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Landtag Wie der CO₂-Wert zum Politikum wurde

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff behält sich vor, den Plenarsaal zu verlassen, wenn der CO2-Wert zu sehr steigt.

Von Alexander Walter 15.12.2020, 12:35

Magdeburg l Äußerungen von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) über die CO₂-Konzentration im Landtag haben ihm Kritik von Landtags-Vizepräsident Wulf Gallert eingebracht. Die Staatskanzlei wehrt sich, spricht von Diffamierungen und sinkendem intellektuellen Niveau. Was steckt dahinter – berechtigte Kritik, Wahlkampfgeplänkel?

20. November im Landtag: Reiner Haseloff spricht über Hilfen für die wegen der Pandemie darbende Wirtschaft. Ganz am Ende – seine Redezeit ist fast vorbei – kommt der Ministerpräsident eher beiläufig auf ein anderes Thema: „Ich messe ja auch die CO₂-Konzentration an meinem Platz und kann nur sagen, sie müsste normalerweise 400 ppm (Moleküle pro eine Million Luftmolekülen, Anm. d. Red.) betragen.“

„Was wird jetzt angezeigt?“, fragt Haseloff seinen Kulturminister Rainer Robra (CDU). „529“, gibt der laut Protokoll zurück. „Wir haben jetzt 529 ppm in diesem Saal“, antwortet Haseloff. „Ab 1000 ppm würde es gefährlich werden, sodass wir alle den Saal verlassen müssten.“ Er habe es zuvor beobachtet: Je intensiver von der Lautstärke her kommuniziert werde, umso mehr gehe die CO₂- und damit die Aerosolkonzentration nach oben. Dann fallen die Sätze, die Haseloff in erster Linie das Unverständnis Gallerts einbringen werden: „Ich habe mir vorgenommen, dass ich ab einem bestimmten Punkt den Raum verlasse. Ich sage das nur, damit Sie sich nicht wundern“, ergänzt der Ministerpräsident.

Haseloff spielt implizit auf ein erhöhtes Risiko für Corona-Infektionen durch steigende Aerosolkonzentrationen an. Gallert (Die Linke), der die Debatte an jenem Tag leitet, sagt in der Rückschau: „Ich finde es bedenklich, wenn der Regierungschef für sich die Kriterien festlegt, unter denen er seinen Arbeitsplatz verlässt.“ Kein anderer Arbeitnehmer könne das. Und: „Wir haben im Landtag eine der komfortabelsten Lüftungsanlagen überhaupt“, so Gallert. In vielen Schulen werde nicht einmal geprüft, ob Luftfilter-Anlagen benötigt werden. Tatsächlich wird laut Landtagsverwaltung dank der Lüftungsanlage nie der Wert von 800 ppm im Plenarsaal überschritten. Im Arbeitsstättenrecht „sollen“ 1000 ppm nicht überschritten werden, um fit zu bleiben, teilt die Verwaltung mit.

Die Staatskanzlei weist die Vorwürfe Gallerts scharf zurück: „Die Linke betreibt seit geraumer Zeit Wahlkampf pur“, sagt Regierungssprecher Matthias Schuppe gestern. Und: „Die neue Spitze hat das intellektuelle Niveau deutlich abgesenkt.“

Schuppe betont, Haseloffs Äußerung sei erst im Kontext der vorgangegangenen Debatte zu verstehen, in der es teils zu wüsten Zwischenrufen gekommen sei. Berechtigt oder nicht – am späten Mittag sitzt Haseloff an jenem Tag nicht im Plenarsaal. Gallert stellt damals laut Protokoll fest: Der Regierungschef höre wohl wegen des befürchteten Risikos einer Keimbelastung vom Nebenraum her zu.