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Keine Katastrophenstimmung in den Gemeinden entlang der Elbe. Hochwasser: Noch herrscht viel Gelassenheit

Von Oliver Schlicht und Arlette Krickau 04.06.2013, 01:19

Magdeburg l Steht Sachsen-Anhalt vor einer neuen Flutkatastrophe? Davon war in den elbnahen Dörfern im Salzlandkreis gestern kaum etwas zu spüren. Noch herrscht bei vielen Bewohnern Gelassenheit nach dem Motto: Das wird schon nicht so schlimm.

Erst im Januar 2011 wurden die Saale-Gemeinden Tornitz und Rosenburg überflutet worden. 80 Helfer waren im Einsatz, Sandsackbarriere, Pumpen liefen rund um die Uhr. Und gestern? Leere Straßen, keine Feuerwehr, keine Sandsackhaufen zu sehen. Keine Gefahr? Noch fließt das Saalewasser ohne Probleme in die Elbe ab. Am Elbedeich bei Barby stand das Wasser gestern Mittag noch knapp fünf Meter unter der Deichkrone.

"Das wird halb so schlimm", winkt ein Bauer im Vorbeigehen ab und führt seine Pferde auf die Koppel. Auch Uwe Gretsche empfiehlt Gelassenheit. Sein Haus und Garten stehen direkt am Saaledeich im Ortsteil Werkleitz. Er schippte gestern Mist auf seine Kartoffelpflanzen im Garten. "Das Hochwasser ist für mich nicht bedrohlich. Der Wasserstand ist noch verhältnismäßig niedrig. Und wenn das Pretziener Wehr geöffnet wird, verteilt sich das zusätzlich", glaubt er. Wurden in Werkleitz schon Deichwachen eingerichtet? Gretsche: "Nein, das wüsste ich. Bislang ist das auch noch nicht notwendig."

Unweit von Barby liegen auch die Gemeinden Pömmelte und Glinde gefährlich nah am Elbedeich. Auch dort war gestern von Vorbereitungsarbeiten für den Notfall nichts zu sehen. Rentner Reinhold Blumenthal aus Pömmelte schaute mal zum nahen Elbedeich bei Glinde, um zu sehen, "wie die Lage ist". Sein Fazit: "So niedrig habe ich das Wasser nicht erwartet. Da ist ja noch jede Menge Platz."

Am Wochenende im Keller Grundwasser abgepumpt

Zu Hause musste er am Wochenende zum ersten Mal im Keller die Pumpe anwerfen. "Aber inzwischen ist das Wasser schon wieder zurückgegangen." Eine 800 Meter lange Sandsackmauer haben die Helfer im Januar 2011 am Ortseingang von Pömmelte errichtet, erinnert sich der Rentner. Gestern lag nur ein kleines Häufchen Säcke am Straßenrand.

In Schönebeck waren dagegen am Ostufer der Elbe die Sicherungsarbeiten schon voll angelaufen. Jens-Uwe Farken, Meister im Bauhof der Stadt, leitete die Arbeiten zum Bau eines 300 Meter langen Laufsteges. Er soll dafür sorgen, dass die Anwohner der benachbarten Häuser trockenen Fußes in ihre Häuser kommen, wenn das Wasser steigt. 1,50 Meter hoch ist der Steg. "Wir haben ihn zur Sicherheit etwas höher gemacht, als bei vergangenen Hochwassern", erzählt der Meister.

Betriebsamkeit auch in der Gemeinde Biederitz. Um 13 Uhr ertönten dort gestern die Sirenen. Haupteinsatzort: Gerwisch. Neben der Kirche des Ortes, direkt vor dem Feuerwehrgerätehaus lagen zwei große Berge Sand. Die Feuerwehrleute wussten, was zu tun ist. "Bereits am Sonnabend haben wir die ersten 1000 Sandsäcke gefüllt, als bekannt wurde, dass das Pretziener Wehr gezogen wird", erklärte Ortswehrleiter Wolfgang Beckmann ruhig.

Alles scheint fast routiniert abzulaufen. Über die Radiosender und über den Internetauftritt der Volksstimme hatte die Gemeinde Helfer zum Sandsackbefüllen aufgerufen. Schon um die Mittagszeit kamen die ersten älteren Herrschaften, zum Nachmittag mischte sich das Jungvolk darunter. Säcke aufhalten, Sand schippen, Sack verknoten, auf die Palette bringen. "Es ist fast so, als ob alle einen Schalter umgelegt haben. Aha, es geht wieder los\'", beschrieb Beckmann gestern das Miteinander.

Wirkliche Panik ist noch nicht zu spüren. Es ist eher etwas unterschwellig Drückendes. Ortsbürgermeisterin Karla Michalski: "Ich bin gerade innerlich völlig leer, weil ich nicht weiß, was kommt. Weil wir nicht genau wissen, worauf wir uns vorbereiten müssen. Wir brauchen Angaben, mit denen wir arbeiten können." Michalski schien gestern nicht die einzige zu sein, der es so geht.

Viele Anwohner standen an den Stellen, die 2002 vom Jahrhunderthochwasser verschluckt wurden und schauten den Einsatzkräften zu, wie die ersten Sandsäcke gestapelt werden. "Wirklich Angst haben wir noch nicht. Wir wohnen jetzt höher. 2002 wohnten wir noch hier in diesem Gebiet und mussten unsere Wohnung räumen", beschrieb die junge Gerwischerin Laura Frost ihre Situation.

"Wir haben gar keine Zeit zum Angst haben, wir haben viel zu viel zu tun", sagte Kay Gericke, Bürgermeister der Gemeinde Biederitz. Er selbst hatte 2002 mit Sandsäcke gefüllt. Damals aber noch als "normaler Bürger", wie er sagte. Seit dem Wochenende ist er in der Gemeinde unterwegs. Hat erste Plätze räumen lassen und andere Vorkehrungen getroffen. "Mehr, als das alles machen, können wir nicht", sagte er.

"Alte Kontakte" von 2002 werden reaktiviert

Die Sorglosigkeit mancher Elbe- und Saaleanwohner scheint gestern vor allem daran gelegen zu haben, dass es bis zum Nachmittag noch keine offiziellen Prognosen über die zu erwartenden Hochwasserstände gab. Nur hier und da wurde getuschelt. Hochwasser-erprobte von 2002 versuchen "alte Kontakte" zu reaktivieren, um genaue Pegelstände zu erfahren. "Wir sollten die Öffentlichkeit auf ein brutales Hochwasser vorbereiten. Brutal an Wassermengen, Arbeit, Einsatzkraft und Begleitumständen", sagte Gerwischs Ortsbürgermeisterin Karla Michalski. Worte, die für sich sprechen.

Die Hoffnung, dass sich die Hochwasserlage im Großraum Magdeburg entspannt, ruht vor allem auf dem Pretziener Wehr. Gestern wurde die im Jahr 1875 errichtete Anlage geöffnet. Sie leitet etwa 30 Prozent des Elbewassers durch Umflutgebiete um die Stadt herum. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sprach am Wehr gegenüber Medienvertretern von einer "extrem ernsten Lage, die sich in wenigen Stunden deutlich verschlechtert hat."

Die über tausend Zuschauer der Wehröffnung konnten das zu diesem Zeitpunkt nicht hören. Auf den Wiesen am Umflutkanal verfolgten sie das technische Spektakel bei sonnigem Frühlingswetter. Einige hatten Liegestühle mitgebracht.