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Klimawandel „Irgendwann bricht das System zusammen“

Stefan Rahmstorf gilt als einer der renommiertesten Klimaforscher. Im Interview sprach er über die Folgen des Klimawandels.

Von Alexander Walter 06.11.2020, 00:01

Volksstimme: Herr Rahmstorf, auf welche Erwärmung müssen wir uns in Mitteldeutschland bis 2100 einstellen?
Das hängt von der Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen ab. Bleibt es bei einem ungebremsten Wachstum, rechnen wir global mit vier Grad Erwärmung; in Deutschland mit fast dem Doppelten. Aber das ist ein düsteres Szenario. Es gibt ja das Pariser Klimaabkommen, in dem sich 195 Staaten auf das Ziel geeinigt haben, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Auch damit wären wir in Deutschland noch bei drei Grad Erwärmung.
Warum wird Deutschland sich stärker erwärmen als die Erde insgesamt?
Im globalen Mittel sind die Ozeanflächen einberechnet. Die aber erwärmen sich weniger schnell als die Landflächen.
 
Was hießen drei Grad Erwärmung? Gäbe es Palmen im Saaletal?
Das hieße nicht unbedingt Palmen, aber durchaus eine Umgestaltung der Wälder, die ja bereits im Gange ist. Die Wälder werden sich verändern weg von heutigen Baumarten, wie Fichte oder Buche, hin zu trocken- und wärmeresistenteren Arten.
Wie wird sich das Wetter verändern?
Es wird mehr langanhaltende Hitzewellen geben, besonders in den Städten. Schon in den zurückliegenden Jahren ist die Häufigkeit von rekordheißen Monaten siebenmal so hoch, wie in einem stabilen Klima ohne menschenverursachten Treibhauseffekt zu erwarten wäre. Außerdem wird es mehr Extremniederschläge und schwere Gewitter geben. Pro Grad Celsius Erwärmung kann Luft sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen. Das regnet sich natürlich irgendwo wieder ab.
Welche Großwettersysteme stehen hinter dem Trend?
Messungen zeigen, dass sich die Arktis dreimal so schnell erwärmt wie der Rest der Erde. Das hängt mit einer abnehmenden Reflexion von Sonnenstrahlung bedingt durch das Abschmelzen heller Eisflächen im Sommer zusammen. Das dunklere Meerwasser nimmt deutlich mehr Wärme auf als das hellere Eis. Die resultierende Arktiserwärmung hat Folgen fürs Wetter. Das Temperaturgefälle zwischen Arktis und Äquator nimmt dadurch ab. Das wiederum lässt den sogenannten Jet-Stream instabiler werden – ein schnelles West-Windband in der Atmosphäre an der Grenze beider Temperaturzonen. Dadurch schaukeln sich öfter riesige Wellen im Jet-Stream auf, die zu lange anhaltenden Extremwetterlagen in Europa führen.
Warum muss die Erwärmung unbedingt auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden?
Fast alle Staaten haben verstanden, dass eine Erwärmung um zwei Grad sehr gefährlich wäre. Folge wäre zum Beispiel, dass alle Korallenriffe absterben. Schon heute, bei einer Erwärmung von 1,2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter, ist die Hälfte des Great Barrier Reefs vor Australien betroffen. Es gibt weitere Kipp-Punkte, bei deren Überschreiten wir die Auswirkungen hautnah zu spüren bekämen – so das unumkehrbare Abschmelzen des grönländischen Inlandeises oder des Polareises in der West-antarktis.
Wo liegt der Kipp-Punkt da genau?
Genau weiß man das nicht, aber irgendwo zwischen einem und drei Grad Erwärmung. Vielleicht haben wir diesen Punkt auch schon überschritten. Schmilzt der grönländische Eisschild ab, stiege der Meeresspiegel allein dadurch um sieben Meter. Beim Abschmelzen des gesamten Polareises inklusive Antarktis sogar um 65 Meter. Schon zwei Meter wären für viele Küstenregionen verheerend.
Sie haben viel zum Golfstrom geforscht. Wie wirkt sich der Klimawandel auf ihn aus?
Das größere Golfstromsystem transportiert warmes Wasser aus dem Südatlantik bis nach Island und Norwegen. Das beeinflusst das Wetter in Europa. Taut sehr viel Polareis ab, wird der Strom durch eine sinkende Salzkonzentration der Ozeane schwächer. Das passiert bereits; wir haben abgeschätzt, dass sich das System seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 15 Prozent abgeschwächt hat. Deshalb ist der Nordatlantik die einzige Weltregion, in der es trotz globaler Erwärmung kälter geworden ist.
Kann der Golfstrom ganz abreißen?
In der letzten Eiszeit ist das mehrfach geschehen. Die Folge waren jeweils regionale Abkühlungen. Käme es wieder so, dürfte es zumindest in Großbritannien und Skandinavien kälter werden.
Forscher haben im Magazin „Nature“ jüngst vor dem Überschreiten weiterer Kipp-Punkte gewarnt: So vor dem Verschwinden der Regenwälder oder dem Auftauen von Permafrostböden mit der Freisetzung von Millionen Tonnen treib-hauswirkamen Methans ...
Die Gefahr, dass die Regenwälder verschwinden, besteht: bedingt zum einen durch die Erwärmung. Niederschläge, die die Wälder nähren, nehmen dadurch ab. Zum anderen durch die Abholzung: Tropische Regenwälder tragen ihre Niederschläge durch ihre hohe Verdunstung kaskadenartig selbst weiter. Wird zu viel Wald gefällt, wie aktuell in Brasilien, bricht das System irgendwann zusammen. Das Auftauen der Permafrostböden ist eher ein langfristiges Thema. Es dürfte dauern, bis diese Böden tatsächlich bis in die Tiefe tauen.
Was können Deutschland und die EU tun?
Wichtig wäre, dass der Beschluss des Europäischen Parlaments, die CO2-Emissionen bis 2030 um 60 Prozent gegenüber 1990 zu senken, umgesetzt wird. Wichtig wäre auch, dass andere große Emittenten, wie China, Japan und die USA, eigene Klimaziele einhalten. China will bis 2060 klimaneutral sein. Im Fall der USA muss man auf einen Politikwechsel hoffen.