Sachsen-Anhalt belegt mit 16000 Faschingsfreunden bundesweit den achten Platz / Vereine haben Nachwuchssorgen. Von Ragna Iser Karneval: Wau wau, Otto Alaaf und KU-KA-KÖ
Köthen führt mit 280 Mitgliedern die Vereine an, die Walbecker haben sich in ihrer Geschichte gleich zweimal gegründet - Sachsen-Anhalt muss sich scheinbar in Sachen Karneval nicht hinter dem Rheinland verstecken. Ein anderes Bild herrscht hingegen in der Landeshauptstadt. Zwei Vereine kämpfen ums Überleben.
Magdeburg l Die Narren sind los! - heißt es im Februar. Als Karnevalshochburg ist eigentlich das Rheinland bekannt. Sachsen-Anhalt hat aber keinen Grund, sich zu verstecken, meint Dirk Vater, Vorsitzender des Karneval-Landesverbandes (KLV) Sachsen-Anhalt. Immerhin liegt der KLV nach seinen Mitgliederzahlen deutschlandweit von 35 Regionalverbänden auf dem achten Platz, bestätigt auch Volker Wagner vom Bund Deutscher Karneval. "Nur Thüringen ist in Ostdeutschland noch vor uns", betont Vater.
187 Vereine mit 16000 Mitgliedern sind in dem Landesverband des Karnevals zusammengefasst. "Die Zahlen sind in den letzten Jahren stabil", berichtet der Vorsitzende. Natürlich gäbe es mal Ausreißer oder einen Führungswechsel, alles in allem sei der KLV aber gut aufgestellt. "Und darauf bin ich stolz", so Dirk Vater mit Nachdruck.
Eine Mitgliedschaft im KLV ist für die einzelnen Vereine keine Pflicht. Wie viel Karnevalsvereine es in Sachsen-Anhalt folglich insgesamt gibt, weiß Vater nicht genau. Dies kann er nur schätzen. "Vermutlich sind zehn bis 15 Prozent der Vereine unorganisiert."
"Wir haben zwar eine Fluktuation, aber auch steten Nachwuchs."
Der stärkste Verein im KLV ist die 1. Köthener Karnevalsgesellschaft 1954 mit etwa 280 Mitgliedern. Von konstanten Zahlen spricht auch Vorsitzender Patrick Lange. "Wir haben zwar eine Fluktuation, aber auch steten Nachwuchs. Es gleicht sich also wieder aus." Nichtsdestotrotz hätten die Karnevalisten genauso wie jeder andere Verein unter Faktoren wie der Wirtschaftskrise zu leiden. "Wenn der Gast es nicht so dicke hat, dann spiegelt sich das bei unseren Veranstaltungen wider."
Damit rechnet der Köthener auch in diesem Jahr: Die Session beginnt nach den Winterferien, wegen Urlaubsplänen hätten die Menschen weniger Geld, "da müssen wir wieder sehen, wie wir die Veranstaltungen vollbekommen".
Dabei wirbt die 1. Köthener Karnevalsgesellschaft mit einigen Höhepunkten, wofür sie auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist: Weiberfastnacht am 7. Februar, zwei Tage später gefolgt von der Prunksitzung und der große Rosenmontagumzug am 11. Februar.
Trotzdem geht es den Köthenern nicht schlecht, betont Lange. Die Gründung des Vereins und des Schlachtrufes "KU-KA-KÖ" ist 58 Jahre her, in diesem Jahr wird der 25. Rosenmontagumzug gefeiert. "Wir haben gutes Potential."
Was der Präsident damit meint: Eine Vielzahl der Mitglieder ist zwischen drei und 16 Jahren. Und selbst zwischen 20 und 30 Jahren verzeichnet der Verein genügend Anhänger - und dass, obwohl Lange dieses Alter als "klassische Problemzone" bezeichnet: Viele Mitglieder treten wegen Umzugs, bedingt durch Ausbildung, und Studium aus den Vereinen aus.
Eine gute Karnevalbilanz zum deutschlandweiten Vergleich bescheinigt Lange Sachsen-Anhalt trotzdem. Im Rheinland sei Karneval über Jahrhunderte gewachsen, "die Lieder können die Kölner vermutlich schon im Schlaf singen. Dieses Phänomen haben wir in den neuen Bundesländern nicht". In der DDR sei Karneval "ein Reliefenprodukt" gewesen. 1959 löste sich der Köthener Verein auf. 1992 wurde er wiedergegründet.
Der Aschermittwoch wird deshalb laut dem Köthener von den Wenigsten in Ostdeutschland gefeiert. Neben dem fehlenden Traditionsbewusstsein nennt der Vorsitzende dafür noch einen Grund: Karneval ist und bleibt in der Region ein Hobby. Viele Narren nehmen sich am Rosenmontag Urlaub, müssten am Mittwoch aber wieder arbeiten. "Die Meisten können es sich nicht erlauben, fünf Tage zur Narrenzeit frei zu machen."
"Wenn man eine Frau aus Walbeck hat, braucht man keinen Hund."
Zuletzt ist der Walbecker Karnevalsclub 2012 dem KLV beigetreten. Trotz der Gründung im letzten Jahr ist der Verein schon um einiges älter: Unter anderem Namen blicken die Walbecker (Landkreis Börde) auf eine etwa 33-jährige Tradition zurück. Wegen Finanzproblemen des früheren Vereins wurde der Walbecker Karnevalsclub gegründet. Die etwa 70 Mitglieder sind sozusagen "umgezogen". Die Altersspanne reicht von 6 bis weit über 70 Jahre.
In diesem Jahr lautet das Motto "Walbecker Hund lässt sich das Bellen nicht verbieten". Hintergrund dafür ist der Ärger mit Anwohnern wegen vermeintlicher Ruhestörung durch die Karnevalisten. Im letzten Jahr hieß das Motto "Walbecker Hund steigt auf" - wegen der Aufstiege des Tischtennis- und des Fußballvereins in jeweils höhere Ligen.
Aber warum sind die Karnevalisten auf den Hund gekommen? "Wenn man eine Frau aus Walbeck hat, braucht man keinen Hund", zitiert der Vorsitzende ein traditionsreiches Sprichwort der Region. Den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit winkt Wetteborn ab. "Das darf man nicht so eng sehen", meint er.
An Rosenmontag selbst haben die Walbecker nur ein vereinsinternes Programm. An den drei Sonnabenden zuvor wird stattdessen laut "Walbeck, wau, wau" gerufen. Für die Kleinen ist am 3. Februar Kinderfasching geplant.
Etwa 55 Kilometer weiter, in der Landeshauptstadt, ist die Situation eine andere. 20 Mitglieder zählt Vorsitzender Volker Klotsche bei den Ottojanern. Im Vergleich zu den letzten Jahren ein Rückgang, der Nachwuchs fehlt. Der Großteil der Mitglieder sei zwischen 40 und 60 Jahren alt, nur eines unter 30. Unterstützung bekommen die wenigen Mitglieder von Freunden: Sie gestalten die Feiern, stellen Tanz- und Aufbaugruppen. "Ohne die Helfer könnten wir keinen Karneval auf die Beine stellen", gibt Klotsche zu. Gedanken, die Ottojaner aufzulösen, hegt er aber nicht.
"Dafür sind wir zu sehr Karnevalisten von Kopf bis Fuß." In den Abwärtsstrudel sind sie trotzdem schon geraten: Zum ersten Mal findet 2013 in Magdeburg kein Kinderfasching statt. Die Veranstaltung könnten die Mitglieder nicht mehr stemmen. Zuletzt wurde der Karneval für die Knirpse nur noch dank Sponsoren finanziert. Der Kostenfaktor für Veranstaltungen werde aber immer höher, beklagt Klotsche. Von der Stadtverwaltung Magdeburg gäbe es schon lange keine Unterstützung mehr.
"Karneval in Magdeburg nichts Besonderes."
Nun muss es ohne Kinderkarneval gehen. Im Alten Theater wird am 8. und 9. Februar trotzdem gefeiert, mit dem Schlachtruf "Otto Alaaf". Diesjähriges Motto: "Yes, we can.tern", um die Öffentlichkeit für die Probleme des Vereins zu sensibilisieren.
Die Ottojaner setzen dabei wie gewohnt auf eine Mischung aus Tradition und Moderne - obwohl Klotsche in dem Fortschritt der Zeit den Rückgang der Karnevalfreunde in Magdeburg begründet sieht. Früher sei die Narrenzeit eine Möglichkeit gewesen, "anders zu sein". Dies könnte man nun aber das ganze Jahr. Einen weiteren Grund für den fehlenden Nachwuchs sieht Klotsche an Magdeburg selbst. Die Großstadt habe jedes Wochenende einen Partymarathon zu bieten. "Karneval ist hier im Gegensatz zu den Dörfern nichts Besonderes."
Die Angst vor dem Aus wird er vermutlich nie ablegen, wenn es nicht bergauf geht. Für Klotsche ein abschreckendes Beispiel ist der Magdeburger Carneval Club (MCC). Das Gerücht, dass sich der Verein auflösen will, dementiert Torsten Siebert vom MCC zwar. Auftritte und Veranstaltungen sind allerdings auf Eis gelegt, zuletzt standen die Mitglieder 2010 auf der Bühne. Auf die Frage, wie es mit dem Verein weitergeht, kann Siebert nichts Konkretes sagen. Eine Möglichkeit wäre, mit anderen Karnevalvereinen zu kooperieren - "das ist aber noch nicht spruchreif".
Die Ursache für die Situation des MCC sieht Siebert in dem fehlenden Engagement der Magdeburger, als Karnevalmuffel möchte er sie aber nicht bezeichnen. "Die Veranstaltungen waren immer gut besucht", betont Siebert. Wie auch bei den Ottojanern mangle es am Nachwuchs.