Social-Media-Redakteure berichten Kommentare bei Facebook während der Pandemie: Der Hass kommt in Wellen
Hat die Corona-Pandemie die Diskussionskultur in den Sozialen Netzwerken verändert? Ja, hat sie. Sehr sogar. In welchem Ausmaß berichten hier Social-Media-Redakteure. Vorsicht! Es wird rau.

Ina Schwarzbrunn: Social-Media-Managerin für Mitteldeutsche Zeitung und Volksstimme
Nicht erst seit 2020 wissen wir: Das B in Social Media steht für Besonnenheit. Community-Managerin zu sein, ist in der Pandemie definitiv nicht leichter geworden. Bisweilen haben wir beim Sichten der Kommentare das Gefühl, unser Job erfordert mehr denn je nicht nur diplomatisches Fingerspitzengefühl, sondern auch ein dickes Fell.
2021 haben wir bei der Mitteldeutschen Zeitung und Volksstimme insgesamt 696.841 Kommentare über unsere Social-Media-Kanäle geprüft und moderiert. Wie Corona kommt die Kommentarflut in Wellen; mit immer neuen Peaks.
Erste Welle: plötzlich 70.000 Kommentare pro Monat via FB und Instagram, nicht wie bislang zwischen 40K und 50K. Das war im März 2020. Zu diesem Zeitpunkt ist deutlich spürbar: Die Verunsicherung der Kommentierenden ist groß, der Informationsbedarf riesig. Natürlich gab es auch schon vor der Pandemie Menschen, die in ihren Kommentaren ausfallend geworden sind. Doch die schiere Masse und die Aggressivität seit Pandemiebeginn hat uns dann doch überrascht.
@mitteldeutschezeitung Schaut mal bei mz.de vorbei. Da haben wir einen ausführlichen Artikel zum Thema für Euch. #hatersgonnahate #nohaters #nohatejustlove #socialmedia ♬ original sound - Reese Witherspoon
Ganz schnell ist da so eine Art Multifronten-Krieg im Social Web entbrannt. Lockdown, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen: Jedem von uns wird während der Pandemie viel abverlangt. Jeder geht damit anders um. Wir – als die Presse – werden in bestimmten Milieus als ein großer Feind wahrgenommen. Spätestens nach der "zweiten Welle" wird deutlicher: Die Leserinnen und Leser sind müde ob der Informationsflut. Die Vielzahl an Quellen wird für viele zur Qual. Viele wollen sich Luft machen und Social Media ist ihr Ventil. Denn sie sitzen zu Hause, und es geht ihnen nicht gut.
In dieser nun vierten Welle haben wir allein im Dezember 2021 knapp 130.000 Kommentare gelesen – das sind mehr als 4.000 Kommentare täglich. Es ist deutlich spürbar, dass die Fronten zwischen den Kommentierenden massiv verhärtet sind, die Wut wächst, die Empathie sinkt.
Doch es gibt Tendenzen, die auf eine Wende hindeuten: Zunehmend melden sich auch jene zu Wort, die Verschwörungstheorien etwas entgegensetzen. Sie treten als Faktenchecker und Aufklärer in Erscheinung. Auch wenn der Moderationsaufwand dadurch steigt, freuen wir uns darüber! Wir motivieren durch "Daumen hoch" – auch um wieder stärker eine sachlichere Diskussionskultur zu pflegen.
Yvonne Müller: Leiterin der Digitalredaktionen von Mitteldeutscher Zeitung und Volksstimme

Wir sehen anhand der steigenden Abonnentenzahlen beispielsweise bei Facebook, dass die Menschen an den Informationen, die wir liefern, ein großes Interesse haben. Jedoch, so lässt es die Tonalität der Kommentare vermuten, ist der Zweifel, ob wir Fakten liefern oder doch von Bill Gates oder der Bundesregierung gesteuert werden, häufig stärker.
Soziale Netzwerke sind für den Austausch geschaffen. Man teilt, was man meint. Seit Corona nun wird dieser Vorteil zur Herausforderung – und mentalen Belastung für jene, die die Kommentare sichten.
Social Media, und hier vor allem Facebook, hat sich zu Un-Social-Media entwickelt. Das aufgeheizte Klima in der Gesellschaft spiegelt sich in dem, was meine Kolleginnen und Kollegen tagtäglich lesen.
Oft findet jenes, was in Messengergruppen als Wahrheiten verbreitet wird, seinen Weg in unsere Kommentarbereiche. Wir reagieren mit Fakten – und wir setzen Grenzen. Hetze und Hass werden direkt blockiert.
Susann Lehmann – Social-Media-Redakteurin bei MDR Sachsen-Anhalt
An manchen Tagen bin ich ziemlich müde. Müde von den immer gleichen Vorwürfen, wir seien an der Spaltung der Gesellschaft schuld und würden Fake News verbreiten. Müde von den Vorwürfen und Unterstellungen, die sich die Kommentatorinnen und Kommentatoren gegenseitig um die Ohren hauen. Seit fast neun Jahren gehört Community Management zu meinem Job und das Klima, das wir aktuell in den Kommentarspalten haben, erinnert mich sehr an das Jahr 2015.
Oft frage ich mich, ob wir während der Pandemie verlernt haben, respektvoll miteinander zu reden und warum wir scheinbar nicht mehr in der Lage sind, einander zu zuhören und gegenteilige Meinungen auch einfach mal zu akzeptieren. Am liebsten würde ich die User:innen, die sich besonders rege an den Diskussionen auf unseren Plattformen beteiligen, alle an einen Tisch holen. Und zwar an einen echten. Ich bin mir sicher, dass ohne die Anonymität des Internets auch über Corona fairer diskutiert würde.

Gleichzeitig kann es in meinen Augen keine Lösung sein, die online stattfindenden Diskussionen nicht mehr zuzulassen. Auch wenn mir der perfekte Weg dafür bisher noch fehlt, wünsche ich mir, dass die Diskussionskultur – vor allem im Netz – wieder fairer, empathischer und toleranter wird. Denn bei einer Sache bin ich mir sicher: Wir dürfen nicht müde werden, miteinander zu reden und einander zuzuhören.
Nicole Franz: Social-Media-Redakteurin bei MDR Sachsen-Anhalt
Ich habe mitten in der ersten Corona-Welle angefangen, Kommentare zu moderieren. Ich erinnere mich noch gut an meine erste Schicht, in der ich mir Schimpfworte durchlesen musste, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren.
Seitdem ist es ein Auf und Ab. Es gibt Tage, da entsteht tatsächlich ein sachlicher Austausch, bei dem ich viele neue Ansichten zu einem Thema kennenlerne. Es gibt aber auch Tage, da prasseln Hass und Fake News auf mich ein. Ich sitze dann stundenlang da und recherchiere Aussagen hinterher, prüfe, ob die Quelle der Wahrheit entspricht.
Besonders seit Ende 2021 fällt mir auf, dass sich die Kommentarbereiche kaum beruhigen. Das raubt Kraft und nimmt mir leider die Zeit, mich um andere Aufgaben zu kümmern, die den Nutzern wiederum einen Mehrwert liefern würden. Ich freue mich aber jedes Mal, wenn ich sachliche, faktisch korrekte Kommentare lese, die auch wirklich zu einer Diskussion beitragen.
Christian Schneider: Social-Media-Redakteur bei MDR Thüringen
Die Pandemie füllte unsere "digitalen Kneipen" und verdoppelte die Kommentarzahl bei MDR Thüringen. Es gab alles: vom nachdenklichen Gespräch im stillen Eckchen bis zur offenen Saalschlacht. Während Kommunikationswissenschaftler schon über womöglich zu viele Corona-Berichte räsonierten, rissen uns User immer noch ein Stück Information aus den Händen.
Der Redebedarf selbst zu Details war gigantisch: Stundenlang diskutierten User und Experten bei uns, wie eine Lockerungsverordnung beim Punkt Eiscafés auszulegen sei. Unsere Reporter recherchierten daraufhin zu den Widersprüchlichkeiten nach – am Tag danach wurde die Verordnung präzisiert. Viele User waren dankbar für Infos von uns und für Tipps anderer User, egal ob zu Hilfsgeldern oder "Notbetreuung".
Unbefriedigender waren Kontakte mit denjenigen, die sich "selber denken" und "zweifeln" zwar auf die Fahne schreiben, an eigenen Glaubenssätzen aus oft trüber Quelle aber nicht zweifeln. Die Verteidigung der Festung "Grippe & Giftspritze" konnte gespenstische Züge annehmen: Schilderte der Leiter der Jenaer Intensivstation die Lage dort, wurden massive Zweifel laut – und auf unsere Rückfrage, ob sie dem Arzt Lüge unterstellten, kam ein kaum verklausuliertes "Ja".
Hier endet das vielbeschworene "reden, reden, reden", das zwei Seiten verlangt. Wir liefern, erklären und ergänzen weiter geduldig und transparent die nach aktuellem Stand saubersten Fakten -–vor allem für die 90 Prozent nur Mitlesenden. Sie zeigen regelmäßig in Likewellen, dass sie es schätzen, wenn wir den harten Teil der, nun ja, "Gespräche" übernehmen, für die sie inzwischen keine Lust oder Kraft mehr haben.
Ist das belastend? Ja, wenn dabei einfache Empathie und Pietät unter die Räder kommen – etwa bei abfälligen Sprüchen über alte und gestorbene Menschen. Es ist aber Beruf und harmloser als das, was Journalisten bei Demos an Pöbelei, Bedrohung und körperlicher Gewalt entgegenschlägt. Gerne darf es aber auch bei uns wieder etwas mehr so zugehen, wie Menschen im direkten Kontakt miteinander reden.
Daniel George: Social-Media-Redakteur bei MDR Sachsen-Anhalt
Ich lasse - ganz Social-Media-Redakteur - diesen Tweet für mich sprechen:
Und wünsche mir von unserer Community ansonsten nur: Seid lieb zueinander!