Kino: Der Film geht, und mit ihm viele Vorführer
35 Millimeter breit ist er und 120 Jahre alt. Doch die Zeit des beidseitig gelöcherten Filmstreifens geht zu Ende. Cinemaxx in Magdeburg zieht bis Juni alle alten Projektoren aus dem Verkehr. Auch die Filmvorführer müssen gehen. Ersetzt werden sie durch ferngesteuerte Digitalmaschinen.
Magdeburg l Über dem Arbeitstisch von Holger Lehmann hängen alte Filmplakate. Hape Kerkeling im zerknautschten Trenchcoat als Horst Schlämmer. Lehmann, Filmvorführer im Magdeburger Cinemaxx, blickt auf den Filmstreifen vor sich und dreht dann mit der Hand die aufgehängte Filmrolle zu seiner Linken. Er muss noch "Akte zusammenkleben". So nennen die Filmvorführer das Zusammenfügen eines Filmes zu einer 20 Kilogramm schweren Rolle, die dann auf großen Stahltellern abspielbereit liegt.
Das Zusammenkleben muss sein, weil die Filme in mehreren Rollen geliefert werden. Bis zu 30 Kilogramm schwer ist die Kiste eines Films, die von der Spezialspedition immer in der Nacht vor dem Kinostart am Donnerstag angeliefert wird. Diese Kisten in der Nacht, das Kleben im Projektionsraum, das Rattern des Films über die Ankerrollen an der Wand - das alles wird es bald nicht mehr geben. "Im Sommer ist für mich Schluss hier", sagt Lehmann. Im Service könnte er arbeiten. Popcorn verkaufen. "Das will ich nicht", so der gelernte Maschinen- und Anlagenmonteur.
An der Wand neben Vorführer Lehmann stehen zwei großen Rollen eines Filmes, der den ganzen Wandel der Kinobranche sehr gut vor Augen führt: "Hobbit" von Peter Jackson. "Der hat nicht auf eine Rolle gepasst. Zu lang", sagt Lehmann. Die beiden Rollen lassen sich kaum anheben, so schwer sind sie.
Der Film "Hobbit" wird im Cinemaxx in einer analogen (Filmrolle) und zwei digitalen (Filmdatei) Versionen über die entsprechenden Projektoren in mehreren Sälen gezeigt. Von insgesamt neun Projektoren sind bislang noch fünf analog und vier digital. Die Digitalversionen des Films erreichen das Kino auf dem herkömmlichen Postweg. Die verschlüsselte Fimdatei (etwa 150 GB) kommt auf einer handelsüblichen Festplatte in einem Spezialköfferchen. Der Dateischlüssel, der genau regelt, auf welchem Projektor an welchem Tag zu welcher Uhrzeit der Film abgespielt werden kann, kommt per Mail an die Filmtheaterleitung.
Der analoge Film wird in der althergebrachten Art (2-D) gezeigt. Die Digitalversionen laufen ebenfalls in 2-D, aber auch als räumlicher Film (3-D) und bei "Hobbit" als High-Frame-Rate-Film (HFR-3-D).
"Hobbit" ist der erste Hollywoodfilm in HFR. Im Unterschied zum herkömmlichen Film (egal ob digital oder analog) wurde der Film bei HFR mit 48 statt 24 Bildern (engl. Frames) pro Sekunde aufgenommen. So erscheint das Bild flüssiger, was insbesondere in computeranimierten 3-D-Szenen deutlich zu sehen ist. Im Cinemaxx lief die HFR-Version in einem Kinosaal, weil bislang erst einer der Digital-Projektoren über Updates und Neujustierungen die Zulassung zum Abspielen eines HFR-Films erhalten hat.
73 Prozent sahen den Film"Hobbit" in 3-D
"Es gibt generell einen deutlichen Trend hin zu 3-D", sagt Cinemaxx-Theaterleiterin Nancy Fehse. In ihrem Kino haben sich seit dem "Hobbit"-Start am 12. Dezember 73 Prozent der Zuschauer für eine 3-D-Vorstellung entschieden. Fehse: "Davon wiederum sahen genau 49,32 Prozent den Film in der HFR-Version." Wie viele Zuschauer in den Magdeburger Vorstellungen waren, sagt Cinemaxx nicht. 810000 Zuschauer sahen ihn bislang in allen 33 Cinemaxx-Kinos. 70 Prozent sahen ihn in diesen Kinos in 3-D, davon sogar 63 Prozent in HFR. Bundesweit hatte der Film laut Zentralverband der Filmwirtschaft bislang 5,86 Millionen Zuschauer.
Der analoge Film ist auf dem Rückzug. Auch deshalb, weil die Fertigung einer analogen Kopie zwischen 800 und 1200 Euro kostet. Hinzu kommen die hohen Transportkosten durch Spediteure. Eine digitale Filmdatei kann dagegen wie jede andere Computerdatei ohne großen Aufwand kopiert werden.
"Die Filmverleiher bieten inzwischen alle Filme in digitalen Versionen an. Entsprechend wollen wir unsere Projektionstechnik angleichen", so die Theaterleiterin. Von April bis Juni werden die fünf verbliebenen analogen Projektoren durch Digitalprojektoren ersetzt. Preis der Umrüstung pro Saal: um die 100000 Euro.
Doch Cinemaxx geht noch weiter. Da dann alle Säle digital bespielt werden, soll auch das Theater-Management-System (TMS) umgestellt werden. Dieses TMS ist ein Organisationsprogramm, womit die Abläufe im Kinosaal beschrieben und gesteuert werden. In sogenannten TMS-Playlist wird sekundengenau festgelegt, wann das Licht aus- und angeht, wann der Vorhang auf- und zugeht, welche Werbung läuft und welcher Trailer. "Bislang haben wir hier in Magdeburg die Playlist der Filme erstellt. Das erfolgt ab Sommer zentral in Hamburg in Zusammenarbeit mit Dienstleistern", erklärt die Theaterleiterin.
Das heißt: Die digitalen Projektoren werden in Zukunft von Hamburg aus ferngesteuert. Vor Ort müssen Mitarbeiter lediglich einmal pro Woche die neu eingetroffenen Festplatten in die Projektoren schieben, um die Spielfilme der Verleiher in den internen Speicher der Projektoren zu kopieren. Und selbst das könnte bald von Hamburg aus erledigt werden. Fehse: "Es gibt Überlegungen, das Filmmaterial über Satellitenverbindungen an die Projektoren zu übertragen. Dazu gibt es aber noch keinen konkreten Starttermin."
Soweit geht die Kinokette Cinestar, die ebenfalls in Magdeburg ein Multiplex-Theater betreibt, noch nicht. "Eine zentrale Projektionssteuerung ist bei uns nicht in Planung", sagt Cinestar-Geschäftsführer Oliver Fock. Programmplanung und Disposition würden aber schon seit Jahren zentral gesteuert. Wann alle 68 Cinestar-Häuser digital umgestellt sind, kann der Geschäftsführer nicht sagen. Dies erfolge Schritt für Schritt. Fock: "Unter unserer Dachmarke operieren unterschiedliche Kinos - von Multiplex bis zu traditionellen Filmtheatern. Aber etwa 90 Prozent unserer Häuser besitzen mindestens einen digitalen Projektor."
Auch im Cinestar Magdeburg (insgesamt neun Säle) gibt es erst einen Digitalprojektor - dieser ist aber HFR-fähig. Die Filmvorführer haben dort also noch alle Hände voll zu tun. "Der Beruf des Filmvorführers wird zeitgemäß bleiben, solange es Kino gibt", glaubt Stephan Lehmann, ebenfalls Geschäftsführer bei Cinestar. Es werde Fachpersonal für gestochen scharfe Projektionen benötigt, "egal ob digital oder in 35 Millimeter". Lehmann: "Die Erweiterung der Projektion durch verschiedene Technik-Komponenten macht den Beruf zukunftsfähiger als je zuvor."
In Magdeburg sind drei Mitarbeiter betroffen
Filmvorführer Holger Lehmann kann sich von diesem Zuspruch freilich nichts kaufen. Cinemaxx hat angekündigt, bis Jahresende alle 54 fest angestellten und rund 150 freiberuflichen "Projektionisten" zu entlassen. In Magdeburg sind zwei fest- und ein freiberuflicher Vorführer betroffen. Insgesamt arbeiten in dem Multiplex 46 Mitarbeiter, davon 18 fest angestellt.
Holger Lehmann will sich bei Speditionen umsehen. Vielleicht als Lagerist? Den Gabelstapler-Führerschein hat er schon auf eigene Kosten gemacht. Aber sein Herz hängt noch an den Projektionsmaschinen.
Er zeigt in dem lang gestreckten Arbeitsraum an die Decke. "Sehen Sie! Hier läuft der Film über Anker entlang und wird nacheinander in drei Projektoren gleichzeitig aufgenommen. So können wir drei Säle mit über 1000 Zuschauern mit nur einer Filmkopie bespielen", schwärmt er. An die weitgehend wartungsfreie, ferngesteuerte Filmvorführung mag der Vorführer nicht glauben. "Und wenn die Projektionslampe durchbrennt? Oder das Netzteil kaputtgeht?", fragt er.
Was mit den ausrangierten analogen Projektoren passiert, weiß Cinemaxx-Theaterleiterin Nancy Fehse nicht. "Verschenken? Verschrotten?" Sie zuckt mit den Achseln. Selbst kleine Studiokinos, sagt sie, rüsten zunehmend auf Digitalprojektoren um.