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Hörschädigung Julia malt mit Gebärden Lieder

Julia Edler wandelt zwischen der gehörlosen und der hörenden Welt. Sie wurde mit einer Hörstörung geboren.

28.09.2018, 23:01

Halberstadt l „Bedingungslos“ ist in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) eine Geste. Es ist aber auch ein Song der deutschen Popsängerin Sarah Connor. Julia Edler kann sowohl die Musik hören als auch die Geste dazu modellieren.

Die 19-Jährige wurde hörgeschädigt geboren, seit ihr aber als Jugendliche Hörimplantate eingesetzt wurden, nimmt sie 80 Prozent ihrer akustischen Umgebung war. Die Carl-Kehr-Schule in Halberstadt, das Landebildungszentrum für Hörgeschädigte, verließ sie im Juni 2017 mit der mittleren Reife.

Dort hatte sie eine wichtige Rolle für die anderen Schüler eingenommen: Da sie sowohl die Welt der Geräusche als auch die Stille kennt, konnte sie sich in die Schüler mit unterschiedlichen Hörstörungen hinein versetzen und gesprochene Sprache in Deutsche Gebärdensprache übersetzen.

So entstand auch die Idee zu ihrem Facebook-Kanal „Julia macht Gebärdenlieder“, in der sie Popsongs mit Gebärden begleitet. „Ich verstehe mich selbst als Musikerin“, sagt die junge Frau. Dabei zeigt sie den Text nicht vollständig in Gebärdensprache, sondern wählt einzelne Worte und Passagen aus, die die Musik begleiten.

Dabei geht die Bedeutung nicht verloren, gleichzeitig können die Gesten dem Rhythmus der Musik angepasst werden. In der Deutschen Gebärdensprache ist der Satzbau ganz anders, und Wort-Poesie kann dabei verloren gehen, sagt Julia Edler. So möchte sie Musik aus der Welt der Hörenden für Gehörlose zugänglich machen.

Der Zugang zu der Welt der Hörenden ist es, den die Schüler der Carl-Kehr-Schule anstreben. Auf ihre energische Initiative hin erwirkten sie im April 2017 die Umbenennung der Schule von „Förderzentrum für Hörgeschädigte“. Carl-Kehr war ein Pionier in der Taubstummenbildung aus der Region. Der neue Name soll mehr nach einer normalen Schule klingen, sagt Schulleiter Martin Eggert. Seine Schüler erhofften sich dadurch die selben Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie andere.

Julia Edler macht an der Berufsschule Elbingerode eine Ausbildung zur Erzieherin. Sie möchte ihr Hobby, das Gebärdendolmetschen, zum Beruf machen und in einem integrativen Kindergarten arbeiten, in dem sie in beide Richtungen übersetzen kann.

Auf ihrer Facebook-Seite fragen bereits Lehrerinnen nach Tipps, wie sie Lieder in Gebärdensprache im Unterricht einsetzen können. Die 19-Jährige geht deshalb heute selbstbewusst mit ihrer Beeinträchtigung um. Als sie beim Vorstellungsgespräch für die Ausbildung gefragt wurde, ob sie sich den gemeinsamen Unterricht mit Hörenden zutraue, zögerte sie nicht, es zu bejahen. Hin und wieder hat sie noch Probleme bei Nebengeräuschen, dem Unterricht dagegen folgt sie problemlos.

Nicht jeder hatte so viel Glück. Klassenkameraden von ihr berichteten 2017, sie wären bei Vorstellungsgesprächen abgestempelt und auf ihre Behinderung reduziert worden.

„Ich hatte Glück. Ich bin in einer Familie mit Hörenden aufgewachsen“, sagt die Berufsschülerin heute. Bis sie fünf Jahre alt war, war die Hörschädigung gar nicht fest gestellt worden. Sie hatte nicht gesprochen, wenig gehört. Als eine Hals-Nasen-Ohrenärztin die Krankheit feststellten, waren ihre Eltern erleichtert. „Innerhalb eines Jahres habe ich alle Sprachkenntnisse aufgeholt“, sagt die junge Frau nicht ohne Stolz.

Trotzdem gab es auf der staatlichen Schule immer wieder Probleme, die Klassen waren zu groß, die Nebengeräusche deshalb zu laut. Am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte, heute Carl-Kehr-Schule, ging es ihr deutlich besser.

Am Förderstatus der Schule hat sich durch die Umbenennung nichts geändert. Noch immer haben hier Schüler aus ganz Sachsen-Anhalt mit verschiedensten Formen der Hörschädigung die Möglichkeit, einen Schulabschluss bis zur neunten oder zehnten Klasse zu erwerben. Im Land gibt es nur noch ein zweites solches Zentrum in Halle. Auf Grund der großen Entfernungen haben beide Schulen ein Internat. Dadurch bleiben die Schüler jedoch sehr unter sich, so Edler.

Die meisten ihrer Freunde sind ehemalige Schulkameraden, die jetzt wieder im ganzen Bundesland verstreut leben oder fort gegangen sind. In der Welt der Hörenden findet sie wenig Anschluss, trotz ihres vergleichsweise guten Anpassungsfähigkeit. Sie braucht im Gespräch lediglich mehr Blickkontakt als andere Menschen.

Von der anderen Seite gibt es aber auch Schwierigkeiten: Manche Gehörlose empfinden es als wichtig, eine eigene Identität zu entwickeln statt sich an eine hörende Welt anzupassen. Sie verurteilen deshalb die Operation mit Implantanten. Julia selbst, obwohl dankbar für ihr Gehör, hätte sich selbst heute nicht unbedingt für die Implantate entschieden: „Sie bereiten mir einmal am Tag Kopfschmerzen“, sagt sie. „Aber das muss jeder selbst entschieden. Ich hoffe, dass sich die beiden Welten irgendwann miteinander verbinden“.

Den Video-Kanal finden Sie hier.