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Kita-Beiträge Kostenexplosion in der Altmark

Bis zu 84 Euro mehr innerhalb von nur fünf Jahren. In Stendal sind die Kita-Beiträge explodiert. Nicht nur dort bezahlen Eltern mehr.

13.02.2017, 23:01

Magdeburg l Niedersachsen hat es schon, Thüringen führt es 2018 ein, auch Brandenburg will es: das beitragsfreie Kindergartenjahr vor der Einschulung. In Berlin wird der Kita-Besuch ab August 2018 sogar komplett kostenlos sein. Das sind Verhältnisse, von denen die Eltern in Sachsen-Anhalt derzeit nur träumen können. Eine Volksstimme-Umfrage zeigt: Bei einem 10-Stunden-Platz in der Krippe reicht das Kindergeld (192 Euro) immer seltener zur Beitragsdeckung aus. In Wolmirstedt zahlen die Eltern inzwischen 270 Euro, in Magdeburg sind es 207 Euro, in Stendal 230 Euro. In der Hansestadt ist der Beitrag seit dem Jahr 2011 um 84 Euro gestiegen – das ist ein Plus von 58 Prozent in nur fünf Jahren. Auch Kindergartenplätze sind zum Teil deutlich teurer geworden. In Bismark, Tangermünde und Elbingerode (Stadt Oberharz am Brocken) zahlen Eltern 50 Euro oder mehr als 2011. Besonders in der Altmark sind die Beiträge in vielen Orten gestiegen.

Und diese sind nicht der einzige Posten für die Eltern: Die Kosten für das Essen kommen noch dazu – in der Regel zwischen 50 und 70 Euro monatlich. Damit müssen manche Eltern in Sachsen-Anhalt inzwischen mehr als 300 Euro für die Betreuung ihres Kindes berappen. Tobias Ulbrich, Vorsitzender der Landeselternvertretung, sagt: „Das ist einfach zu viel. Ich kann verstehen, dass da manche Eltern ihr Kind aus der Kita nehmen und es lieber privat betreuen. Für solche Beiträge sind die Löhne in Sachsen-Anhalt einfach zu niedrig.“ Ulbrich fordert, dass ein Kita-Platz maximal 200 Euro kosten darf.

Für die gestiegenen Kosten gibt es viele Faktoren. Die Personalkosten sind einer. Von den Tarifsteigerungen im Öffentlichen Dienst haben in den vergangenen Jahren viele Erzieher profitiert. „Da 80 Prozent aller Ausgaben die Personalkosten umfassen, liegt es auf der Hand, dass steigende Personalschlüssel und die Erhöhung der Tarife die Ursache für die Anhebung sind“, sagt Birgit Herzberg, die Leiterin des Tangermünder Sozialamts.

Das Problem bei den Tarifsteigerungen: Diese mussten Kommunen und Eltern lange allein schultern. Erst seit 2016 fängt das Land die Mehrkosten wieder auf.

Auch sonst ist das Land eigentlich nur Zuschussgeber. Kinderbetreuung ist Sache der Kommunen. Städte und Gemeinden erhalten von Land und Landkreis einen Zuschuss für jedes Kind – das bleibende Defizit für den Platz teilen sich Eltern und Kommune. Die Orte, denen es finanziell gut geht, haben sich in der Vergangenheit häufig entschieden, die steigenden Kosten selbst zu tragen und so die Elternbeiträge stabil zu halten. In Schönebeck sind diese seit 2006 konstant: Acht Stunden Krippe kosten 155 Euro. Ähnlich ist es in Klötze. Dort ist ein 10-Stunden-Krippenplatz für 150 Euro zu haben – das ist der Spitzenwert in Sachsen-Anhalt. Der Vorteil der Stadt: Klötze hat einen ausgeglichenen Haushalt. „Wir können uns das im Moment noch leisten“, sagt Hauptamtsleiter Christian Hinze-Riechers. Viele Eltern arbeiten in Wolfsburg. „Wir wollen nicht, dass sie der Arbeit hinterherziehen. Wir sehen die niedrigen Kita-Beiträge daher als Standortfaktor.“

Gemeinden in Geldnot können sich das nicht leisten. Sie bitten die Eltern stärker zur Kasse. Beispiel Elbingerode (Oberharz am Brocken): Dort müssen Eltern bis zu 75 Euro mehr bezahlen als noch 2011. Hinzu kommt: Auch die Landeszuschüsse sind zu knapp bemessen. Das Land reicht an die Kommunen für jedes betreute Kind eine Pro-Kopf-Pauschale aus. Diese wurden in der Annahme errechnet, dass die Kinder durchschnittlich acht Stunden pro Tag betreut werden würden. Doch tatsächlich ist die Betreuungszeit in vielen Einrichtungen höher.

In Magdeburg sind die Kinder im Schnitt 9,3 Stunden in den Kitas. Weil die Stadt mit den Pauschalen nicht hinkommt, hat Oberbürgermeister Lutz Trümper (parteilos) sogar Klage gegen das Land eingereicht. Auch in der Altmark dürfte die längere Nutzungszeit bei den Kostenexplosionen eine Rolle spielen: In ländlichen Regionen pendeln viele zur Arbeit und benötigen deshalb eine entsprechend lange Betreuung. Viele wählen den 10-Stunden-Tarif. Die Acht-Stunden-Pauschalen des Landes hinterlassen ein Defizit, das letztlich Gemeinde und Eltern tragen.

Doch auch die Kommunen haben ihren Anteil an den Steigerungen. Sie haben über Jahre ungenau kalkuliert. Miet- und Nebenkostenerhöhungen oder Dienstleistungen von Gemeindearbeitern wurden bei der Berechnung der Elternbeiträge lange nicht berücksichtigt. Nun muss jeder Kitaträger mit dem Landkreis eine Leistungsvereinbarung abschließen. Darin werden detailliert alle Leistungen und Kosten aufgelistet, erst dann gibt es Zuschüsse von Land und Landkreis. Früher erhielten die Kommunen die Landesgelder pauschal. Die Folge: Durch die neuen Kalkulationen werden bisher nicht berücksichtigte Posten einbezogen. Die höheren Gesamtkosten werden auch durch höhere Elternbeiträge abgefedert. Da das Land nun deutlich mehr Geld für den kommunalen Finanzausgleich und Tariferhöhungen zur Verfügung stellt, müsste sich die Gesamtsituation vieler Kommunen etwas entspannen.

Wie sich die Kostenstruktur für die Kinderbetreuung im Detail zusammensetzt, evaluiert das Sozialministerium derzeit mit einer großen Umfrage. Erste Ergebnisse sollen im April vorliegen. Bis Jahresende will der Landtag ein neues Kinderförderungsgesetz erarbeiten. „Das ist die letzte Chance, etwas in die richtige Richtung zu bewegen“, sagt Elternvertreter Ulbrich. „Wir erwarten ein klares Zeichen der Landespolitik. Auch in anderen Ländern ist die Haushaltslage nicht rosig – trotzdem werden die Eltern dort besser entlastet als hier.“