Landeselternratschef Kämpfer gegen den Lehrermangel
Als Sprecher einer Volksinitiative sorgte Thomas Jaeger für Aufsehen im Landtag. Doch wer ist dieser Mann? Ein Besuch in Naumburg.
Magdeburg l Da stand er nun also – allein – hinterm Rednerpult im Landtag. Die Augen von 80 Abgeordneten und Kameras auf ihn gerichtet. Führungsaufgaben und Sprecherrollen, all das kennt Thomas Jaeger. Vor diesem Auftritt aber war er besonders aufgeregt, sagt er.
Doch er war auch vorbereitet. Jaeger ist Chef des Landeselternrats und Mitglied der Volksinitiative für mehr Lehrer in Sachsen-Anhalts Schulen. Seit Mai sammelte das Bündnis aus Gewerkschaften, Verbänden und der Partei Die Linke mehr als 77.000 Unterschriften für ihre Ziele. Damit erstritt die Initiative das Recht, einen Vertreter im Parlament sprechen zu lassen. Die Wahl fiel auf den Naumburger Thomas Jaeger. Um für Aufmerksamkeit zu sorgen, hatte er 20 Minuten. „Das Schulwesen brennt“, dieser Satz wird in Erinnerung bleiben. Jaegers Forderung vor den Parlamentariern: nicht weniger als eine radikale Umkehr in der Bildungspolitik. So schnell wie möglich müsse das Land etwa 1000 Lehrer und 400 pädagogische Mitarbeiter extra einstellen.
Eine gute Rede, befanden Zuhörer danach. „Ich habe einen super Tag erwischt“, sagt Jaeger selbst, heute – drei Wochen später. Doch wer ist der Mann hinter der Rede und was treibt ihn an? Ein Besuch in seiner Heimat soll Klarheit bringen.
Um die Rolle als Sprecher habe er sich nicht gerissen, erzählt der 50-Jährige in seinem Büro. Im Naumburger Gewerbegebiet betreibt er in einem flachen Gebäude einen Wohnmobil-Verleih. Zu seinem zweiten Leben als Landeselternratschef sei er eher zufällig gekommen, sagt der vierfache Vater. Alles begann mit der Einschulung seiner ersten beiden Kinder. Damals war der gelernte Baufacharbeiter mit Abitur noch Unternehmer im Fliesengroßhandel. „Ich hatte Filialen in Valencia und Kiew“, erzählt er. Quartalsweise lebte die Familie in Spanien und der Ukraine. Die Kinder kamen früh in Kontakt mit den fremden Kulturen.
Jaeger fand Gefallen an der Internationalität. „Zurück in Naumburg habe ich mir gewünscht, dass es bei uns einen Schüleraustausch gibt“, sagt er. Er stieg also in den Elternrat der Schule seiner Kinder ein. Das neue Hobby allerdings entwickelte rasch eine Eigendynamik. Binnen zweier Monate wurde Jaeger über den Kreiselternrat Mitglied des Landeselternrats, heute sitzt er auch im Hauptausschuss des Bundesgremiums.
In die Funktionen habe er sich nie gedrängt, er sei gebeten worden, betont Jager. Mit dem Aufstieg wandelten sich zugleich die Probleme. Ging es anfangs um sein persönliches Anliegen, den interkulturellen Austausch, wurde Jaeger schnell mit Grundlegenderem konfrontiert.
Vor allem mit dem zunehmenden Personalmangel in Sachsen-Anhalts Schulen. Der sei heute so groß wie noch nie, sagt Jaeger. Zwar hätten auch andere Bundesländer ihre Probleme. Sachsen-Anhalt sei dennoch ein besonderer Fall. Die Entwicklung sei selbst verschuldet. Den Ausschlag hätten die Sparpolitik des früheren Finanzministers Jens Bullerjahn (SPD) und die Schwäche seines Kultusministers Stephan Dorgerloh (SPD) gegeben. „Das Fehlen von Lehrern wurde über Jahre einfach negiert. An den Folgen werden wir noch lange zu knabbern haben“, glaubt Jaeger. Die Verantwortlichen hätten wider besseres Wissen gehandelt.
Der Elternratschef braucht keine Erhebungen zu Ausfällen, um das zu belegen. Der Nachweis liegt vor ihm auf dem Tisch – es ist sein Handy. Als Anbieter eines Sorgentelefons ist er Ansprechpartner für Eltern bei Problemen in den Schulen. In letzter Zeit klingelt das Telefon häufiger, sagt er. Statt der früher üblichen 10 erhält er bis zu 60 Anrufe im Monat. Hinzu kämen fünf bis acht offene Briefe von Schulen im Land.
„Der absolute Schwerpunkt der Anrufe sind Lehrermangel und Unterrichtsausfall“, sagt er. Der Satz: ‚Das Schulwesen brennt‘, sei deshalb keine Übertreibung gewesen. Jaeger überlegt kurz, um die Lage in ein passendes Bild zu übersetzen: „Von den Notfällen werden nur noch die Intensivfälle behandelt“, sagt er schließlich. Natürlich spreche er auch für seine Kinder, sagt der Vater. Drei von ihnen gehen noch zur Schule. Vom aktuellen Bildungsminister Marco Tullner (CDU) erwartet Jaeger dann auch vor allem eines: „Er muss zunächst doch mal die Wahrheit über die Situation sagen“, fordert der Elternratschef.
Jaeger hat Hoffnung, dass das geschieht und Lösungen folgen. Doch er hat auch einen Plan B. Am Donnerstag befassen sich die Landtagsausschüsse wieder mit dem Anliegen der Volksinitiative. Anfang des Jahres berät der Landtag dann abschließend über die Forderungen. „Wir hoffen, dass man uns entgegenkommt“, sagt der Vater. Falls nicht, ist er bereit, weit zu gehen. Im Zweifel kommen ein Volksbegehren und sogar ein Volksentscheid infrage. „Die nötigen Stimmen bekämen wir sicher zusammen.“
Am Abend nach dem Gespräch wird das Handy wieder klingeln. Der Fall: „ein Klassiker“, wird Jaeger am Tag danach sagen. Am Telefon – eine Mutter aus Quedlinburg. Sie hat Angst um die Versetzung mehrerer Kinder, weil am Gymnasium reihenweise Unterricht ausfällt.
Solchen Eltern kann Jaeger bislang eher moralisch helfen. „Wir bitten sie, uns eine Mail zu schreiben, prüfen sie und leiten sie als Anfrage ans Ministerium weiter.“ Von solcher Machtlosigkeit hat der Elternratschef genug, er will, dass sich endlich etwas ändert. „Ich bin angetreten, um die Missstände anzugehen."