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Likörmanufaktur Hochprozentiger Alkohol aus dem Harz

Eine Steuerfachwirtin und ein Verkehrskaufmann setzen beruflich auf Alkohol. Sie haben die Harzer Likörmanufaktur in Gernrode übernommen.

Von Sandra Reulecke 16.01.2018, 00:01

Gernrode l Es war eine Schnapsidee, aber eine durchdachte. Die studierte Steuerfachwirtin Nicole Tondera hat vor zwei Jahren ihren Job an den Nagel gehängt, um die Harzer Likörfabrik in Gernrode zu übernehmen. Helga Rolle, bis dato Geschäftsführerin, habe sie gefragt.

Worauf sich die Dardesheimerin einlässt, wusste sie nur von den Zahlen her. Schließlich kümmerte sich Nicole Tondera einige Jahre lang um die Steuern des Unternehmens. Wie jedoch die Liköre hergestellt werden, davon hatte sie keine Ahnung, gesteht sie.

Was folgte, könnte aus einem Film stammen: Ein Jahr lang schleuste sich ihr Lebensgefährte Karsten Eckmayr incognito als Praktikant im Unternehmen ein, um herauszubekommen, ob sie den beruflichen Neustart wagen sollten. Nur Helga Rolle wusste, wer der Praktikant mit dem spannenden Lebenslauf war.

Eckmayr ist gelernter Reiseverkehrskaufmann. Der Aspenstedter arbeitete in den USA und in Australien, tourte später als Maskottchen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft durch die Welt. Nicole Tondera lernte er beruflich kennen – sie kümmerte sich gewissenhaft um seine Steuerangelegenheiten. Vor drei Jahren wurden die beiden ein Paar. Ein Wagnis, so schnell nicht nur privat, sondern auch geschäftlich ein gemeinsames Leben aufzubauen – zumal die beiden sehr unterschiedlich sind. Entsprechend differenziert waren die Reaktionen des Umfelds. „Meine Freunde sagten, dass bisher alles geklappt hat, was ich angepackt habe. Sie wissen, dass ich bedacht handele“, sagt Nicole Tondera. Eckmayr ist dagegen impulsiv. „Ich bin schnell Feuer und Flamme – aber auch schon das ein oder andere Mal gescheitert.“ Nach seinem Jahr als Undercover-Praktikant stand fest: Nicole Tondera kauft für rund 300.000 Euro die Firma, deren Geschichte bis in DDR-Zeiten zurückgeht. In der Unternehmenshistorie ist nachzulesen, dass es 1989 bei dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Harzer Likörfabrik und Weinkelterei Quedlinburg, Sitz Gernrode 265 Beschäftigte gab, die unter anderem 3.021.800 Liter Spirituosen herstellten.

Aus dieser Zeit sind noch einige Tanks vorhanden. „Die halten ewig“, sagt Karsten Eckmayr. Doch abgesehen von den Behältern, hat sich vieles verändert: Dort, wo früher Massenproduktion stattfand, wird nun Wert auf Handarbeit gelegt. Sechs Mitarbeiter werden beschäftigt.

„Nur die Kräuterliköre werden im maschinellen Mixer angesetzt“, sagt der 46-Jährige. Die seien besonders beliebt – und das schon seit Jahrzehnten. Die Rezeptur für „Ritter Bodo“ stamme zum Beispiel aus den 1970er Jahren.

Viele der Rezepte, die noch heute umgesetzt werden, hat Destillateurmeisterin Helga Rolle, die vorherige Geschäftsführerin der Harzer Likörfabrik Rolle GbR, seit der politischen Wende kreiert: Kräuterliköre, Fruchtsaftliköre und Brände. Die neue Chefin möchte zwar dem Unternehmen ein modernes Äußeres geben, bei den Getränken setzt sie jedoch hauptsächlich auf Bewährtes, sagt sie. Ihr erster, selbst ausgedachter Likör heißt Mephisto. Bei den Kunden komme er gut an.

Egal, ob neues oder altes Rezept: „Wir verzichten auf Farbstoffe oder Zusätze, die gekennzeichnet werden müssen.“ Davon können sich Besucher in Gernrode selbst überzeugen. Es werden Führungen angeboten, bei denen von der alkoholischen Vergangenheit der Region berichtet wird, Kostproben gereicht werden und die Produktion vorgestellt wird. Dabei erfahren die Gäste, dass in Gernrode nicht mehr selbst gebrannt wird. „Wir kaufen den Neutralalkohol in Berlin“, erläutert Karsten Eckmayr. Nach den alten Rezepturen und neuen Ideen entstehen Monat für Monat aus 1000 Litern des 96-prozentigen Alkohols rund 3000 Liter Liköre.

Zu kaufen gibt es sie im Laden in Gernrode, online und in Supermärkten der Region. „Außerdem sind Hotels und Gastronomen unsere Kunden“, sagt Eckmayr. Aufgrund der Unternehmensstruktur könne man flexibel auf Sonderwünsche reagieren und kleine Mengen samt Sonder-Etikett herstellen, zum Beispiel für Firmenjubiläen oder Hochzeiten.

Einen Anlass, selbst zu feiern, haben die beiden Existenzgründer voraussichtlich im Herbst. „Wir wollen in der Innenstadt von Wernigerode einen zweiten Laden eröffnen“, berichtet Nicole Tondera. Trotz Anfangsschwierigkeiten – nach dem Chefwechsel hat auch fast das gesamte Personal gewechselt – bereue sie den Neuanfang nicht. „Wir sind zwischendurch echt auf dem Zahnfleisch gegangen“, resümiert die 44-Jährige. „Aber es hat sich gelohnt.“