33 Berufsjahre als Meteorologe auf Norddeutschlands höchstem Gipfel / Selbst bei Evakuierungen harren die Kollegen oben aus Ingo Nitschke - ein Mann wie das Brocken-Wetter
Brocken (dpa) l Ingo Nitschke ist wie das Wetter an seinem Arbeitsplatz - ein wenig rau, immer für eine Überraschung gut und auch ein bisschen verrückt. Ein Mann, wie gemacht für Sonne, Regen, Schnee und Sturm auf Norddeutschlands höchstem Berg, dem 1141 Meter hohen Brocken im Harz. Der 50 Jahre alte Wetterdiensttechniker hat alle 33 Berufsjahre auf der dortigen Wetterwarte verbracht. Doch begonnen hat seine "Brocken-Karriere" bereits im Windel-Alter.
Schon seine Eltern beobachteten auf dem Harz-Gipfel im Schichtdienst das Wetter. Seine Mutter ist bis heute die einzige Frau an diesem Arbeitsplatz, den es seit 1895 gibt. Auch Nitschke musste ihn sich zu DDR-Zeiten mit bewaffneten Grenzposten teilen. Doch er wollte nie weg. "Ich bin hier aufgewachsen und mag verrücktes Wetter. Hier hab ich alles."
Nitschke blickt auf Monitore, auf denen Regen über Deutschland hinweg zieht und Gewitter rot markiert sind. Am Telefon will jemand wissen, wie die Sicht ist. Nitschke schaut kurz aus dem Fenster und schätzt 50 Kilometer. Sein graues Haar lockt sich wild auf dem Kopf. Über seine Ähnlichkeit mit Reinhold Messner schmunzelt er. Das Klischee des "Wetterfroschs" bedient er gern: An einem Lederband trägt er einen kleinen, weißen Frosch um den Hals. Weitere 800 Tiere zieren jede Ecke der Wetterstation. "Viele sind meine", sagt er.
Alle 30 Minuten melden er und seine sechs Kollegen dem Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach, wie das Wetter auf dem Berg ist. Jenem Ort, der mit 306 Nebeltagen im Jahr unangefochten auf Platz eins in Europa liegt. Deutschlands Wind-Hitliste führt er ebenfalls an. Temperatur, Luftdruck, Niederschläge, Luftfeuchtigkeit und Windstärke - der Computer in der DWD-Zentrale will alles wissen. Regelmäßig gibt es Radioaktivitätsmessungen. Die Wetterwarte auf dem Brocken ist eine von bundesweit zwölf Klimareferenzstationen des DWD.
Die Wetterwarte ist ein 27 Meter hoher Turm mit fünf Etagen. 365 Tage im Jahr ist er besetzt - rund um die Uhr. Neben Räumen mit Messgeräten gibt es auch einen Übernachtungsraum, eine Küche und eine Stube mit Flachbildfernseher. "In der Couchecke hab ich schon als Zweijähriger gesessen", sagt der Vater zweier Söhne, der in Schierke am Fuß des Berges wohnt. "Und im Schrankbett habe ich als Kind manchmal geschlafen." Nitschkes geliebtes, verrücktes Wetter gibt es vor allem im Winter. Da gibt es Tage, an denen der eisige Wind dem Husky-Fan beim Ablesen der Messgeräte erbarmungslos ins Gesicht bläst und seinen Atem am Bart gefrieren lässt. "Da ist das Eis rund um die Vorrichtung auf dem Dach meterdick", sagt der geborene Wernigeröder. Die Station trägt über Wochen einen fetten Eispanzer, vom Bahnhof der Harzer Schmalspurbahnen schaut oft nur noch das Dach heraus. Ein bizarres Bild. Nitschke strahlt. "Ich mag den Winter. Wenn der Schnee glitzert und man 100 Kilometer weit sehen kann. Das ist doch herrlich!"
Der 50-Jährige erzählt aber auch von Wintertagen, an denen die Sicht auf dem Brocken faktisch gleich null war. Er berichtet von Situationen, in denen es die Ablösung tagelang nicht über die schmale Brockenstraße auf den Gipfel schaffte, weil das Allradfahrzeug im Schnee steckengeblieben war. Und von Momenten, in denen der Orkan so lange an der Wetterwarte zerrte, bis sie zu wanken begann. "Ich hab hier schon die eine oder andere Schrecksekunde erlebt", sagt er. Gestrandeten Touristen muss er vor allem in der kalten Jahreszeit oft aus der Patsche helfen - meistens mit einem Anruf bei der Bergwacht.
Wird die Brockenkuppe evakuiert, bleiben Nitschke und seine Kollegen oben. "Wenn alle um den Weihnachtsbaum sitzen, kriechen wir bei zweistelligen Minusgraden und Orkanböen allein auf allen Vieren über die Brockenkuppe." Nitschke sagt das ohne Groll. Er weiß: All diese Unwägbarkeiten konnten ihm seinen Dienst mehr als drei Jahrzehnte lang nicht madig machen. Und sie werden es in diesem Wetterdienst-Leben wohl auch nicht mehr schaffen.