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33 Jahre nach spektakulärem Kunstdiebstahl stellt die Landeskirche Anhalts zwei Beute-Altarflügel wieder aus Kunstraub: Finale im Cranach-Krimi von Klieken

Von Matthias Fricke 23.03.2013, 02:16

Bei einem Festgottesdienst erhalten die Altartafeln von Lucas Cranach dem Älteren am Sonntag wieder ihren alten Platz in der Kliekener Kirche (Landkreis Wittenberg). Es ist das Finale einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle in der DDR. 1980 hatten Unbekannte die Tafeln gestohlen. Sie tauchten 2007 wieder auf. Die Diebe wurden nie gefasst.

Klieken/Coswig l Für die Kliekenerin Christa Müller ist es "ein Wunder". Sie führt seit 13 Jahren Touristen durch die alte Patronatskirche aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die nur einen Steinwurf von der Abfahrt Coswig/Roßlau der A9 entfernt liegt.

Dass die fehlenden Bilder vom Altarretabel jemals wieder auftauchen würden, hätte die 77-Jährige nie gedacht. Doch ab Sonntag sollen die Cranach-Flügel wieder dauerhaft an ihrem angestammten Platz stehen. "Natürlich diesmal mit einer hochsensiblen Alarmanlage", fügt sie hinzu. Die 33-jährige Odyssee des Kirchenschatzes soll sich schließlich nicht wiederholen.

Der wohl spektakulärste Kunstdiebstahl der DDR hat damit ein Ende, doch vollends aufgeklärt wurde er nie. Nur durch puren Zufall kamen die Cranach-Bilder wieder ans Tageslicht.

Es war am 17. Mai 1980, ein Sonnabend, als in dem kleinen Gemeindebüro der Parochie Zieko, dem Amtsbezirk des damaligen Pfarrers Hans-Justus Strümpfel, gegen 10.45 Uhr das Telefon klingelte. Ein Mitglied des Gemeindekirchenrates berichtete aufgeregt, dass jemand in die Kirche Klieken eingebrochen war. Jemand habe die Altarflügel gestohlen. Strümpfel, der inzwischen in Dessau seinen Ruhestand genießt, erinnert sich: "Ich habe erst mit dem Leiter der Kriminalpolizei, dann mit dem Kreis-oberpfarrer und den Kollegen des Landeskirchenrates telefoniert. Danach bin ich sofort losgefahren."

"Die Spuren wiesen eigentlich auf sehr unprofessionell wirkende Täter hin."
Peter Tiedens, damaliger Ermittler

Der Pfarrer knatterte mit seinem grauen Trabant-Kombi über die Landstraße in das nur sechs Kilometer entfernte Klieken. Er wusste, dass die Altarflügel ein Cranach-Werk waren, und ahnte, was nun folgen würde.

Noch vor der Polizei traf er an der kleinen Fachwerkkirche ein. "Ich habe gleich alles abgesperrt", zitiert er aus einem handgeschriebenen Erinnerungsprotokoll. Strümpfel erkannte zunächst nur, dass in einer der Ecken des Kirchenschiffs ein Fenster aufgebrochen war, dann sah er die Bescherung. Beide Flügel fehlten. Kurze Zeit später trafen der Bürgermeister und der Chef der Kriminalpolizei des damaligen Volkspolizeikreisamtes, Hauptmann Peter Tiedens, am Tatort ein. Sie richteten im Büro des Rates der Gemeinde eine Einsatzzentrale ein. Mitarbeiter der Spurensicherung kamen zum Einsatz, während der Fährtenhund eine Spur verfolgte.

Hauptmann Tiedens führte damals die Ermittlungen. Heute befindet er sich im Ruhestand und wohnt in Lübbenau im Spreewald. Er sagt der Volksstimme: "Die Spuren wiesen eigentlich auf sehr unprofessionelle Täter hin. Die Altarflügel wurden mit brachialer Gewalt aus den Scharnieren gerissen. Ein richtiger Kunstdieb hätte das nie gemacht."

Der Kriminalist hat deshalb zunächst vor allem im Umkreis seine Leute zur Suche nach den Altarflügeln eingesetzt. Er vermutete, dass die Bilder sich schnell wieder anfinden würden. Doch so einfach war es nicht. Die Fährtenhunde verloren irgendwo an der Autobahn die Spur. Die Suche auf den Wiesen der Umgebung in der Elbaue brachte ebenfalls kein Ergebnis. Was blieb, war die einzige Spur, die von den Kriminalisten auf dem Altartuch sichergestellt werden konnte. Es handelte sich um den Abdruck eines Sportschuhes aus DDR-Produktion der Größe 42. "Das Muster war deutlich erkennbar, so dass wir nur den Schuh finden mussten", erinnert sich Tiedens. Die Polizisten bekamen jeder ein Bild von dem Abdruck in die Hand und zogen von einem Haushalt zum anderen. Sie kontrollierten bei mehreren hundert Personen in Klieken und Umgebung die Profile der Sportschuhe.

"Das Ministerium für Staatssicherheit hat die Ermittlungen an sich gerissen."
Pfarrer Hans-Justus Strümpfel

"Meine Kollegen haben mir richtig Leid getan. Sie mussten ja immer einen Vorwand finden, um sich die Schuhe zeigen zu lassen", erinnert sich der Polizist.

Doch alle Mühen waren umsonst. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Weil der Fall aber so viel Staub aufgewirbelt hatte, übernahm die Bezirksdirektion der Volkspolizei in Halle den Fall. Wie Pfarrer Strümpfel später in den Akten recherchierte, hatten auch die "Kundschafter von der unsichtbaren Front" ihre Finger mit im Spiel. "Das Ministerium für Staatssicherheit riss die Ermittlungen an sich", sagt er. Vielleicht deshalb, weil ins Visier der Ermittler auch Kliekener kamen, die Kontakte in den Westen hatten. In jedem Fall aber, so die Vermutungen, könnte das Diebesgut in Richtung Westen über die A9 weggebracht worden sein.

Nach Meinung einiger Kliekener hätte der Diebstahl auch vom Staat selbst inszeniert worden sein können. Die Devisenbeschaffer der DDR hätten schon ganz andere Geschäfte abgewickelt. Warum nicht auch dieses? Der Fall wurde als "brisant" angesehen. Meldungen gingen bis nach Berlin. Tiedens: "Ich war deshalb froh, dass ich die Sache los war."

Doch außer den Gerüchten gab es keine weiteren Anhaltspunkte. Erst 1990, so ergaben die späteren Ermittlungen des Landeskriminalamtes (LKA) Bayern, tauchten die Altarflügel bei einer Auktion in Bamberg (Oberfranken) wieder auf. Ein Mann aus Jena hatte sich nach einem Zeitungsbericht dem Auktionator als Projektant der Wismut vorgestellt und gab an, die Altartafeln in den 70er Jahren in einer Kirche sichergestellt zu haben, kurz bevor diese eingeschoben werden sollte. Strümpfel: "Das halte ich aber für völligen Unsinn und eine Ausrede."

"Die Rückführung nach so vielen Jahren ist für uns wie ein Sechser im Lotto."
Johannes Killyen, Ev. Landeskirche

Der Auktionator nahm dem Jenaer seine Geschichte aber ab und die Flügel wechselten für mehr als 10000 Mark die Besitzer. Eine Kunstmalerwitwe erwarb die inzwischen rahmenlosen Bilder und baute sie in einen Schrank als Türflügel ein. Als sie starb, gab ihr Sohn sie im Herbst 2006 wiederum an ein Bamberger Auktionshaus zur Versteigerung. Die Flügel gingen an zwei Antiquitätenhändler, die sie neu rahmen ließen. Im Juli 2007 entdeckte ein Cranach-Experte durch Zufall im Schaufenster des Antiquitätenhandels die gestohlenen Altarflügel von Klieken. Das LKA Bayern sicherte die Tafeln. Nach einem juristischen Vergleich mit den Händlern gingen die Flügel wieder in den Besitz der Hoffnungsgemeinde Zieko (zu der Klieken gehört) über. Die Abfindungssumme soll fünfstellig gewesen sein. Es wurde aber Stillschweigen darüber vereinbart. Der Diebstahl selbst ist ohnehin verjährt, die Ermittlungen endgültig eingestellt.

Für einen Tag kehrten die Altarflügel bereits am 26. März 2009 zurück an ihren Platz in die Kliekener Kirche. Doch erst jetzt, nach der umfangreichen Sanierung der Kirche, wird es endgültig. Rund 900000 Euro kosteten die Restaurationsarbeiten an der kleinen Fachwerkkirche.

Johannes Killyen von der Evangelischen Landeskirche Anhalts: "Solch eine Rückführung der Kunst nach so vielen Jahren ist für uns wie ein Sechser im Lotto. Man kann wirklich von einer göttlichen Fügung sprechen."