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Uniklinik „Badekappe“ gegen das Zappeln - Wissenschaftler nehmen an ADHS-Projekt teil

Zwei Psychotherapeutinnen der Uniklinik Magdeburg befassen sich in einem europäischen Projekt mit dem Thema „Lernen und Gedächtnis bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS“.

Von Bernd Kaufholz 14.06.2021, 05:00
Die Leiterinnen der Studie Kerstin Krauel (l.) und Carolin Ziegler mit einem Studienkind im Forschungslabor.
Die Leiterinnen der Studie Kerstin Krauel (l.) und Carolin Ziegler mit einem Studienkind im Forschungslabor. Foto: Melitta Schubert, Uniklinik

Magdeburg - Luka hatte sich auf die Schule gefreut. Doch schon nach wenigen Wochen entpuppte er sich als richtiger „Zappelphilipp“. Es fiel ihm schwer, bei der Sache zu bleiben, er ließ sich schnell ablenken – selbst von den Bildern im Klassenraum und dem Zwitschern der Vögel draußen –, er verbreitete Unruhe während des Unterrichts und störte dadurch auch seine Mitschüler.

Das schlug sich mit der Zeit auch in den schulischen Ergebnissen des Erstklässlers nieder. Er verpasste den Anschluss, wurde dadurch noch unkonzentrierter – ein Teufelskreis - und musste letztlich die Klassenstufe wiederholen. Die zweite Runde schaffte der Magdeburger mit Mühe und Not, aber in der 2. Klasse wurden die Probleme so groß, dass die Lehrerin den Eltern ihren Verdacht mitteilte, dass es sich möglicherweise nicht nur um eine altersbedingte Aufgewecktheit handelt, sondern um eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die dringend behandelt werden muss.

Die Psychologin Dr. Kerstin Krauel, Leiterin der Uniklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Kinder- und Jugendalters, befasst sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen ADHS. „Die Steuerung der Aufmerksamkeit klappt bei ADHS nicht. Und das liegt an zu wenig Botenstoff Dopamin im Gehirn. Er ermöglicht uns, Langeweile zu ertragen, eine Aufgabe anzugehen und uns darauf zu konzentrieren“, sagt die 52-Jährige, die vor kurzem eine außerplanmäßige Professur erhielt. „Mit fehlender Intelligenz hat ADHS nichts zu tun.“ Die Ärztin ist Leiterin einer EU-geförderten klinischen Studie (Horizont-2020-Programm), an der ein Verbund von elf Unis, Kliniken und Firmen aus mehreren europäischen Ländern teilnehmen. Mehr als 500 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren nehmen bis Ende 2021 daran teil – in Magdeburg rund 50.

2013 auf einem Kongress habe sie zum ersten Mal davon gehört, dass eine Studie vorbereitet wird. „Ich war sofort begeistert und habe gesagt: Da wollen wir mitmachen!“

Aufgaben am Computer

Dem kleinen Patienten wird eine Stoffkappe auf den Kopf gesetzt. Daran angeschlossen werden acht Elektroden, die auf der Kopfhaut aufliegen. „Über diese wird geringer Gleichstrom durch das Gehirn geleitet, das dadurch gezielt stimuliert wird“, erklärt Dr. Krauel. Der Strom komme nur dorthin, wo er hin soll. „Bei ADHS ist es besonders der vordere Teil, der Stirnlappen, der bei dieser Erkrankung oft nicht ausreichend aktiv ist und angeregt werden muss.“ Psychotherapeutin Carolin Ziegler, die gerade ihre Doktorarbeit zum Thema „Gehirnstimulation“ abgegeben hat, sagt: „Während der Stimulation müssen die Testpersonen einige Aufgaben am Computer lösen, zum Beispiel müssen sie sich Dinge merken.“ Natürlich könne man erst nach Abschluss des Projekts und wissenschaftlicher Auswertung sehen, wie erfolgreich die Behandlung ist, sind sich Krauel und Ziegler einig. Aber die bisherige Auswertung habe bereits gezeigt, dass die Arbeit unter Gehirnstimulation besser klappe, als ohne. Um über einen längeren Zeitraum Daten erheben zu können, gebe es auch Geräte, die die Eltern der Testkinder nach entsprechender vorheriger Anleitung mit nach Hause nehmen können, um dort die Tests weiterzuführen. Über eine Fernkontrolle werden Sicherheit der Stimulation und die klinischen Symptome überwacht.

Langfristiger Effekt

Ziegler ist der Meinung, dass eine Behandlung, die nach mehreren Wochen wiederholt wird, einen langfristigen Effekt erzielen könnte.

„Unsere Kinder gehen mit der Sache völlig angstfrei um“, sagt Dr. Krauel. „Das liegt wohl auch daran, dass wir während der Tests nicht in weißen Kitteln herumlaufen. Die meisten unserer Probanden finden es cool. Familien mit Kindern können noch bis zum Herbst an der Studie teilnehmen.“