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Koloniale Kunst Das schwierige Erbe

Um die deutsche Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, wird am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ein neuer Fachbereich aufgebaut.

Von Grit Warnat 27.01.2019, 00:01

Magdeburg l Frankreich befeuert in diesen Wochen das Thema. Präsident Emmanuel Macron hat ein Gutachten erarbeiten lassen. Es geht um die Rückgabe von einst aus französischen Kolonien geraubten Kulturgütern.

Die Diskussion wird auch in Deutschland seit Jahren geführt. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) fordert seit längerem eine breitere Aufarbeitung der Kolonialgeschichte an deutschen Museen. Besonders im Fokus: Das Humboldt-Forum in Berlin, das millionenschwere Vorzeigeprojekt im neuen Schlossensemble im Herzen Berlins. Dort soll die Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin-Dahlem einziehen – mit seinen Exponaten aus der Kolonialzeit. Wie die Benin-Bronzen, die einst die Briten aus dem untergegangenen Königreich (dem heutigen Nigeria) raubten.

In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte vor wenigen Wochen der Humboldt-Forum-Generalintendant Hartmut Dorgerloh gesagt, dass die geplante Präsentation der Benin-Bronzen im Kontext mit Video-Interviews stehen werde. Zu Wort kommen sollen Vertreter der Königsfamilie, der Politik, von Museen aus dem Land. Trotz solcher neuen Betrachtungsweisen, trotz mancher Forschungsprojekte zur Kriegsbeute am Ethnologischen Museum, trotz seit langem laufender Diskussionen darf gewiss sein, dass das sensible und politische Thema mit der geplanten Eröffnung des Schlosses Ende des Jahres noch einmal an Fahrt aufnehmen wird.

So war es auch in Belgien. Dort öffnete in Tervuren das lange geschlossene und erweiterte „Afrika-Museum“. Kritiker schimpften, dass der Umgang des Hauses mit dem historischen Erbe alles andere als geglückt sei, auch weil Leopold II. immer noch verklärt werde. Der belgische König hatte 1885 den Kongo an sich gerissen. Seine Vasallen herrschten, plünderten, quälten. Koloniale Narben sind bis heute geblieben. Nicht nur im Kongo.

Deutschland kümmerte sich in erster Linie um Kunst, die unter den Nationalsozialisten entrechteten Juden geraubt oder abgepresst wurde. Jetzt macht der Bund auch bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit mehr Druck. Das geschehene Unrecht sei viel zu lange vergessen und verdrängt worden, hatte Grütters in einem Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gemeinsam mit Michelle Müntefering (SPD) vor kurzem geschrieben. Müntefering ist Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt.

Am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste wird seit Anfang Januar ein organisatorisch selbständiger und separat finanzierter Fachbereich aufgebaut. Der Stiftungsrat hatte das im vergangenen Jahr so beschlossen. Vom Bund fließt 2019 eine Million Euro in die Projektförderung zur Erforschung kolonialer Kulturgüter. Vier Mitarbeiter werden im Bereich arbeiten, zum 1. Juni können erstmalig Projektanträge eingereicht werden. Dann können Museen ihre Bestände wie schon bei der NS-Raubkunst auch auf ungeklärte Fälle aus kolonialer Zeit durchforsten lassen.

Gilbert Lupfer, wissenschaftlicher Vorstand am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, prophezeit, dass die Erfahrungen aus der Suche nach NS-Raubkunst erwarten lassen, dass auch die Provenienzrecherche bei Objekten aus kolonialem Kontext nicht einfach sein wird. Er spricht von großer Komplexität und noch unklaren Definitionen. Was versteht man überhaupt unter kolonialem Kontext? Fängt die Aufarbeitung erst an mit den deutschen Kolonien ab 1884 oder zählt auch ein präkolonialer Status? Und was gelangte wann wie in deutsche Museen? Was ist Raubgut, was stammt aus vermutlich legitimem Handel oder aus Schenkungen? Gilbert Lupfer spricht von einem weiten Feld.

Der Professor nennt als Beispiel für die schwierige Aufarbeitung die Benin-Bronzen. Mit einer englischen Strafexpedition gelangten viele Objekte nach Europa und wurden dann von der britischen Regierung verkauft. Sie kamen dadurch in den Handel und in Museen. Sie stammen nicht aus einer deutschen Kolonie und trotzdem befinden sich einige in deutschen Museen wie dem Ethnologischen Museum in der Hauptstadt.

Wissenschaftler aus der ganzen Welt hatten in einem Appell, veröffentlicht Mitte Dezember in der „Zeit“, geschrieben: „So wichtig die Frage nach Rückgabe auch ist und so sehr historisches Erinnern immer auch mit Fragen von Schuld und Gerechtigkeit, Moral und Unrecht zu tun hat, so wenig darf vergessen werden, dass die Objekte noch viel tiefer gehende Geschichten erzählen.“ Sie wiesen auf die Verantwortung hin, die „Geschichte dem kolonialen Vergessen zu entreißen“.

Der Deutsche Museumsbund hat bereits zwei Leitfäden zum Umgang mit dem kolonialen Erbe herausgegeben und versucht, das weite Feld abzustecken. Fördergeld gab es für die Museen aber bis dato nicht, eine gesetzliche Grundlage für Restitution gibt es auch nicht. Sie basiert auf Freiwilligkeit. Das Interesse sei da, die Museen bereits sensibilisiert, sagt Lupfer. Mit Millionen wurden im Kerngebiet der Stiftung, der Aufklärung des NS-Raubes, Projekte gefördert, weil vor allem kleinere, kommunale Häuser Provenienzforschung aus eigener Kraft nicht stemmen können. Zahlreiches im Nationalsozialismus entzogenes Kulturgut vor allem aus jüdischem Besitz konnte restituiert werden.

Noch gibt es keine Zahlen zu Museen mit kolonialem Erbe, keine Zahlen zu Sachsen-Anhalt. Die großen Völkerkundemuseen, die in erster Linie in Betracht kommen, stehen in Leipzig, Stuttgart, Hamburg und eben in Berlin. Das Ethnologische Museum in Berlin zählt international zu den größten seiner Art. Es ist wegen der Umzugsvorbereitungen seit längerer Zeit geschlossen. Mit Spannung wird erwartet, wie es sich in der neuen Heimat Humboldt Forum präsentieren wird.