. Auf den schweren Bördeböden dauert es oft 60 Jahre, ehe Regenwasser bis in die Tiefe gedrungen ist. Die überhöhten Nitratwerte, die an etlichen Punkten heute gemessen werden, sind ein Gruß aus der alten DDR-Landwirtschaft.

Damit nicht noch mehr hinzukommt, sind die Wasserwächter froh, dass es jetzt Dünge-Obergrenzen gibt. Ihr Credo: Der Dünger gehört in die Pflanze und nicht ins Wasser. Der Nitrat-Grenzwert ist beim Grundwasser genau so streng bemessen wie fürs Trinkwasser. Die Wasserexperten finden das alles andere als übertrieben. Denn: Nitrate düngen auch Algen und Wasserpflanzen. In den großen Flüssen ist das nicht so von Belang - aber Bäche, Teiche und Seen können zuwuchern und ihre Balance verlieren.

Gewässerwächter sehen daher an vielen Stellen „Rot“, so dass etwa ein Drittel der Gewässer vor allem im Süden des Landes für ihren chemischen Zustand keine guten Noten bekommen.

Streng genommen wären Sachsen-Anhalts Gewässer in puncto Chemie gänzlich durchgefallen. Die EU verlangt nämlich niedrigste Quecksilber-Werte in Fischen. Doch: Da Deutschland seit Jahrzehnten Braun- und Steinkohle verfeuert, lagert sich dieses flüssige Metall überall ab. Kläranlagen filtern Quecksilber mittlerweile auch schon heraus. Doch allerkleinste Mengen bleiben dennoch messbar - auch in Speisefischen. Für Menschen gelten diese Dosen als unbedenklich. Doch die europäischen Vorgaben für die Gewässer sind so streng, dass sie fast nirgendwo in Deutschland eingehalten werden.

Wasser kann mit moderner Technik immer feiner untersucht werden. Mittlerweile werden auch Arzneireste aufgespürt - vor allem die Schmerzmittelwirkstoffe Diclofenac und Ibuprofen sowie Röntgenkontrastmittel. Gesichert ist bereits, dass bestimmte Stoffe die Fortpflanzung der Fische stören.

Wird bald ein neues Kapitel im Gewässerschutz aufgemacht? Die Schweizer bauen in ihre Klärwerke bereits eine vierte Reinigungsstufe ein, um Medikamentenreste herauszufiltern. In Deutschland hält man das nicht für erforderlich. Und Europa? Noch wird die Arzneimittelbelastung als „schwaches Hintergrundrauschen“ toleriert, sagt Weiland. Die Wasserrahmenrichtlinie macht hier also noch keine Vorgaben. Noch nicht.