DDR-Motorrad Im Aufwind der Schwalbe
Wolf-Dieter Busse haucht Oldtimer-Motorrädern wieder Leben ein. Ob Star, Schwalbe oder MZ - Mopeds aus der DDR sind sein Faible.
Kamern l Nein, er ist nicht 64. Das kann gar nicht sein. Ganze 22 ist er, es ist Mai, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und der Raps blüht auf den Feldern entlang der Havel. Wolf-Dieter Busse setzt seine Schüssel auf den Kopf, startet das Motorrad und gibt Gas: „Ah, diese Luft!“
So oder so ähnlich wird der Film im Kopf des Mechanikers aus Kamern am See wohl ablaufen, während er davon erzählt, was am Motorrad-Fahren so toll ist. Nur spielt in seiner Motorradfahrer-Geschichte keine 400 Kilo schwere Maschine die Hauptrolle, sondern entweder sein blau-weißer Berlin-Roller mit Hänger oder vielleicht eine Schwalbe. Eine blaue, wie er sie früher fuhr, als er wirklich 22 war. Denn Wolf-Dieter Busse hat sein Herz an Oldtimer aus DDR-Zeiten verloren, an Stare und Schwalben aus Suhl, an MZs, an Wiesel und Trolle aus Ludwigsfelde.
Sie sind seine Kameraden, tag ein, tag aus, in der kleinen Werkstatt in Kamern an der Havel. Hinter einer zweiflügeligen, hellbeigen Tür verbirgt sich ein Motorrad-Schrauber-Wohnzimmer, wo es nach Öl und Zweitakter-Abgasen riecht, mit einer Motorrad-Hebebühne als Zentrum. Und vor der steht er, der Mittsechziger mit Latzhose, blauem Shirt und sportlichen blauen Sneakers mit drei goldenen Streifen. Wolf-Dieter Busse hebt die ölverschmierten Hände Richtung Himmel und dann leuchten seine blauen Augen, wenn er vom Raps, vom Wind und den Wolken erzählt. Man möchte meinen, es sei wirklich 1975 und Wolf-Dieter Busse gerade mal 22 Jahre alt.
1975 – das war das Jahr, als der junge Mechaniker gerade seinen Meister gemacht hatte und den Laden vom Großvater übernahm. Friedrich Busse senior hatte es nicht immer leicht, seit er 1921 eine Fahrradwerkstatt in einem ehemaligen Stall mit niedriger preußischer Kappendecke eingerichtet hatte. „Als er auch Motorräder verkaufen und reparieren wollte, musste er sogar eine Tankstelle dazu anbieten.“ Noch immer prangt der Markenname Esso am Pfeiler neben der Straße. Dann, als Wolf-Dieter Busse 16 Jahre alt war, starb sein Vater. Für den Großvater stellte sich die Frage, was nun aus der Werkstatt werden sollte. „Opa hat einfach noch sechs Jahre weitergemacht, bis ich den Laden übernehmen konnte“, so Busse. Ein Jahr später starb auch der Senior. Ein bisschen wurde der Enkel damals ins kalte Wasser geworfen, niemand stellte die Frage, ob das mit dem Meisterbrief und der eigenen Firma wirklich sein Ding war. Den ganzen Papierkram mag er immer noch nicht. Und größer werden – das wollte er auch nie.
Was er wollte und will ist Schrauben, schließlich hat er das bei einer Lehre in der Havelberger PGH ja auch gelernt. Ohnehin kannte er schon als Junge keine liebere Beschäftigung, Kfz-Schlosser zu sein war sein Traum. „Der spielt sich da wieder eins“, soll seine Mutter oft gesagt haben. Ob er mal daran gedacht hat, etwas anderes zu machen? „Nach der Wende, kurz.“ Damals gab es die Idee, andernorts gutes Geld zu verdienen. „Aber ich fahre doch nicht zum Arbeiten über Land! In die Werkstatt kann ich doch mit dem Fahrrad und wenn man die ganze Woche weg ist, ja, wer macht denn dann den Garten?“
Wolf-Dieter Busse ist ein pragmatischer Mensch: Wenn ein Motorrad nicht läuft, dann muss man den Fehler suchen. Und zwar bis man ihn findet. Punktum. Die Fehlersuche, sagt Busse, beginnt immer am Motor. Wenn der nicht läuft, bringt alles andere ja gar nichts. Seit ein paar Jahren kommen wieder mehr Besitzer alter Zweiräder in seine Werkstatt, wollen die Oldtimer wieder flott machen. Das war kurz nach der Wende anders: „Das war eine schwere Zeit. Keiner wollte Motorrad fahren.“ Und das, obwohl viele zur großen Ausstellung ins Kinozelt am Kamernschen See gekommen waren, die Wolf-Dieter Busse zusammen mit einem Partner aus Celle organisiert hatte. Sie staunten über die großen Maschinen aus dem Westen – und investierten dann doch eher in Autos oder ihre Häuser.
Doch der Trend hat kehrt sich seit ein paar Jahren merklich um, Motorrad fahren ist wieder in. Und alles Alte sowieso. Auf der Motorradmesse Intermot in Köln überboten sich die Hersteller geradezu darin, Retro-Modelle zu zeigen. Hierzulande steht noch in so mancher Scheune ein originaler Sperber, eine Schwalbe, ein Star – und immer wieder bringen Kunden die rostigen Reste dessen, was mal ein funktionierendes Motorrad war, zu Wolf-Dieter Busse. Er baut sie bis zur letzten Schraube auseinander, reinigt und poliert alles, besorgt Ersatzteile. Das ist mal leichter, mal schwieriger: „Simson-Tanks sind gerade nicht zu kriegen.“
Bis vor ein paar Jahren habe es einen chinesischen Anbieter gegeben, aber der sei vom Markt verschwunden. So hat Wolf-Dieter Busse das Ohr immer an den Kursen auf dem Ersatzteilmarkt – auch, wenn er mit anderen Oldtimer-Fans unterwegs ist. Im Prinzip, sagt er, bekommt man heute alles. Und was man nicht ersetzen kann, repariert er halt.
Das alte Blech fasziniert nicht nur die Generation derjenigen, die diese Motorräder einst stolz zeigten, als sie fabrikneu waren – und die sich mit der Restaurierung ihre Jugendjahre zurückkaufen. „Die Jungen auf dem Dorf fahren wieder S51“, erzählt der Mechaniker. Die Preise für alle DDR-Mopeds seien in den vergangenen Jahren gestiegen; Original ist schließlich Original.
Besonders gefragt: Der SR1, von dem zwischen 1955 und 1957 ganze 152.000 das Simson-Werk in Suhl verließen. So ist Wolf-Dieter Busse besonders stolz auf den SR1, den er aus einem völlig verrosteten Scheunenfund wiederherstellte – inklusive Reservekanister für den Gepäckträger. Aber auch die Schwalbe hat ihre treuen Fahrer – rund 300.000 der Klassiker sollen noch auf den Straßen unterwegs sein.
So klein und abgelegen Kamern also sein mag – Wolf-Dieter Busses Dienste sind gefragt. Er hat immer zu tun, nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel. Es bleibt auch Zeit für den Garten mit selbst gezüchteten Bananenstauden oder für eine Ausfahrt auf dem geliebten Berlin-Roller. „1000 Kilometer im Jahr fahr‘ ich den schon.“
Aber oft dürfen die Tore einfach nicht zu sein, denn mittlerweile ist Busses Werkstatt der letzte Laden im Zentrum von Kamern, wo man einfach mal so vorbeischauen kann. Das nutzen die Rentner im Dorf – es geht schließlich immer mal was am Fahrrad kaputt. Auch das kriegt Wolf-Dieter Busse irgendwie hin, gehört schließlich zur fast schon hundertjährigen Tradition des Unternehmens. „Manchmal sitzen gleich zwei Rentner hier und erzählen Geschichten.“
Und wie geht es mit ihm mal weiter, wenn er mal in Rente ist? Auf die eigenen Kinder kann er nicht zählen, der Sohn arbeitet als Lehrer in Kassel, die Tochter lebt in Hannover. Einen Enkel hat er, der ist 18. „Aber er hat kein Interesse an der Werkstatt.“ Wolf-Dieter Busse sagt das ohne besondere Regung in der Stimme, ohne Ärger, ohne Traurigkeit. Aber man sieht ihm an, dass er es sich anders wünschen würde. Jedenfalls wird er weitermachen, solange er Spaß daran hat und solange es geht. „Ich hab mir in meiner Zeit meinen Traum erfüllt. Und später ist der Laden dann eben zu.“ Trotzdem, einen Wunsch hat er für die Zeit nach der Werkstatt: Einen 600er Trabant. Aber das ist eine andere Geschichte aus Kamern am See.