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Job Handwerker: Gefragt wie Goldstaub

Kaum Nachwuchs, immer weniger Betriebe und dann noch Corona lassen die Handwerkerlandschaft zur Wüste mit wenigen Oasen verkommen.

Von Bernd Kaufholz 09.07.2020, 11:49

Magdeburg l Wenn Anke Dorschu, Geschäftsführerin bei der Elektro-Arnold GmbH & Co. KG in Stendal, in ihr Auftragsbuch schaut, schüttelt sie nur den Kopf: Alle 16 Monteure sind ausgebucht – in diesem Jahr. Keine Chance für einen Schnellschuss. „Es hat sich doch schon seit zwei Jahren angedeutet, dass die Handwerkernachfrage irgendwann mal das Angebot bei weitem übersteigen wird“, sagt sie.

Anfang der 1990er Jahre sei es ähnlich gewesen. „Viele haben neu gebaut, alte Substanz wurde auf den neuesten Stand gebracht. Allerdings gab es einen entscheidenden Unterschied: Es waren viel mehr Handwerksfirmen am Markt.“ Später sei der Investitionsboom abgeebbt, sagt Dorschu, die das Traditionsunternehmen, das seit 50 Jahren Elektroleistungen in der Altmark anbietet, gemeinsam mit Karsten Arnold leitet.

Konrad Zahn ist Obermeister der Maler-/Lackiererinnung im Bereich Jerichower Land/Zerbst und hat den Überblick über mehr als 750 Betriebe. Für ihn ist der entscheidende Grund, warum es heute zu langen Wartezeiten kommt, dass es immer weniger Jugendliche gibt, die einen Handwerksberuf erlernen wollen. „Handwerksberufe haben in der Bevölkerung keinen hohen Stellenwert. Die meisten Eltern möchten heutzutage, dass ihre Kinder Abitur machen.“ Da bliebe für den Handwerkernachwuchs nicht mehr viel übrig.

„Gibt es mehr ausgebildetes Personal, können Aufträge auch schneller abgearbeitet werden“, sagt der Mann von der Maler-Zahn GmbH in Gommern (Jerichower Land). Auch Zahn sei bis Anfang September ausgebucht, sagt er.

Der Obermeister erinnert sich ebenfalls noch an die Zeit nach 1990, in der sich ehemalige VEB-Handwerker und Handwerker aus Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften selbständig gemacht hatten. „Die haben sich gegenseitig die Aufträge weggenommen. Das ging so bis 1998. Dann begann der Sinkflug. Geschäftsaufgaben, weil es keinen Nachfolger gab, viele junge Leute gingen weg, die dünnen Jahrgänge taten ein Übriges.“

Froh sei er darüber, dass vorgesehen ist, den Meister einem Bachelor gleichzustellen. „Das wertet die Handwerksberufe auf.“

Burghard Grube, Hauptgeschäftsführer bei der Handwerkskammer Magdeburg, liegen Zahlen vor, die besagen, dass die Wartezeiten im Bauhaupthandwerk, wie Maurer, Zimmerer oder Dachdecker, im ersten Quartal dieses Jahres bei etwa drei Monaten lagen. „Bei den Ausbauern waren es etwa neun Wochen.“

Grupe blickt voraus und wagt die Prognose, dass das Auftragspolster aufgrund der Corona-Pandemie im zweiten Quartal eher gesunken ist, da weniger Menschen einen Handwerker bestellt haben.

Ralf Schumann von der Maler GmbH Voigt in Wernigerode, die gerade ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat, sieht das etwas anders: „Die Leute wollen in unsicheren Zeit kein Geld auf der Bank liegen haben und investieren es lieber – zum Beispiel in die Haus- oder Wohnungsrenovierung.“

Swen Karwath von der Magdeburger Firma SFK Dach & Bau hat ähnliche Erfahrungen. „Viele sitzen wegen Corona zu Hause und meinen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt gekommen sei, das Haus auf Vordermann zu bringen.“ Allerdings seien es nicht die preisintensiven Aufträge, die nachgefragt würden. „Ein Dach komplett neu decken zu lassen, dafür hat doch heute kaum noch jemand das nötige Kleingeld“, sagt er.

Es seien eher die kleineren Sachen, wie das Verlegen auf Flachdächern. „Die Anfang der 1990er Jahre verlegten PVC-Bahnen tun es langsam nicht mehr und müssen runter.“ Auch die Dachdeckerfirma ist bis zum Jahresende voll ausgelastet.

Hauptgeschäftsführer Grupe sieht in den niedrigen Zinsen und der Angst vor Inflationen Gründe dafür, dass mehr in Handwerkerleistungen investiert wird.

In erster Linie könne das Handwerk durch eine gezielte Nachwuchsgewinnung mittelfristig die langen Wartezeiten abbauen. „Deshalb werben wir mit der deutschlandweiten Imagekampagne, in der Bäcker Marcus Ostendorf aus Meitzendorf eine Hauptrolle spielt, sowie mit regionalen Kampagnen, zum Beispiel ,Meister made in Magdeburg‘, um Nachwuchs. In unserem Kammerbezirk sind wir auf Messen und in Schulen unterwegs.“

Doch gerade bei der Werbung an Schulen sieht der Magdeburger Dachdecker Swen Karwath Nachholbedarf. „Das lief zu DDR-Zeiten ganz anders ab. Die Jugendlichen wurden über den Beruf informiert, ihnen wurde regelrecht Lust aufs Handwerk gemacht. Über diese Schiene bin ich übrigens auch Dachdecker geworden.“

Sein Betrieb habe keine Nachwuchssorgen. „Wir haben drei Lehrlinge, einen im zweiten und zwei im ersten Lehrjahr.“

„Bei einem Wasserrohrbruch oder anderem akuten Schaden kommen wir natürlich sofort“, sagt Klaus Göring von der Firma Heizung + Sanitär in Oebisfelde (Börde). „Und wenn es vorerst nur für eine Notreparatur ist.“

Die Wartezeit für alles andere betrage um die drei Monate. „Dabei unterscheiden wir schon zwischen Stammkunden, die uns jahrelang die Treue gehalten haben, und Laufkundschaft“, räumt der Obermeister für „Sanitär, Heizung und Klimatechnik westliche Altmark“ ein.

Manchen Kunden schicke er gleich wieder fort. „Vor einiger Zeit kam jemand mit dem Auftrag, sein Haus sanitärmäßig auf Vordermann zu bringen. Das Material habe er schon preiswert im Baumarkt erstanden. Sie brauchen nur noch einzubauen, sagte er. Ich habe geantwortet: Das geht nicht, denn wir verarbeiten nur eigenes Material, wegen der Gewährleistung.“

Und als der Besitzer eines italienischen Restaurants mit demselben Ansinnen an die Werkstatttür geklopft habe, bekam der verdutzte Gastwirt mit auf den Weg: „Wenn ich nächstens in ihr Lokal zum Essen komme, bringe ich mein Schnitzel auch mit. Das brauchen sie dann nur zu braten.“

Billigkräfte aus dem Ausland zu ordern, sieht der Geschäftsführer der Handwerkskammer, Grupe, nicht als Alternative zu langen Wartezeiten bei heimischen Handwerkern. „Bei einem Handwerker, der in die Handwerksrolle eingetragen ist, kann der Kunde sicher sein, dass er ein Mindestmaß an Qualifikation mitbringt.“ In einem meisterpflichtigen Beruf habe der Inhaber in der Regel einen Meisterbrief, „das Qualitätssiegel des Handwerks“. Außerdem unterstütze man die Wirtschaft der eigenen Region. „Und was nicht zu unterschätzen ist: Bei Fragen und Garantieleistungen ist der Ansprechpartner zumeist schnell zu erreichen und vor Ort“, sagt Grupe.