Gesundheit Haarige Plage: Sachsen-Anhalt und der Eichenprozessionsspinner
Seit Jahren führt Sachsen-Anhalt einen ungleichen Kampf gegen den Eichenprozessionsspinner. Um die Plage einzudämmen, suchen Forscher nach alternativen Methoden.

Magdeburg - Fred Braumann weiß, dass es in der Natur nicht immer friedlich zugeht. Wer mit dem Verwaltungschef des Biosphärenreservats Drömling durch das frühere Moorgebiet an der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt fährt, bekommt einen Eindruck, wie zerstörerisch gewisse Schädlinge sein können.
Routiniert lenkt Braumann seinen Wagen über den schmalen Asphaltweg, vorbei an Gräben und Wiesen und vor allem: Eichen. Eichen, denen es nicht gut geht, die stellenweise fast gänzlich kahlgefressen sind. Der Übeltäter misst in ausgewachsener Gestalt etwa 30 Millimeter – und ist ein riesiges Problem in Sachsen-Anhalt. Sein Name klingt beinahe poetisch: Eichenprozessionsspinner.
„Der Eichenprozessionsspinner schadet der Natur, aber vor allem ist er eine Gesundheitsgefahr“, sagt Fred Braumann. Denn die feinen Brennhaare der Raupen können bei Kontakt Hautreizungen und Allergien auslösen, zudem belasten sie Augen und Atemwege. Seit fast 20 Jahren breitet sich die Population des Nachtfalters im Land aus, besonders betroffen ist neben der westlichen Altmark und dem Landkreis Stendal der Osten des Landes mit Schwerpunkt Dessau.
Notsituation in Dessau
In Dessau melden sich an einem Wochenende im Juni mehr als 30 Menschen mit Ausschlag und Juckreiz in der Notaufnahme des Städtischen Klinikums – mehr als sechs Mal so viele wie an gewöhnlichen Wochenenden. Der Wind hatte die giftigen Härchen über das ganze Stadtgebiet verteilt. Und das, obwohl die Bauhausstadt laut eigenen Angaben jedes Jahr gut 200 000 Euro für die Bekämpfung ausgibt.
Wie dramatisch die Lage im rund 150 Kilometer entfernten Drömling ist, zeigte eine Bestandsaufnahme von 2018. Rund 40 000 Bäume im Biosphärenreservat waren damals vom Eichenprozessionsspinner befallen – die Bäume tief in den Wäldern nicht mitgerechnet.
„Die Eichen sterben bei Befall nicht zwangsläufig. Aber viele sind wegen der vergangenen Trockenjahre vorgeschädigt“, sagt Braumann.
Mehr Geld für betroffene Kommunen
Seit 2019 stellt das Gesundheitsministerium stark betroffenen Kommunen mehr Geld zur Verfügung, verschwunden ist der Spinner trotzdem nicht. Jedes Jahr ab April schlüpfen neue Raupen, hinzu kommen die giftigen Härchen der vergangenen Saison, die in verlassenen Nestern und im Unterholz überdauert haben. Und: Die üblichen Bekämpfungsmethoden greifen nicht überall.
So ist das mechanische Absaugen bei bis zu 25 Nestern pro Baum aufwendig und teuer, der Einsatz von Bioziden nur gestattet, wenn ein Mindestabstand von 25 Metern zum nächsten Gewässer gewährleistet ist. „Schwierig in einer Region, die als Land der tausend Gräben bekannt ist“, sagt Braumann lakonisch.
Bedenken gegen den Einsatz von Biozid-Präparaten kamen zuletzt auch aus dem Umweltministerium. Denn auch andere Insekten fressen das Gift und sterben daran, was der Artenvielfalt schadet. „Wir benötigen andere Methoden als den Einsatz von Bioziden“, forderte Claudia Dalbert (Grüne).

Neues Forschungsprojekt der Hochschule-Anhalt
150 000 Euro fließen deshalb aus dem Ressort in ein auf zwei Jahre angelegtes Forschungsprojekt der Hochschule Anhalt, das im Drömling seit Februar alternative Bekämpfungsmethoden erprobt.
Fred Braumann stoppt den Wagen und begrüßt zwei weiße Gestalten, die in ihren Schutzanzügen ein wenig an Astronauten erinnern. Violetta Färber und Jorre Hasler von der Hochschule Anhalt sind auf ihrem Kontrollgang und begutachten die Nistkästen, die sie an vielen Eichen am Wegesrand aufgehängt haben.
„Die Kästen werden gut angenommen. Fast alle sind besiedelt“, sagt Färber. Die Idee hinter den zusätzlichen Brutmöglichkeiten: Die Nistkästen sollen natürliche Fressfeinde des Spinners wie die Kohlmeise und den Kuckuck anlocken. Die Vögel verfüttern dessen Raupen an ihren Nachwuchs – und dezimieren auf natürliche Weise die Population des Schädlings.
Der Nematoden-Einsatz hingegen zeige noch nicht den gewünschten Effekt, ergänzt ihr Kollege Hasler. Bei dieser Methode werden winzige Fadenwürmer auf die Eichen gesprüht, die in die Raupen eindringen und sie töten sollen.
Ein weiteres Instrument, mit dem die Forscher im Biosphärenreservat experimentieren, ist das sogenannte EPS-Solve-Verfahren. Dabei werden Raupen und Nester mit Heißwasser bekämpft. „Bislang gibt es aber noch keine Wunderwaffe“, sagt Braumann.
Aufrüsten für das kommende Jahr
Aus dem Umweltministerium heißt es, dass die Ergebnisse des Forschungsprojekts künftig auch in anderen Regionen zum Einsatz kommen sollen.
So behandelten die zuständigen Stellen auch in Dessau in diesem Jahr bereits 200 Eichen in Gewässernähe mit Nematoden, wie ein Sprecher mitteilt. Langfristig helfe aber nur ein abgestimmtes Handeln aller Akteure. Die Stadt hat deshalb seit einiger Zeit eine „Arbeitsgruppe EPS“ eingerichtet, an der auch die Naturschutz- und Wasserbehörde beteiligt sind.
Ein nächstes Arbeitstreffen ist für August geplant – dann wollen die Verantwortlichen ihr Handeln für das kommende Jahr abstimmen. Denn mit dem Spinner, so viel ist sicher, ist auch 2022 zu rechnen.
