1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Keiner wird zurückgelassen

Suche nach US-Soldaten Keiner wird zurückgelassen

Rund um Magdeburg suchen Experten nach abgestürzten Weltkriegsbombern und deren Insassen. Sie sollen nach Hause gebracht werden - 70 Jahre nach Kriegsende.

Von Thomas Rauwald 02.06.2015, 03:30

Lostau l Im Auftrag der Regierung in Washington hat ein Team von US-amerikanischen Soldaten, die von Historikern, Forschern und Analysten unterstützt wurden, jetzt im Jerichower Land nach verunglückten Fliegern aus dem Zweiten Weltkrieg gesucht. Sie sollen nach Hause gebracht werden - 70 Jahre nach Kriegsende.

Denkmalpfleger Klaus-Dieter Uschmann steht an einem Waldrand bei Lostau. Sein Blick geht hinüber nach Hohenwarthe: "Eine viermotorige amerikanische Maschine der Luftwaffe näherte sich, schon tief fliegend, einem Waldstück bei Lostau. Das war am frühen Nachmittag des 28. Mai 1944." Die Historikerin Nicole Rothon aus den USA macht sich in einem kleinen Büchlein Notizen. Analyst Nick Deep hört aufmerksam zu. Nach einer Karte vom beschriebenen Gebiet kramt in seiner Tasche der Luftkriegsforscher Jörg Dietsche, faltet sie auf der Motorhaube eines Jeeps auf.

Uschmann weiß, dass an jenem Tag die 8. Amerikanische Luftwaffe Angriffe auf Hydrierwerke in ganz Deutschland geflogen hatte. Das Ziel der Lostauer Maschine war die BRABAG in Magdeburg-Rothensee. Dort wurde Flugzeugtreibstoff hergestellt. Das Flugzeug - eine B-17 42-31985, mit Robert G. Tabeling als Navigator an Bord, - hatte über dem Barleber See Treffer von Abfangjägern erlitten. Drei der zehn Besatzungsmitglieder konnten sich mit dem Fallschirm retten. Alle anderen kommen um oder gelten als vermisst. Das Schicksal von Navigator Second Lieutenant Robert G. Tabeling ist bisher nicht gekla¨rt.

Die drei Überlebenden versuchten, die amerikanischen Linien zu erreichen, gerieten aber bei Barleben in Gefangenschaft. Cosgrove, Buntin und Czyz wurden zusammen mit Besatzungsmitgliedern einer am selben Tag bei Barleben abgestu¨rzten Maschine in Gewahrsam genommen. Cosgrove wurde aufgrund seiner Verletzungen zum Reserve-Hospital nach Magdeburg (Editharing) gebracht.

Die Maschine - noch reichlich voll mit Kerosin und stattlich aufmunitioniert - bohrte sich wenig später mit einem gewaltigen Feuerball in den Lostauer Sand. Am 31. Mai 1944 wurden fünf Besatzungsmitglieder auf dem Friedhof Hohenwarthe bestattet. Unter ihnen sind Pilot Ingram, Copilot Banks, Salmons und zwei unidentifizierte Leichen. Funker Czerpak wurde erst einen Monat spa¨ter gefunden - als verweste Leiche - bei Ko¨rbelitz, an der Straße nach Pietzpuhl. Erst am 26. Juni erfolgte die Beisetzung auf dem Gemeindefriedhof in Ko¨rbelitz. Zwei Besatzungsmitglieder, Lewis und McKee, wurden in den 50er Jahren in die Niederlande umgebettet.

Ob sie es tatsächlich sind, kann aber angezweifelt werden, sagt Andreas Hirte, Fachmann für Luftkrieg in der Region Magdeburg beim Kultur- und Heimatverein Magdeburg. "Es könnte sein, dass sie auch noch irgendwo bei Lostau liegen."

Bodendenkmalpfleger Uschmann übergibt den amerikanischen Forschern Briefe und eine CD mit weiteren Fakten. Das Team verspricht, eiligst Kopien zu fertigen und die Originaldokumente unverzüglich zurückzugeben.

"Für jede dieser Informationen, die wir hier vor Ort so zahlreich sammeln, sind wird dankbar", sagt Luftkriegsforscher Jörg Dietsche. Es erhöhe die Chance, mit der Suche erfolgreich zu sein. Man wisse aber auch, dass nicht alle Flugzeuge, die zwischen Biederitz, Gerwisch, Lostau und Hohenwarthe abgestürzt sind, amerikanische Kriegsmaschinen waren. Man ziehe ins Kalkül, dass die Augenzeugen, die es heute noch gibt, auch irren können. "Die Ereignisse liegen immerhin 70 Jahre zurück".

Es gebe viele Informationen, die noch geprüft werden müssen, erklärt Historikerin Nicole Rothon. Die Suchtrupps interessieren lediglich jene Flugzeuge, bei denen sie noch Vermisste vermuten. Insbesondere eines, bei dem auch der Name des vermissten Besatzungsmitgliedes bekannt ist - eben jener Robert G. Tabeling. Eindeutige Hinweise auf genau diese Maschine haben die Amerikaner bis jetzt noch nicht.

In den Elbauen ist das Suchteam aber fündig geworden. Hier soll nach Augenzeugenbericht ein B 17-Bomber abgestürzt sein. Der Boden wird mit Detektoren abgesucht. Der Kampfmittelbeseitigungsdienst ist mit vor Ort. Wo das Aggregat ausschlägt, wird ein blaues Fähnchen in den Boden gesteckt. Das Grabungsteam findet Metallteile, Patronenhülsen, Geschosse. Ob sie wirklich zum gesuchten Flugzeug gehören, wird sich noch herausstellen. Vielleicht ist es auch eine englische Maschine.

Am günstigsten ist es, wenn man Metallteile findet, auf denen sich Nummern oder andere Kennungen befinden. Dann wird ein Foto an die Zentrale in den USA gemailt, dort analysiert und das Ergebnis dem Team mitgeteilt. Handelt es sich tatsächlich um ein gesuchtes Objekt, kommen die amerikanischen Soldaten mit einer Genehmigung, nach ihrem vermissten Kameraden zu graben, zurück.

Das kann möglicherweise noch ein paar Jahre dauern. "Wir erfüllen hier einen Auftrag, den die amerikanische Regierung der amerikanischen Armee gestellt hat", macht Commander Greg Lynch, der Teamchef, deutlich. "Es ist für uns eine Verpflichtung, die vermissten Kameraden zu finden. Sie haben für uns ihr Leben gegeben. Und deshalb hören wir nicht auf, bis wir alle gefunden haben."

Und die Uhr tickt. Die Angehörigen dieser Soldaten hätten selbst nun ein hohes Alter erreicht, sagt der Marines-Captain. Sie wünschten sich sehnlichst, noch zu erleben, ihre toten Angehörigen in heimischem Boden bestattet zu wissen.

"Wenn wir die Überreste eines Soldaten finden und in die USA überführen, dann findet die Bestattung mit militärischen Ehren statt", sagt Greg Lynch. So wie für jeden US-amerikanischen Soldaten, der in einem Krieg fällt. Nach den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges wird intensiver erst seit den 90er Jahren gesucht, erläutert Lynch. Damals entstand eine spezielle Einheit aus Soldaten aller Waffengattungen, mit Historikern und Analysten sowie Dolmetschern. Die Organisation hat auf Hawaii ihren Standort und nennt sich Defense Prisoner-of-War/Missing-in-Action Accounting Agency (DPAA).

Insgesamt sind zwischen Lostau und Hohenwarthe acht Forscher zehn Tage lang auf Spurensuche gewesen, haben gegraben, haben Zeitzeugen, Chronisten und Augenzeugen befragt. In Biederitz unter anderem den Mitautoren der Biederitzer Chronik Richard Borns, in Lostau Karin Lauenroth, Klaus-Dieter Uschmann und Pfarrer Albrecht Neumann, in Hohenwarthe Ruth Storch und Gerhard Lenz.

Auch wenn es bis jetzt noch keine eindeutigen Hinweise auf die gesuchte Maschine gibt, ist Greg Lynch den vielen Helfern in den Ortschaften dankbar für ihre Mitarbeit. Es habe in der Region um Magdeburg sehr viele Abstürze gegeben. Die Vielzahl der Funde und Hinweise erschwere natürlich eine schnelle eindeutige Identifikation eines bestimmten Objektes. Aber es bleibe dabei: "Wir geben erst auf, wenn wir unseren vermissten Kameraden gefunden haben. Das sind wir ihm schuldig."