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Konzerthaus Bitterfelder Glas für die Elbphilharmonie

Am 11. Januar 2017 eröffnete die Elbphilharmonie in Hamburg. Beim Bau hatten auch zwei Unternehmen aus Sachsen-Anhalt die Finger im Spiel.

Von Massimo Rogacki 10.01.2019, 00:01

Magdeburg l Der Wind zerzaust die Wolken am Himmel über der Hamburger Elbphilharmonie. Die durchbrechenden Sonnenstrahlen lassen die Glasfassade der „Elphi“ mal bläulich, dann wieder silbern schimmern. Der spektakuläre Effekt – vom Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron geplant – ist nur eine von vielen Finessen an der ultramodernen Glasfassade. Die Elbphilharmonie – zwei Jahre nach der Eröffnung ist sie nicht nur ein Paradebeispiel für innovatives Bauen, sie ist auch eines der Wahrzeichen von Hamburg.

Dass es so weit kommen konnte, ist auch einem Glaswerk aus Thalheim, einem Ortsteil von Bitterfeld-Wolfen, zu verdanken. In der dortigen Niederlassung von Guardian Glass – einem der weltweit führenden Unternehmen bei der Flachglasherstellung mit insgesamt 25 Werken – entstand ein Großteil der insgesamt 1100 Gläser. Aus ihnen besteht die rund 22.000 Quadratmeter umfassende Fassade. Die Scheiben – allesamt Unikate – verleihen dem 108 Meter hohen Gebäude sein einzigartiges Erscheinungsbild. Dass die US-amerikanische Mutter des Thalheimer Werks den millionenschweren Zuschlag für den Großauftrag erhielt, kam für Ralf Greiner nicht ganz überraschend. Der Manager ist für die Produktanwendung in Europa zuständig.

„Guardian Glass hat schon einige Projekte in ähnlichen Größenordnungen gestemmt“, erklärt Greiner. Etwa die Verglasung für den Berliner Hauptbahnhof. Das größte Projekt indes: Sonnenschutzgläser für die Fassade des Burj Khalifa. Der Wolkenkratzer in Dubai ist mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt. Nicht die schlechteste Referenz.

Normalerweise produziert das Werk in Thalheim sogenanntes Floatglas für Fensterscheiben. Über 300 Mitarbeiter arbeiten hier, unter anderem in der 500 Meter langen Produktionshalle. Im vergangenen Jahr ist ein neuer, hochmoderner Schmelzofen in Betrieb genommen worden. Darin werden die Rohstoffe wie Bruchglas, Sand, Kalk oder Soda bei mehr als 1500 Grad Celcius geschmolzen. Die Glasschmelze wird auf ein Bad aus flüssigem Zinn geleitet. Über Rollen landet das Glas im Abkühlkanal, danach wird es geschnitten.

Für die „Elphi“ sollte Guardian Gläser mit Wärme- und Sonnenschutz-Eigenschaften herstellen. Die Herausforderung: Die Eigenschaften der verschiedenen Glasbeschichtungen sollten bei der Verformung bewahrt werden. Bis dato hatte noch niemand versucht, Glas für eine derart aufwendige 3D-Konstruktion zu biegen. Die ultimative Belastungsprobe für das Produkt aus Thalheim erfolgte in Italien. Die Firma SunGlass Srl ist ein Spezialist für das Biegen von Gläsern. Würde es ihr gelingen, das Glas individuell zu formen, ohne die verschiedenen Schichten nachhaltig zu schädigen? Die Antwort lautet: Ja. Die Temperaturen im Biegeofen konnten den in Thalheim aufgebrachten Beschichtungen nichts anhaben. Auch die Chromspiegelpunkte (für den Farbeffekt) und das keramische Siebdruckmuster (unter anderem zum Sonnenschutz) blieben erhalten. Guardian hatte mit seiner hochwertigen Basisschicht das gehalten, was es versprochen hatte. Alles richtig gemacht hatte auch die Josef Gartner GmbH, die verantwortlich für die Planung der Fassade war.

Der weltweit tätige Fassadenspezialist aus dem bayerischen Gundelfingen hatte sich erst für Guardian entschieden und dann nichts mehr dem Zufall überlassen: In einem frühen Stadium waren die verschiedenen, bis zu 1,2 Tonnen schweren Glaselemente vielfältigen Tests ausgesetzt worden. Von einem Flugzeugbauer wurden Windböen bis zu 220 Kilometern pro Stunde simuliert, Regenmassen von 3,4 Liter pro Minute und Quadratmeter prasselten auf die Gläser, zudem wurden sie in einer Kältekammer unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt. Das zahlte sich aus.

Bis heute gab es keinerlei Probleme mit auch nur einem der Gläser, heißt es von der Elbphilharmonie. Überhaupt läuft der Betrieb im Konzerthaus wie am Schnürchen. Beinahe vergessen sind alle Differenzen, Klagen und die Neuregelung der Verträge, ohne die der Prachtbau niemals fertig geworden wäre. Dass die Philharmonie letztlich anstatt 77 Millionen mehr als das Zehnfache kostete – nämlich 789 Millionen Euro – das ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mehr ein Thema. Denn die Besucherzahlen übertreffen alle Erwartungen. Seit der Eröffnung im Januar 2017 haben nach Angaben der Elbphilharmonie 8,5 Millionen Menschen die Aussichtsplattform – die sogenannte Plaza – besucht. Im großen Konzertsaal beträgt die Auslastung nahezu 100 Prozent. Auch die Touristenzahlen in Hamburg sind in den vergangenen Jahren weiter gewachsen. Das muss nicht exklusiv mit der Elbphilharmonie zu tun haben. Ist aber bestimmt ein Teil der Wahrheit.

Touristen, die die Elphi näher von innen besichtigen, vielleicht sogar im darin ansässigen Hotel übernachten, haben die Chance, ein weiteres Produkt „Made in Sachsen-Anhalt“ zu bewundern. Die Salzwedeler Firma Seacon – heute Flexus Metalltechnik – hat zum Bau der „Elphi“ mehr als 1000 sogenannte Lisinen beigesteuert. Das sind dreidimensional gebogene Bauteile aus hochglanzpoliertem Edelstahl. Durch sie werden die gewölbten Gläser mit den geraden Elementen verbunden. Wer im flauschigen Bett der Panorama-Suite mit Blick auf den Hamburger Hafen liegt, kann, wenn er genau hinguckt, die spiegelpolierten Elemente zwischen den Fenstern sehen.

Auch Seacon, der Spezialist für Blechverformung, hatte – ähnlich wie Guardian Glass – bereits vorher einige Meriten erworben. So arbeiteten die Spezialisten an der Fassade des Technologieunternehmens Apple im kalifornischen Cupertino mit. Auch für das Lakhta-Center in St. Petersburg, mit 462 Metern das höchste Gebäude in Europa, wurden Blechfassadenteile geliefert. „Es ist natürlich ein Vorteil, wenn man mit extravaganten Objekten seine Bekanntheit steigern kann“, sagt der Geschäftsführer, Josef Maurus. Sorgen um die Bezahlung des Auftrags in Hamburg (Auftragsvolumen: 1,4 Millionen Euro) musste sich Maurus im Übrigen nie machen. Obwohl die Fertigstellung der „Elphi“ mehrfach verschoben werden musste und zwischenzeitlich gänzlich zu kippen drohte – die Lieferung war frühzeitig bezahlt. Dass sich die Eröffnung des Konzerthauses noch bis 2017 hinziehen sollte, das hatte selbst Josef Maurus nicht gedacht.

Heute ist die „Elphi“ Touristenmagnet und Wahrzeichen – und zwei Firmen aus Sachsen-Anhalt haben ihren Teil dazu beigetragen.