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Domprediger Giselher Quast erinnert sich an kirchliche Jugendarbeit in der DDR und deren Verfolgung durch den Staat. Von Fabian Böker Junge Gemeinde: "Oft wie ein Spießrutenlauf"

16.03.2013, 01:17

Selbst gestaltete Gottesdienste, große Ausflüge, regelmäßige Gesprächsabende. So sah kirchliche Jugendarbeit in der DDR aus. Dem Staat war das ein Dorn im Auge. Eine Ausstellung widmet sich nun der Jungen Gemeinde, deren Leiter in Magdeburg Giselher Quast war.

Magdeburg l Es ist der 9. Oktober 1989. Etwa 4500 Menschen, darunter viele Jugendliche, haben sich im Magdeburger Dom zum Montagsgebet versammelt. Rund um die Kirche sind 10000 Sicherheitskräfte aufgezogen, ausgestattet mit einem Schießbefehl. Im Dom tritt ein Jugendlicher ans Mikrofon und bringt seine Angst zum Ausdruck, mit seinem Vater, der für die Kampfgruppe seines Betriebes im Einsatz ist, und dessen Schlagstock aneinander zu geraten. Doch dazu kommt es nicht, der Abend verläuft friedlich.

Für Giselher Quast, damals schon Domprediger und Leiter der Jungen Gemeinde, war dieser Abend mit seiner Gewaltlosigkeit der Höhepunkt der Vorwendezeit. Eine Zeit, in der die Mitglieder der Jungen Gemeinde als Opposition betrachtet und verfolgt wurden. Eine Zeit, an die Quast noch heute oft zurückdenkt.

"Beleidigungen wie Pastorschwein waren Alltag."

Im Grunde sei die Junge Gemeinde gar keine Organisation gewesen, erinnert sich Giselher Quast. Unter dem Begriff wurde einfach die Jugendarbeit der evangelischen Kirche in der DDR zusammengefasst. Die entstand schon direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wurde den Jugendlichen ein Raum geboten, in dem sie "ohne Zensur und Zwang unabhängig denken und das auch aussprechen konnten", fasst Quast zusammen, was die Jugendlichen an den Jungen Gemeinden fasziniert hat.

Auch er selbst konnte sich dem nicht entziehen, schon in den 1960er Jahren in Magdeburg-Neustadt kam der 1951 geborene Pfarrersohn Quast in Kontakt mit der kirchlichen Jugendarbeit. "Meine Schulzeit glich oft einem Spießrutenlauf", berichtet der Domprediger. Beleidigungen wie "Pastorschwein" - ausgesprochen auch von Lehrern - seien Alltag gewesen. Zudem sei das Bekenntniszeichen der jungen Menschen, ein Kugelkreuz, oft von Lehrern oder Mitschülern zerstört worden. Giselher Quast aber hat das Zeichen schon früh auch als Symbol für Opposition verstanden. Er fühlte sich wohl, fernab des staatlichen Einflusses Jugendgottesdienste mit zu organisieren oder bei den wöchentlichen Jugendabenden dabei zu sein. Diese und weitere Programmpunkte der Jungen Gemeinde wurden von den Jugendlichen selbst erdacht und gestaltet.

Der DDR aber war diese Arbeit ein Dorn im Auge. Von Walter Ulbricht ist das Zitat überliefert, dass die Junge Gemeinde "schlimmer ist als junge Sozialdemokraten. Sie ist bereit, Verbrechen zu begehen". Giselher Quast kann über diese Einschätzung nur schmunzeln. "Wenn die DDR-Führung das Erstellen von eigenen Liederheften oder gemeinsame Ausflüge, zum Beispiel über Himmelfahrt, als Verbrechen bezeichnet hat, fällt mir dazu nur noch wenig ein", so Quast im Rückblick.

Doch die Konsequenzen dieser Einschätzung bekamen die Jungen Gemeinden im Land schnell zu spüren. So veröffentlichte die Junge Welt, Parteiorgan der SED, schon in den 1950er Jahren eine Sonderausgabe, die zweifelsohne als Hetzblatt gesehen werden konnte. Überschriften wie "Junge Gemeinde - Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage im USA-Auftrag" sprechen für sich.

Auch die Staatssicherheit interessierte sich für die Jungen Gemeinden und insbesondere für deren Leiter. Giselher Quast trat nach absolviertem Studium in Naumburg - in Halle wurde er aufgrund seines kirchlichen Engagements abgelehnt - in den 1970er Jahren seine erste Pfarrstelle in Eilenburg an, 1979 wechselte er als Dompfarrer nach Magdeburg. An beiden Standorten leitete er die Jugendarbeit.

Aufgrund einer, wie es im entsprechenden Jargon hieß, "pazifistischen Beeinflussung von Jugendlichen" wurde er 1983 der ersten Operativen Personenkontrolle unterzogen. 1988 folgte die nächste, insgesamt - so erfuhr es Quast später aus seinen Stasi-Akten - waren im Laufe der Jahre 30 Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit auf ihn angesetzt. "Ein Pfarrer also, der seine kriegshetzerische Tarnorganisation pazifistisch unterwandert" - so fasst Quast die mitunter abstrusen Vorwürfe ihm und seiner Gemeinde gegenüber zusammen.

"Die Kirche war die letzte Kneipe, die noch offen hatte."

Doch egal, wie sehr die Arbeit der Jungen Gemeinden verfolgt und torpediert wurde, nicht nur in Magdeburg ließen sich Jugendliche und Leiter davon nicht unterkriegen. Und so zählt es für Quast bis heute zu den Höhepunkten seiner Jugendarbeit, wenn er an die Mitternachtsmessen an Heiligabend denkt.

Bis zu 3000 vor allem junge Menschen hatten sich jedes Jahr im Dom versammelt. Einige sahen die Kirche zwar einfach nur als "die letzte Kneipe, die noch offen hatte", berichtet Quast. Aber für ihn und seine Mitstreiter waren es ganz besondere Abende, die Jugendliche zusammenbrachte. Abende, an denen sie sich frei fühlten.