Invalidenrentner aus Magdeburg erst im zweiten Anlauf in U-Haft Justiz untätig: Kinderschänder schlägt wieder zu
Mehrere Kinder sind möglicherweise missbraucht worden, weil ein Staatsanwalt in Halle einen geständigen Kinderschänder nicht weiterverfolgt hat.
Magdeburg l Der Fall wurde im Juli 2009 bekannt. Ein damals 60 Jahre alter Magdeburger wurde angezeigt, weil er kinderpornografische Darstellungen besitzen soll. Außerdem wurde er verdächtigt, in seiner Wohnung Kinder sexuell zu missbrauchen. Dabei soll es sich um zwölf Fälle gehandelt haben - um Jungen unter 14 Jahren, alle aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis.
Am 22. Juli wurde seine Wohnung durchsucht. Anwesend war sein Enkel. Später stellte sich heraus, dass der Junge eines der Opfer war. Es wurden Bilder und Datenträger beschlagnahmt. Kurt B. wurde vorläufig festgenommen. Der Staatsanwalt ordnete an, ihn dem Haftrichter vorzuführen.
Der Tatverdächtige wurde von einem Rechtsmediziner untersucht und wegen einer kurz zuvor erfolgten Bypassoperation für "nicht gewahrsamstauglich" befunden. Die Staatsanwaltschaft hob die Festnahme des laut Justizministerium "im Wesentlichen geständigen Mannes" auf. Andreas Schieweck, Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle, beurteilt die damalige Situation heute so: "Der Staatsanwalt hat seinen Ermessensspielraum ausgeschöpft, er hat keine Haftgründe gesehen. Hinterher ist man immer schlauer." Eine Sprecherin des Justizministeriums: "Es ist nachvollziehbar, ihn nicht in U-Haft genommen zu haben."
Es verging aber ein Jahr, ehe alle sichergestellten Speichermedien, die kinderpornografische Darstellungen enthielten, ausgewertet waren. "Im Juli 2010 waren die Ermittlungen abgeschlossen", bestätigte Halles Leitender Oberstaatsanwalt Jörg Wilkmann gestern. Doch der Fall blieb weiter liegen. Erst als im September 2011 - also 14 Monate später - eine Dienstaufsichtsbeschwerde durch einen in dieser Angelegenheit involvierten Rechtsanwalt bei der Justiz einging, kam wieder Bewegung in die Sache.
"Etwas durchgerutscht"
Wilkmann begründet die lange Zeitdauer damit, dass dem zuständigen Sachbearbeiter, Oberstaatsanwalt Peter Vogt, "etwas durchgerutscht" sei. Warum? Das wollte Wilkmann nicht kommentieren. Und Vogt selbst erklärte auf Volksstimme-Nachfrage: "Ich habe mich dazu gegenüber meiner vorgesetzten Dienststelle geäußert. Mehr sage ich dazu nicht."
Als der Fall unbearbeitet bei der Justiz lag, nämlich im Sommer/Herbst 2011, soll Kurt B. dann erneut Kinder missbraucht haben. In fünf Fällen, so der Vorwurf der inzwischen zuständigen Magdeburger Staatsanwaltschaft. In Magdeburg ging man die neuerlichen Fälle allerdings anders an, und B. kam am 28. Oktober 2011 in Untersuchungshaft.
Der Untersuchungshäftling wird aufgrund seiner acht Bypässe in der Haft ärztlich betreut. In Justizkreisen heißt es, das wäre auch schon im Juli 2009 möglich gewesen. Es gebe gute Haftkrankenhäuser, in denen gesundheitlich angeschlagene Täter jede Art medizinischer Hilfe bekämen.
Das Justizministerium hat vor etwa zwei Wochen einen Bericht vom Generalstaatsanwalt in Naumburg angefordert, der inzwischen auch vorliegt. Das Ministerium sieht nach Angaben einer Sprecherin keinen Grund für disziplinarrechtliche Schritte.