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Klimakrise Wie das Land seine Wälder retten will

Ein neues Strategiepapier soll Waldbauern in Sachsen-Anhalt helfen, ihre Bestände für die wärmere Zukunft zu wappnen.

Von Alexander Walter 22.10.2020, 01:01

Magdeburg l Jens Dedow kann aus dem Antlitz seiner Bäume lesen, wie andere aus einem Buch. Schon seit Jahren erzählen die ihm wenig Gutes. Viele sind ganz verstummt.

An diesem Oktobermorgen ist der Leiter des Forstreviers Elbaue mit seinem Pickup unterwegs, im Kofferraum seine drei braun-weißen Münsterländer. An einem Stück Auwald im Elbtal bei Plötzky hält der 59-Jährige an. Sein Blick fällt auf einen auf den ersten Blick noch grünen Bestand, trotz der vorgerückten Jahreszeit. Es geht ein paar Schritte in den Busch. Vor uns ragt eine Eiche in die Höhe. „Dieser Baum ist tot“, sagt Dedow und deutet auf den Stamm. Feine Späne an der Borke verraten, dass Käfer sich im Baum eingenistet haben.

Das Holz? „Kaum noch zu verwerten“, sagt der Leiter des 3400 Hektar großen Reviers zwischen Calbe und Heinrichsberg bei Wolmirstedt. Anders als beim Fichtenborkenkäfer bohrt sich der Eichenschädling, der sogenannte Werftkäfer, tief in das Kernholz und durchlöchert es.

Die Eiche bei Plötzky, sie ist ein Symptom, Dedow musste nicht suchen. „Der ganze Wald ist voller Baumleichen“, sagt er und zeigt auf sich lichtende Kronen und blutende Stämme ringsum: Eichenschleimfluss, Ahornrindenruß, Eschentriebsterben, Kiefern-Diplodiabefall – das Siechtum der Bäume – in Dedows Revier hat es viele Namen.

Treibender Faktor für all das sei die Erderwärmung, sagt der Revierleiter. Nachdem bereits infolge der Elbeflut 2013 hektarweise Kiefern ertranken, folgten ab 2017 erst Stürme und Sommergewitter, dann zwei Jahre Dürre. Schließlich fielen Schadinsekten und Pilze in die geschwächten Bestände ein. Allein zwischen Mitte 2017 und Mitte 2018 kamen auf den Sanddünen östlich des Elbtals so rund 45 000 Festmeter Schadholz zusammen, sagt Dedow. Zum Vergleich: Der übliche Jahreseinschlag liegt im gesamten Revier bei 8300 Festmetern.

„Derzeit kommen wir gar nicht zur Waldpflege, wir sind nur beim Beräumen“, sagt der Revierleiter.

Das Erschreckende für den Forstwirt: Nach dem von Fichten-Monokulturen dominierten Harz trifft es inzwischen auch den eigentlich für klimafest gehaltenen Laubmischwald. Selbst in der Elbaue ist nach den Dürresommern der Grundwasserpegel derart gefallen, dass Eschen und alte Eichen vertrocknen. Erst im Frühjahr musste Dedow wieder 5000 Festmeter Eschen schlagen. Und: Ein Ende ist nicht abzusehen. „Uns gehen die Baum- arten aus“, sagt der Förster.

Das ganze Ausmaß der Krise wird beim Blick auf Sachsen-Anhalts Wälder insgesamt deutlich: Allein in den vergangenen zwei Jahren sind nach Angaben des Umweltministeriums Freiflächen von mehr als 23 000 Hektar entstanden – ein Viertel der Fläche der Insel Rügen. Frank Schuffenhauer, Experte im Forstreferat des Umweltministeriums, spricht von „Schäden historischen Ausmaßes“. „Für das Land sind diese Blößen eine gewaltige Hausnummer“, sagt er.

„Würde man 22 Meter lange Lkw mit je 25 Kubikmetern des Schadholzes beladen, das von Anfang 2018 bis Ende 2019 anfiel, ergäbe sich eine unvorstellbar lange Kolonne: Sie würde von Magdeburg bis zum Platz des Himmlischen Friedens in Peking reichen“, sagt Schuffenhauer. Aus dem ersten Halbjahr 2020 käme noch einmal die Strecke Magdeburg–Bukarest hinzu.

Insgesamt geht Schuffenhauer davon aus, dass rund sieben Prozent der Bestände des Landes den Folgen der Klimaextreme zum Opfer gefallen sind.

Im Bundesvergleich liegt Sachsen-Anhalt bei der Größe der entstandenen Blößen damit hinter Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen auf Platz vier der Länder mit den größten Waldschäden infolge der Klimaextreme.

Der Waldbesitzerverband Sachsen-Anhalt hält selbst diese Zahlen für zu niedrig angesetzt. „Es fehlt eine solide Schadenserhebung“, sagt Vorsitzender Franz zu Salm-Salm. Befliegungen habe es nur im Harzkreis gegeben und auch dort zuletzt 2019: „Wir gehen heute von 50 000 Hektar Blößen im Land aus“, sagt zu Salm-Salm (500 Quadratkilometer / Anm. d. Red.). Das Umweltministerium räumt ein, dass seine Angaben auf Schätzungen beruhen, allerdings habe man auch Auswertungen von Satelliten in die Schadensermittlung einbezogen, sagt Experte Schuffenhauer.

Was aber tun? „Die Flächen müssen wiederaufgeforstet werden“, sagt Schuffenhauer. In Sachsen-Anhalt sind Waldbesitzer dazu sogar gesetzlich verpflichtet. Auf 30 bis 40 Prozent der Flächen könne man die Arbeit dabei der Natur etwa durch Windaussaat überlassen, so der Experte. Den Rest aber müssen Waldbesitzer, Forstbetriebsgemeinschaften und Landesforst selbst bepflanzen.

Das für sich genommen ist schon ein Mega-Projekt: Schuffenhauer rechnet damit, dass 15 000 bis 19 000 Hektar aktiv aufzuforsten sind. „Dafür werden wir sechs bis acht Jahre benötigen, schlechtestenfalls zehn“, sagt er.

Dabei stellt sich vor allem die Frage: „Wie aufforsten?“ Es ist die Frage dieser Tage für Waldbauern und Förster.

Klar ist, Monokulturen dürften künftig Geschichte sein. Angesichts des Klimawandels lauten die Stichworte „klimafester Waldumbau“ und „Risikostreuung“ mit möglichst vielen Baum-arten, so Schuffenhauer. Das Land ist dabei nicht untätig geblieben. In Zusammenarbeit mit der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) bringt das Umweltministerium in den nächsten Tagen - nach eigenen Angaben – als erstes Bundesland eine Broschüre auf den Markt. Sie soll Waldbauern bei der Baumartenwahl für Neupflanzungen helfen.

Das Papier unter dem Titel „Entscheidungshilfen zur klimaangepassten Baumartenwahl“ befindet sich derzeit in der Endabstimmung, ein Entwurf liegt der Volksstimme vor.

Die Idee: Waldbesitzer sollen regionsscharf je nach verfügbarem Bodenwasser und Nährstoffgehalt Sorten empfohlen bekommen, die sich auch für die mutmaßlich wärmere Zukunft eignen. Die Versuchsanstalt geht dabei von einer Klima- erwärmung von drei bis vier Grad bis Ende des Jahrhunderts aus – ein düsteres Szenario, aber auch ein Sicherheitspuffer. Eigentlich will die Weltgemeinschaft gemäß Pariser Klimaabkommen, die Zwei-Grad-Marke halten.

Konkret nimmt das Modell dabei an, dass es bereits zwischen 2040 und 2070 in der Vegetationsperiode nicht nur deutlich wärmer wird (Anstieg von 16 Grad (1981–2010) auf 17,7 Grad). Vor allem in den nördlichen und östlichen Landesteilen dürfte es auch erheblich trockener werden – durch den Temperaturanstieg und damit steigender Verdunstung nimmt das verfügbare Wasser für die Vegetation vor Ort zusätzlich ab.

Das hat Folgen für die zu treffende Artenwahl: Im Harz dürfte die Fichte ihre Rolle als führende Baumart verlieren und durch Sorten wie Douglasie oder Küstentanne ergänzt werden, sagt Thomas Böckmann, Leiter der Forstlichen Versuchsanstalt.

„Ungewiss ist die Zukunft der Kiefer – vor allem im trockener werdenden Osten des Landes“, so Böckmann. Derzeit sei unklar, wie sie zu ersetzen ist. „Es könnte möglich sein, dass dort Wälder künftig auch ganz verschwinden.“

Zum Nulltarif wird der Waldumbau aber ohnehin nicht zu haben sein. Frank Schuffenhauer rechnet mit 10 000 Euro Wiederaufforstungskosten je Hektar. Beim unterstellten Aufforstungs-Bedarf von 15 000 bis 19 000 Hektar landesweit kämen so 150 bis 190 Millionen Euro zusammen. „Der Landesforstbetrieb wird hier Unterstützung brauchen“, sagt Schuffenhauer.

Dasselbe gilt für die Privatwaldbesitzer, denen immerhin 54 Prozent der rund 532 000 Hektar Waldfläche im Land gehören. Verbandschef zu Salm-Salm geht von einem Wiederaufforstungsbedarf von 500 Millionen Euro über alle Besitzformen aus.

Das Land seinerseits schätzt den Bedarf für den Privatwald dabei auf rund 100 Millionen Euro und verweist auf Fördermittel von rund 20 Millionen Euro pro Jahr für Schadholzbeseitigung und Aufforstung. Bei Anpflanzung klimabeständiger Mischwälder seien Förderquoten von bis 80 Prozent möglich, so das Umweltministerium.

„Die Förderung ist gut, aber sie wird wie ein Tropfen von einem Schwamm aufgesogen. Wir verlassen uns nicht mehr auf diese Landesregierung“, sagt zu Salm-Salm dazu. Zuvor habe das Land die Waldbesitzer drei Jahre lang im Stich gelassen. Die Schäden für viele Waldbauern seien inzwischen so groß, dass sie selbst den Eigenanteil von 20 Prozent bei Höchstförderquoten nicht mehr stemmen könnten.

Ursache ist, laut zu Salm-Salm, auch ein durch das Sterben der Wälder überfluteter Holzmarkt. Die Preise sind stabil im Keller: Für den Raummeter Industrieholz etwa wurden früher erntekostenfrei 30 Euro gezahlt, sagt der Verbandschef. Heute seien es noch 50 Cent.

Das Ministerium kennt die Lage der Waldbesitzer: Auf Bundesebene wolle man sich daher für eine finanzielle Honorierung von deren Ökosystemleistung einsetzen, hieß es. Zudem wolle man die Förderung von Beräumung und Waldumbau auch nach 2023 sichern.

Jens Dedow will seine Rundfahrt an diesem Morgen nicht ohne Hoffnungs-Signal beenden. Auf der Rückfahrt nach Plötzky hält er an einem beräumten Altbaumbestand. Von unten wachsen junge Douglasien. Kräftig-grün sehen viele der Bäume aus. „Unser Ziel ist es, alles, was abstirbt, wieder aufzuforsten“, sagt Dedow. „Die Flinte werden wir jedenfalls nicht ins Korn werfen.“ Es könnte ein schöner Abschluss sein. Auf der Weiterfahrt fällt ihm dann aber doch noch eine junge Kiefer auf. Dedow stoppt sein Auto, schaut auf den traurigen braunen Setzling hinab. „Hier können Sie jedes Jahr nachpflanzen“, sagt er jetzt doch etwas resigniert.

Versuchsanstalts-Leiter Böckmann sagt: „Die eine Wunderbaumart wird es nicht geben.“ Der Ausweg: Risikostreuuung durch viele Arten und die Einbeziehung immer genauerer Klimamodelle. Es scheint, der Waldumbau im Land, er könnte zur Dauerbaustelle werden.